Kapitel 8, Eleon erfährt in Kannemünde vom Tod Sedrox

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  Im Speisesaal des Gasthauses Zur Krone saßen jene Gefährten bei einem wohlschmeckenden Abendessen beisammen, die nicht an der Amtseinführung des neuen Gouverneurs teilnehmen brauchten. Dort ging es daher weitaus weniger höfisch und vornehm zu, als nebenan im Amtssitz des neuen Statthalters. Curthan wollte etwas frische Luft schnappen und griff gerade nach der Klinke der Tür zum Schankraum, da wurde die Pforte vor seiner Nase aufgerissen. Doch anstelle von Jolinar, die gerade das stille Örtchen aufsuchte, trat ein staubbedeckter und vollkommen erschöpfter Mann in einem dreckigen Reisemantel in den Raum.
  Am großen Tisch grinste der zuvor so stille und zurückhaltende Nazir plötzlich breit und prostete dem Neuankömmling aus der Ferne zu. Eleon hingegen sprang sogar auf und rief laut: „Sumudan, welch eine Überraschung! Da bist du ja schon, so setz dich doch bitte!“
  Nun erkannten auch die übrigen Anwesenden in dem schmutzigen Fremden ihren maraskanischen Reisegefährten, den sie eigentlich noch in Unau wähnten. Adriego war aufgesprungen und schob bereits einen weiteren Stuhl an ihren Tisch, als Adron der Schankmagd, die von der Türschwelle aus indigniert auf den Schmutzfink in ihrer gehobenen Lokalität starrte, eifrig die sofortige Notwendigkeit eines weiteren Gedecks signalisierte.
  Der Freiheitskämpfer war nach der langen und anstrengenden Reise tatsächlich derart geschwächt, dass er seinen Rucksack von den Schultern rutschen ließ und sich rasch setzen musste. „Preiset die Schönheit, meine Freunde.“, entfuhr es ihm lediglich leise und unmotiviert, als er den von Adron hingehaltenen Weinbecher ergriff und erstmal gierig einige kräftige Schlucke in seinen trockenen und kratzenden Mund hineinlaufen ließ.
  „Was ist geschehen, Sumudan?“, brach schließlich Adriego die vor Neugier angespannte Stille.
  Der Maraskaner hatte sich nach dem kühlenden Weingenuss zurückgelehnt und für einen Moment die Augen geschlossen, daher schien er erst jetzt zu realisieren, dass die Frage des Schwertgesellen ihm galt. „Ähm, wie... nun.“, räusperte er sich. „Es ist schwer zu sagen.“ Dann sammelte er sich offenbar, blickte zögerlich zu Eleon hinüber und suchte augenscheinlich nach einem Anhaltspunkt für die Geschichte, die er zu erzählen hatte. Der sonst so lebensfrohe und gesprächige Gefährte rang händeringend nach Worten und machte kurzzeitig einen verwirrten Eindruck. Doch dann platzte die wichtige Nachricht halblaut aus ihm heraus: „Sedrox ist zu seinem Schöpfer heimgekehrt.“
  „Nun also auch der Zwerg. Diese ganze Fahrt ist eine Aneinanderkettung von Unglücken.“, raunte Nazir leise, aber umso verbitterter und schenkte sich nach, um sogleich im Stillen auf den kleinen, griesgrämigen Kämpfer zu trinken.
  Aus Eleons Zügen war schlagartig jegliche Farbe und seinem Gemüt die gerade noch überbordende Wiedersehensfreude gewichen, als er sich geschockt nach hinten lehnte und beide Hände vor sein Gesicht schob.
  „Da sind schlimme Nachrichten!“, brach abermals Adriego die sofort entstandene andächtige Stille. „Wie ist es passiert?“ Wie allen anderen im Raum war auch dem Almadaner gehörig die Feierlaune vergangen und verständnislose Trauer und tief in der Magengrube pochende Resignation brachen sich – neben einigen Tränen – bahn.
