Kapitel 7, Eleon und Anna in Unau

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  „Oh, Entschuldigung!“, haspelte Eleon verlegen, als er sein Missverständnis bei der Zimmerwahl erkannte. „Da habe ich mich doch glatt bei der Anzahl der Türen in diesem Gang vertan.“
  Anna lag auf ihrem Bett, gedanklich so weit entfernt, dass sie ihre üblichen Vorbehalte dem Druiden gegenüber für einen Moment vergaß und nicht gegen die Störung aufbegehrte.
  Ihr Besucher nutzte die unerwartete Gelegenheit sofort aus: „Aber es trifft sich gut, dass ich gerade bei Euch hereinplatze. Wir hatten in den vergangenen Tagen ja nicht wirklich Gelegenheit, miteinander zu sprechen.“
  „Für einen Schlafplatz seid Ihr hier in der Tat falsch.“, gab sie mit einem spöttischen, aber auch nicht abweisenden Lächeln von sich. „Aber wenn Ihr reden wollt, dann nehmt Euch einen Stuhl.“
  Eleon nickte erfreut, griff nach einem der beiden Sitzmöbel im Raum und setzte sich vor das Fenster. Mit großen Interesse und zugleich Unbehagen musterte er die Magierin, wie sie sich auf ihrem Bett aufrichtete und ihre angespannte Rückenmuskulatur dehnte. Sie trug nur ein dünnes Unterhemd und der Druide musste sich zwingen, nicht zu lange auf das zu schauen, was sich darunter verbarg.
  „Ich nehme an, Ihr möchtet über meine Schwester reden, da Ihr mir ihren Stab so schön vor die Nase haltet.“, stellte Anna nüchtern fest und deutete mit einem Nicken auf die Waffe, die einst ihrer Schwester Maria gehört hatte.
  Auch wenn seine Körperhaltung angespannt wirkte und er den Stab nicht aus den Händen geben würde, zeigte sein Gesicht doch den Versuch eines versöhnlichen Lächelns. „Ihr enttäuscht mich, Anna.“, begann er vorsichtig, aber nicht unfreundlich. „Obwohl Ihr in Zorgan wart und Erkundungen über Eure Schwester einholen konntet, behauptet Ihr dennoch weiterhin mit sturer Eitelkeit, dass ich ihn zu Unrecht besitze.“ Fast zärtlich strich seine Hand über das Holz des Stabes und die Magierin folgte jeder seiner Bewegungen mit Argwohn. Erst als ihre kleine Katze mauzte und nach Aufmerksamkeit begehrte, wandte sie ihren Blick kurz ab. Eleon nutzte die Unterbrechung, um fortzufahren: „Es interessiert mich, wie Ihr unsere Situation seht und was Ihr nun zu tun gedenkt.“
  „Sprecht bitte aus, was Ihr mit mir bereden wollt oder lasst es und geht.“, gab Anna kühl und gelangweilt zurück, während sie dem Kätzchen liebevoll den Nacken kraulte.
  „Gut.“, meinte Eleon langsam und versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Zunächst einmal hätte ich von Euch gerne gewusst, wie es Maria geht.“
  „Ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Natürlich erst nachdem sie ein paar Vasen zerworfen und Euch aufs Übelste beschimpft hatte.“, antwortete sie gelassen. „Naja, Ihr wolltet sie brennen sehen, habt sie in ein hässliches Kleid gesteckt und ihr Herz gebrochen. Ganz abgesehen von dem Stab dort.“ Da war er wieder, der spitze und gehässige Unterton, der ihre Gespräche für gewöhnlich schnell in bittere Meinungsverschiedenheiten abgleiten ließ.
