Kapitel 6, Eleon spricht mit Firutin während der Reise durch die Khom

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  Der Gelehrte schaute hinüber und nickte mit einem Lächeln, das nicht wirklich glaubwürdig war. Der Boroni nahm es jedoch als Aufhänger, um endlich seine Neugier zu stillen. „Ihr habt es den anderen bestimmt schon des Öfteren erklärt“, begann er, „doch auch mir stellt sich die Frage, was Ihr mit Sedrox in der Nacht vor unserem Aufbruch unternommen habt und wieso Eure arkane Aura anschließend kaum noch spürbar war.“
  Eleon war gedanklich noch bei der eigentümlichen Gefühlsregung, die so gar nicht zur drückenden Hitze der Wüste passen wollte, daher blickte er zunächst sehr verwirrt drein. „Meine arkane Aura?“, vergewisserte er sich, ob er richtig zugehört hatte. „Offensichtlich könnt Ihr diese Gabe erstaunlich gut einschätzen, Euer Gnaden. Ich denke auch Ihr habt noch einige Überraschungen und Geheimnisse unter Eurer Robe. Doch um Eure Frage zu beantworten: Ja, meine derzeitige Schwäche beruht nicht zuletzt auf einer starken Entladung dieser... ähm… astralen Energie.“ Er schob seinen Ärmel hoch und gesunde Haut war dort zu sehen, wo einstmals die hässliche Narbe war. „Dies sollte zunächst erstmal vieles klären und gleichzeitig weitere Fragen aufwerfen.“
  Auf Firutins Gesicht spiegelte sich ein Lächeln wieder als der Gelehrte ihm den nicht länger vernarbten Arm zeigte. Doch dieses Lächeln war gleichermaßen warm- und kaltherzig, streng und skeptisch, sowie freundlich und überrascht. Es war kaum möglich, diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck genauer zu definieren, doch in den Augen des Geweihten konnte Eleon erkennen, dass er das Interesse des Boroni geweckt hatte.
  „Ich dachte es hätte sich schon unter den Gefährten herumgesprochen.“, fuhr der Druide leise fort. „Ich habe einen Weg gefunden, doch dürfte der für Euch als Geweihten wohl kaum von Interesse sein, Euer Gnaden.“ Er schaute seinem Gesprächspartner direkt in die Augen.
  „Wie könnt Ihr Euch sicher sein, dass Eure Lösung des Problems nicht nach meinem Interesse ist?“, erkundigte sich Firutin gelassen. „Wie Ihr wisst, besitze ich noch ein solches Mal und dass Ihr einen Weg gefunden habt, es zu entfernen, gibt mir nur allzu berechtigten Anlass, interessiert zu sein. Gerne werde ich aufmerksam Eurer ausführlichen Erklärung zuhören. Zeit haben wir ja genügend zur Verfügung.“
  Eleon blickte den Geweihten weiter unverwandt an, wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn und antwortete: „Solange uns der Sturm nicht erwischt, der sich dort vorne aufbaut, stimme ich Euch zu. Also gut: Der Weg allein mag Euer Interesse rechtfertigen, als Anlass für Hoffnung sozusagen. Doch muss ich gestehen, dass mich Eure vorurteilsfreie Behandlung des Themas „astrale Energie“ ein wenig überrascht, Euer Gnaden.“ Firutin bedeutete ihm, ruhig weiter zu sprechen. „Praiadan, ebenso geweiht wie Ihr, ist meinen Fähigkeiten gänzlich abgeneigt und ich bin mir sicher, dass, wenn wir nur näher am direkten Einflussgebiet seiner Glaubensgemeinschaft wären, ich mich bald in Ketten oder lodernder Gefahr befände. Ich hoffe Ihr versteht meine Zurückhaltung. Wenn Ihr mir plausibel den Unterschied zwischen ihm und Euch erklärt, so denke ich noch einmal über meine Antwort nach. Bis dahin werde ich Eure Tugend des Schweigens in Anspruch nehmen, Bruder Firutin.“
  Eleon trieb sein Kamel an, um eine Gesprächspause herbeizuführen, doch schon nach weniger als einem Dutzend Schritte war der Geweihte wieder neben ihm. Sein Blick schien ernster geworden zu sein, jedoch wirkte seine Stimme sehr ruhig und warmherzig, als er das Gespräch wiederaufnahm: „Natürlich verstehe ich Eure Zurückhaltung, doch vergleicht mich bitte nicht mit Praiadan, sondern die Tugenden des Götterfürsten Praios mit jenen des Herrn Boron. Doch habe ich Euch wirklich richtig verstanden? Ihr kennt die Merkmale und Eigenschaften der zwölf Götter nicht? Das mag ich kaum glauben!“
  Eleon blickte Firutin lange an, dann musste er schmunzeln. „Recht habt Ihr, Euer Gnaden. Warum sollte ich Euch misstrauen? Nur weil Praiadan in Zeiten der Not seine Freunde vergisst und Gespenster sieht? Immerhin scheint auch seine Vergangenheit nicht… nun, sagen wir blütenweiß zu sein. Doch davon genug.“, erläuterte Eleon seine ernsten Bedenken. „Ich kenne sehr wohl den Unterschied zwischen den Göttern und Ihr seid Euch dessen bewusst. Ich habe keine Geheimnisse vor Euch Firutin, also fragt, und ich werde antworten. Sprecht aus, was Ihr über mich denkt, und lasst mich vielleicht Eure Sorgen zerstreuen.“
  Der Geweihte nickte ihm wohlwissend und bestätigend zu, als er von den Göttern sprach. „Ich würde gerne von Euch erfahren, wo Ihr in der Nacht wart, wie Ihr die Schnittwunde beseitigen konntet und was für eine Rolle Sedrox dabei spielte.“ Gespannt musterte der Boroni den Gelehrten.