  Sumudan nickte traurig, denn seine Freunde hatten ein Anrecht auf Antworten, auch wenn sie tieftraurig und schockierend waren. „Kurz nach eurem Aufbruch stellte der Kalif eine Expedition in die Höhle zusammen. Alles lief gut, doch wir entdeckten nichts – außer Sedrox. Er bemerkte ein tiefes Rumoren im Berg und als wir schon umdrehten, stürzte über ihm und zwei novadischen Kriegern am Ende der Reihe die Tunneldecke ein.“
  Der Maraskaner schluckte kurz und trank einen weiteren Schluck Wein. „Wir haben keinen von ihnen mehr retten können. Ich bin daraufhin zusammen mit zwei Begleitern sofort zu euch aufgebrochen. Welch üble Fügung des Schicksals, aber auch sie dürfte letztlich ihren Sinn im Weltenplan der göttlichen Zwillinge haben.“ Auch wenn seine Worte ihn gerade offensichtlich Lügen straften, so schien Sumudan innerlich fest davon überzeugt zu sein und klammerte sich geradezu an diese kleine, helle Hoffnung angesichts des dunklen Schattens, der sich schweigend noch dichter über ihre gemeinsame Expedition gelegt hatte.
  „Möge er in Frieden ruhen.“, schloss Adron leise und legte einen tröstenden Arm um den hemmungslos weinenden Eleon.
  Just in diesem Augenblick stürzten Jalessa und Xardan in den Raum, dicht gefolgt von Jolinar. Die junge Novizin ließ jegliches Gespür für die emotionale Situation der Gefährten vermissen und dachte nur noch an ihr eigenes Problem, als sie sich neben den Druiden setzte und ihm zuraunte: „Ihr habt nicht zufällig noch etwas Rahjalieb?“
  Das letzte ihrer Worte war so leise gesprochen, dass selbst Adron Schwierigkeiten haben musste, um es zu verstehen, obwohl er direkt neben dem noch immer schluchzenden Gelehrten am Tisch saß. „Nun setzt dich doch endlich mal!“, fuhr die Draconiterin ihren Freund energisch an, noch immer ohne bewusste Wahrnehmung der eigentümlichen Stimmung und des unerwarteten Rückkehrers am Tisch.
  Eleon blickte mit nassen Augen auf und starrte Jalessa perplex und wütend an. „Was? Das ist jetzt nicht Euer Ernst, oder?“ 
  Jolinar bemerkte Sumudan und gestikulierte ihrer Freundin sofort heftig winkend, dass hier gerade etwas ganz und gar nicht stimmte. Auch Xardan versuchte seine Liebste durch hartnäckiges Zupfen an ihrem Ärmel auf die angespannte Lage am Tisch aufmerksam zu machen. Adriego hatte sich erhoben und starrte die pietätlosen Gefährten hasserfüllt an, selbst Nazir schüttelte warnend den Kopf.
  „Es ist nicht so wie Ihr denkt, Eleon. Es ist sozusagen... ja, nun, wie soll ich sagen… ein Notfall.“, suchte Jalessa fast schon flehentlich nach Worten und sprach dabei lauter, als sie es beabsichtigt hatte.
  Entgeistert erhob sich der Druide und entgegnete fauchend und voller Verachtung: „Wir haben gerade die Nachricht vom Tod eines Gefährten, eines Freundes erhalten. Und Ihr fragt mich in dieser Stunde nach Rahjalieb?“
  „Huch, wer ist gestorben?“ Xardan blickte sich verwirrt um und ließ die Schultern sinken, als er endlich Sumudan wahrnahm, der ihn bitterböse anstarrte.