  „Darf ich daraus schließen, dass sie wohlbehalten zurückgekehrt ist und sich inzwischen abreagiert hat?“ Eleon wollte diesmal die Kontrolle über das Gespräch behalten und blieb bei einem freundlichen, unverbindlichen Tonfall. „Die Drohung war damals natürlich ernst gemeint und zeigte als Druckmittel durchaus Wirkung.“ Ein kleines Lächeln umspielte kurz seine Lippen, doch er versicherte ebenso schnell: „Aber ich hätte das nicht getan und ich hoffe, Ihr glaubt mir das.“
  Annas Blick wurde skeptisch und herablassend. „Natürlich, Eleon. Praioten verbrennen Ketzer nicht wirklich, sondern halten ihnen nur eine liebgemeinte Moralpredigt und geben ihnen einen Klaps auf den Hintern. Maria sah das anders und ich bin geneigt, ihr darin beizupflichten.“
  Doch der Gelehrte blieb hart und hielt in diesem Punkt dagegen: „Für eine Mörderin ist es Gnade genug, dass ich sie nicht ausgeliefert habe, obwohl ich mehr als Recht daran getan hätte.“ Er zögerte für einen Augenblick und musterte seine Rivalin aufmerksam. „Ich weiß nicht, ob Ihr das Gewerbe Eurer Schwester gutheißt und es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, mich in politische Angelegenheiten zu mischen, aber da sie mein Leben bedrohte und unterlag…“ Mit einem Schulterzucken ließ Eleon das Ende seines Satzes offen im Raum stehen.
  „Ob ich das gutheiße oder nicht, geht Euch nichts an. Außerdem wolltet Ihr doch lediglich wissen, wie es Ihr geht. Ihren Stab dürft Ihr behalten. Zumindest vorerst, lässt sie Euch ausrichten. Sie holt ihn sich eines Tages mit Wonne zurück.“ Der Blick der Magierin wurde feurig und listig, als ob sie gerade im Geiste Zeugin jener hoffentlich bald gelungenen Revanche wurde.
  „Wie gnädig.“, versetzte Eleon kühl, um ihr das triumphierende Grinsen aus dem Gesicht zu treiben. „Ich hoffe sehr, ihr irgendwann einmal unter anderen Umständen zu begegnen.“ Er räusperte sich, kam ihr aber noch zuvor, als er unverbindlich weitersprach: „Gut, dann frage ich Euch direkt, Anna. Was denkt Ihr über unsere gemeinsames Problem? Und versucht bitte, diesmal ehrlich zu antworten.“
  „Versuchen?“, herrschte sie ihn wütend und empört an. „Ihr scheint zu denken, ich lüge wahllos!“ Doch wie der Druide bemühte sie sich um Zurückhaltung und drängte ihre Emotionen zurück. „Ehrlich gesagt halte ich nichts davon, dass meine Schwester für Gold über Leichen geht, nur weil sie dazu in der Lage ist. Doch ich frage Euch gleichermaßen, wie viele denkende Wesen habt Ihr als Druide schon auf dem Gewissen?“
  Nur war es an Eleon, vor Empörung einen lauteren Tonfall anzuschlagen: „Zweifelt Ihr ernsthaft an meiner Profession? Ihr vergesst, in welchen Zeiten wir uns befinden. Im Gegensatz zu Eurer Schwester versuche ich, Leben zu retten. Und in ihrem Fall ist es mir sogar gelungen.“ Er holte kurz Luft, um die doppelte Wirkung seiner Worte zu unterstreichen. „Aber ich antworte Euch offen und ehrlich. Selbstverständlich habe ich Menschen sterben sehen, viele sind in meinen Händen verstorben. Wenn Ihr Eure These weiter führt, dann müsstet Ihr jeden Kämpfer einen Mörder schimpfen. Aber lassen wir diese Probleme lieber den Rechtsgelehrten in ihren sicheren Hallen. Wir beide wissen sehr wohl um den Zustand unserer Welt, um anders zu denken und zu handeln.“
  Anna bemerkte mit einem süffisanten Lächeln, dass sie Eleon an der Ehre gepackt hatte und genoss den Augenblick in vollen Zügen. „Ein altes Sprichwort sagt: Wer mit dem Schwert lebt, stirbt durch das Schwert.“, entgegnete sie herablassend, um sofort wieder das Thema zurück zum Kern zu führen. „Also wollt Ihr Euch noch immer mit Maria treffen.“ Sie schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich habe Ihr ausgerichtet, dass Ihr derzeit leider verhindert seid.“