  Dieser vergewisserte sich durch einen vorgeblich harmlosen Rundumblick, ob er gefahrenlos sprechen konnte. Dann erzählte er von seinem Selbstversuch: „Seit der schicksalhaften Begegnung mit der „Faust“ habe ich mich intensiv um eine Lösung des Problems bemüht. Es weist, wie Ihr vielleicht wisst, gewisse Ähnlichkeiten mit den Flüchen der Schwesternschaft Satuarias und einigen alten Beherrschungsritualen meiner Ordensbrüder auf, die, wie ich betonen möchte, in heutiger Zeit kaum noch verwendet werden. Dennoch, meine Erfahrung reicht auch auf derartige Fälle zurück. Ich erkundigte mich bei den Einwohnern Kannemündes nach einem nahen Wald oder einem ähnlich natürlichen Ort. Dorthin wandten Sedrox und ich unsere Schritte. Ihr müsst Euch das eher als eine Pilgerfahrt vorstellen, bei der ihm die Rolle des Begleiters und Bewahrers zufiel. Das Brechen dieser Beherrschung ist also wohl eher eine Glaubensprüfung für den Malträger. Das Mal weißt übrigens eine Art temporärer Komponente auf, die so meine ich jedenfalls, von Tag zu Tag schwächer wird. Was allerdings die geistigen oder seelischen Schäden angeht, so befürchte ich, sie werden uns wohl noch eine viel längere Zeit beschäftigen. Befriedigen Euch meine Antworten, Euer Gnaden? Ihr seht hoffentlich, dass ich ehrlich bin und keinerlei Geheimnisse zurückhalte, wenn es um das Wohl der am Unternehmen Beteiligten geht.“
  In Firutins Gesicht spiegelten sich seine Gedanken ab, doch nach einer kurzen Pause und einem Nicken richtete er eine weiterführende Frage an den Druiden: „Eine Beherrschung... hm... wart Ihr alleine im Wald oder habt Ihr Eure Brüder um Hilfe gebeten, um das Ritual gemeinsam durchzuführen?“
  Eleon wirkte kurz ein wenig verwirrt. „Ich weiß nicht, was Ihr alles von unserer Organisation denkt oder zu kennen glaubt aber nein, ich verfügte nicht über Helfer in dieser Gegend und selbst wenn wir in den weiten Ländern des Bornlandes wären, würde mein Fall mir nicht automatisch die Unterstützung anderer Druiden sichern.“, erläuterte der Gelehrte. „Über weitere… Hilfe… so bitte ich Euch zu schweigen, Euer Gnaden, und verlangt von mir keine Darstellungen über rituelle Aspekte, die Ihr selbst niemals mit mir besprechen würdet. Oder irre ich mich und ich darf auf einige interessante Themen bei Euch zu sprechen kommen?“
  Eleon lachte leise und auch Firutin musste kichern. „Es handelt sich hier einfach um eine Art von Respekt die ich Euch, so wunderlich Ihr auch bisweilen sein mögt, und allen anderen in dieser Sphäre entgegenbringe, den ich dann wohl auch von diesen anderen erwarten dürfte, oder?“, fuhr er etwas kompliziert fort. „Dennoch stoße ich weiterhin mit meinem Ersuchen auf verschlossene Ohren und geballte Fäuste.“ Der Druide seufzte kurz. „Doch das ist wohl ein anderes Thema.“
  „Sagen wir es so, Eleon, einige Eurer Vorväter haben die Kräfte Sumus missbraucht und dadurch Euch und Euresgleichen in Verruf gebracht. Es ist das gleiche Problem wie bei den Hexen oder gewissen Magiern. Es braucht viel Selbstbeherrschung und Demut, um die Macht für das Richtige einzusetzen und nicht jeder ist stark genug, sich dieser Prüfung zu unterziehen. Sind die Dunklen Mächte doch verführerisch und verlockend.“
  Kurze Zeit ritten sie schweigend nebeneinander her, dann ergriff noch einmal Firutin das Wort: „Doch erlaubt mir noch eine letzte Frage. Wie, bei den Zwölfen, ist es Euch möglich den Bann, der auf Euch lag, selbst zu brechen? Nicht mal den Magistern aus Perricum gelang es bis heute, die Formel des Cantus „Beherrschung brechen“ auf sich selbst zu wirken.“