  Die Augen seiner Freundin weiteten sich bei den Worten des Gelehrten und sie riss sich die rechte Hand vor den Mund, als auch sie den Maraskaner am Tisch und die vorwurfsvollen und wütenden Blicke Adrons und Adriegos wahrnahm. Sie stand taumelnd auf und stürzte sich mit der Linken auf der Tischkante ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Kurz schien sie zu überlegen, was geschehen sein mochte, doch noch ehe sie ihre Gedanken vollenden konnte, überkam sie mit einem Mal ein Schwall Übelkeit und sie rannte aus dem Raum in Richtung Latrine.
  Jolinar hingegen war die die Kinnlade heruntergeklappt bei den harschen Worten Eleons und ihre kraftlosen Lippen formten lautlos „Gestorben?“. Mit einem ratlosen und irritierten Blick starrte sie Nazir an, doch natürlich war das Gesagte ernst gemeint. Wer riss schon ohne Not solche makabren Witze? Sie warf ihrer Freundin lediglich einen kurzen mitleidigen Blick hinterher, dann setzte sie sich neben den Al’Anfaner. Jalessa war schwach, das war ihr schon seit langem klar, aber so schwach? Das hatte sie bisher nicht gedacht. Vielleicht zu schwach für die Aufgaben, die sie zu bewältigen hatten. Aber vielleicht galt das für sie selber ja auch, vielleicht war es doch besser, nach Hause zu gehen. Nein! Schwanz einziehen gab es nicht! Ja, so würde auch ihre Mutter denken. Nur aus Angst einen Rückzieher machen, nein. Das wäre wirklich feige und Lust darauf, feige zu sein, hatte die junge Hexe selbst in diesem Schockmoment wirklich nicht.
  Xardan blickte noch immer wirr zwischen seiner mittlerweile durch die Tür zur Schankstube verschwundenen Freundin und dem zugleich empört und deprimiert dreinschauenden Eleon hin und her. „Wer ist denn nun gestorben?“, erkundigte er sich zaghaft, mit jeder Ader seines Körpers auf ein Donnerwetter gefasst, dass jeden Augenblick über ihm hereinbrechen konnte.
  Sumudan antwortete ihm mit ausdrucksloser Stimme: „Sedrox und einige Kämpfer des Kalifen. Ein Tunneleinsturz.“ Dann klopfte er sich etwas den Staub von den Händen und zog seinen Rucksack näher an seinen Stuhl heran, als ob er daran Halt finden wollte.
  Betroffenes Schweigen umhüllte für die nächsten Minuten den Tisch der Gefährten und niemand schien eines Wortes oder einer Handlung fähig zu sein, bis Adron sich ein Herz fasste und das schon vor einer Weile gebrachte Gedeck mit Braten, einer gehörigen Portion Kartoffeln und Sauce direkt vor ihren maraskanischen Freund zu schieben. Dankbar griff der Freiheitskämpfer zu, denn trotz aller Tragik hatte er in den vergangenen beiden Tagen kaum gegessen und war dementsprechend hungrig.
  Während sein Gefährte die ersten Bissen herunterschlang, begann der Magier aus dem Horasreich langsam und bedächtig eine Raute mit den Fingerspitzen beider Hände zu bilden. Die Zeigefinger berührten noch immer nachdenklich sein bärtiges Kinn, als er anmerkte: „Mir fällt da ein Gedicht aus meiner Akademiezeit ein: Formst aus dem Gestern das Jetzt und aus dem Jetzt das Morgen, schöpfst die Kraft aus unseren Hoffnungen und Sorgen, durchblickst als einziger das Wirrwarr und bist durch diese Unergründlichkeit eine Qual.“ Er hielt inne und stand auf. „Ich muss nun eine Träumerin aus ihrem Traum holen.“
  „Ein seltsames und gleichsam passendes Ende für einen Zwergen.“, murmelte Nazir leise, schüttelte den Kopf und füllte seinen Becher nach. Über diesem Auftrag lag definitiv ein Fluch, der das Trinken lohnte. „Auf Sedrox!“