  „Ich danke Euch.“, antwortete er nach einem tiefen Schlucken. Es war ungewöhnlich, der Magierin gegenüber Dankbarkeit zu zeigen, doch er empfand so und beruhigte sich wieder. „Nachdem das geklärt ist, möchte ich Euch fragen, was Euch zu uns zurückgeführt hat. Als Ihr von der „Faust von Maraskan“ geflohen seid, konntet Ihr kaum erwarten, dass wir am Leben bleiben würden. Was war Euer Ziel bei dieser Reise?“
  „Ich kann doch nicht zulassen, dass Maria ihre einzige Möglichkeit verliert, mal einen Mann abzukriegen, der sich um sie kümmert.“, antwortete sie sarkastisch und genoss die Überrumpelung, die sich im Gesicht ihres Gegenübers zeigte. „Vielleicht bin ich Dragomir noch einen Gefallen schuldig, vielleicht habe ich einfach Lust dazu oder vermisse Ramon. Sucht es Euch aus. Meint Ihr das wirklich ernst, was Ihr da fragt?“
  „Ähm... ja, von welchem Mann?“, stotterte Eleon kaum verständlich, dann hatte er sich wieder im Griff. „Was soll ich ernst meinen? Dass ich eher versuche, den einfachen Menschen zu helfen, als mich in große Abenteuer einzumischen?“
  Anna genoss den Moment. Ihre Worte hatten sich von hinten angeschlichen und seine Zunge erdolcht. „Ihr fragt nach meiner Motivation? Ich bekomme von den Kontoren in Kannemünde ein paar Dukaten für meine Dienste. Außerdem: Wenn Unau hustet, dann bekommt Zorgan zwar keinen Schnupfen, aber es ergeben sich Einschränkungen, an denen meiner Familie nicht gelegen ist.“
  Eleon nickte lediglich, noch immer sichtlich aus der Spur gebracht. "Eure Art überrascht mich stets aufs Neue.“, antwortete er schließlich nach einem Räuspern. „Ja, ich meine es Ernst, Anna. Auch wenn die Umstände derartiges wohl kaum erlauben mögen. Nun, für heute weiß ich genug. Ich möchte Euch nicht länger stören. Allerdings, wenn auch Ihr noch ein Anliegen habt?“ Er stand auf, machte aber noch keine Anstalten, den Raum zu verlassen.
  Anna schürzte die Lippen und dachte nach. War das etwa alles, was er wollte? Lag ihm wirklich etwas an meiner Schwester? „Wenn Ihr Euch noch die Frage stellt, warum ich ab und zu verschwinde und wieder auftauche.“, versuchte sie den noch immer im Raum stehenden Vorwurf hinsichtlich ihrer Loyalität auszuräumen. „Ich handle eigenständig und unterwerfe mich nicht dem weltlichen Kadavergehorsam. Bedenkt das, wenn Ihr meine Taten wertet.“
  „Einverstanden, Anna. Ich werde mich Eurer Worte erinnern. Aber auch ich möchte Euch einen Rat geben. Was Ihr unternehmt oder unterlasst, ist mir gleich, solange ich dadurch nicht in Schwierigkeiten komme. Wir befinden uns mitten in einem Krieg und dass die Versammlung gleich unter anderem auch Euer erneutes Fernbleiben zum Thema hat, das könnt Ihr Euch sicher denken.“, versuchte er die junge Magierin zu warnen. „Wenn ihr Eure Tarnung als Adepta aufrechterhalten wollt, dann solltet Ihr mehr Wert auf die Pflichten legen, die diese mit sich bringt.“
  Mit einem verschmitzten Lächeln musterte er die attraktive Erscheinung im Unterhemd, die es sich wieder auf ihrem Bett bequem gemacht hatte. „Viele Magiebegabte sind mir schon begegnet, doch niemand von ihnen war derart gefällig gekleidet.“
  Anna merkte sehr wohl, dass sie das eher als Kompliment, denn als Vorwurf zu verstehen hatte. Daher entließ sie ihren Gast mit einem gewinnenden und beinahe schon verschwörerischen Grinsen: „Ich bin und bleibe eine geprüfte und verbriefte Adepta, unabhängig davon, ob ich Vorschriften einhalte oder nicht.“
  Eleon nickte an der Tür und erwiderte das Lächeln. Das Gespräch war besser gelaufen, als er es jemals für möglich gehalten hatte.