  Auf Eleons Lippen zeichnete sich ein gutmütiges Lächeln ab. „Das, mein guter Freund, soll weiterhin ein Geheimnis der Druiden bleiben, denn ich finde es beruhigend, dass selbst die Allerweisesten dieser Länder und Auen nicht alles wissen.“, entgegnete er verschmitzt. „Ich hoffe Ihr verzeiht mir meinen Stolz und wisst um die Gnade dieses Wissens, das, ebenso wie alles zuvor gesprochene, lediglich zwischen uns gesagt bleiben soll. Meine jungen Jahre gebieten mir bei meinem Redefluss Einhalt, wenn ich jenen Ahnen, die Ihr verurteilt, weil sich Ihr Wirken Euch nicht erschließt, den Respekt erweise, der ihnen gebührt und über Dinge, die sie nicht mit offenen Herzen teilten, auch meinerseits schweigen werde. Vielleicht ist die Zeit irgendwann reif dafür, doch bin ich weder in der Situation noch in der Lage dies heute zu entscheiden. Trotz allem hoffe ich, Eurer wahrhaft Hesinde gefälligen Neugier genüge getan zu haben. Es wird einst die Zeit kommen, da ich mit fragendem Blick vor Euch treten werde und hoffe, dass dieses Gespräch auch bei Euch einen ebenso nachhaltig positiven Eindruck hinterlassen hat.“
  Firutin nickte dem Druiden freundlich zu. „Das Schweigen ist eine Tugend, werter Eleon. Falls Ihr eines Tages bereit seid, zu reden, dann werde ich Euch gerne zuhören.“, sicherte der Boroni dem Gelehrten Vertraulichkeit zu. „Und falls Ihr Euer Wissen einst mit den weisen Magiern von Perricum teilen wollt, gebe ich Euch gerne eine Empfehlung, so dass Ihr von Magistrat Olorand von Gareth-Rothenfels persönlich empfangen werdet. Ist Euer Wissen doch beachtlich und wohl verdient.“ Firutin schaute sich kurz um. „Eine allerletzte Frage hätte ich doch noch, eine die Ihr bestimmt schon oft beantwortet habt. Ist es Euch möglich, die Gemeinschaft von diesem Bann zu lösen?“, brachte der Boroni sein letztes Anliegen vor.
  „Wie Ihr meint, Firutin, doch ich sehe mich als einfachen Heiler, der lieber in Freiheit durch die Dörfer zieht, als großen Rätseln in staubigen Kammern nachzueifern.“, ging Eleon zunächst auf das Angebot seines Gegenübers ein, um dann seine Frage zu beantworten: „Diese Frage beschäftigt alle, die davon wissen. Aber ich habe keine verbindliche Antwort. Ich werde einen erneuten Versuch unternehmen, wenn ich wieder bei Kräften bin und wir diese Wüste hoffentlich hinter uns haben werden. Doch glaube ich nicht, dass es einen Allheilzauber gibt, den es einfach anzuwenden gilt. Wie schon gesagt, es liegt eher an der Stärke des Opfers und dessen Widerstand, als an meinen Kräften. Vielleicht gibt es noch alternative Möglichkeiten. Schließlich hat jede Profession ihre eigenen Wege, mit solchen Situationen fertig zu werden, nicht wahr, Euer Gnaden?“
  „Eleon, Ihr seid noch jung und habt noch genügend Zeit, um Eure Meinung zu revidieren, was die staubigen Kammern angeht.“, erwiderte Firutin freundlich. „Doch ich muss Euch Recht geben, jede Profession hat Ihre eigenen Wege. Doch in einem Punkt muss ich Euch widersprechen: Es gibt einen Allheilzauber, jenen bringt jedoch nicht Ihr, sondern unser Väterchen Satinav.“ Beim letzten Satz zeigte das Gesicht des Geweihten ein warmes Lächeln, welches das hinterste und letzte Eck der Seele Eleons wärmte.
  Der Gelehrte nahm es dankbar auf und blickte dann lange zum wolkenverhangenen Horizont. Als Firutin schon kaum mehr mit einer Antwort rechnete, meinte der Druide: „Es ist schon seltsam, Euer Gnaden, dass wir uns jetzt hier befinden. Unser Ziel scheint, je weiter wir zu ihm vorzudringen versuchen, immer flüchtiger und verschwommener zu werden. Je länger ich darüber nachdenke und versuche, die Zusammenhänge zu entwirren, desto mehr drängt sich mir der Verdacht auf, dass wir konsequent sabotiert oder unterwandert werden. Es gibt einfach zu viele Zufälle. Noch habe ich keinerlei Beweise bis auf mein ungutes Gefühl, deshalb frage ich Euch, was denkt Ihr?“
  „Es gibt keine Zufälle, Eleon. Alles ist uns vorherbestimmt.“, entgegnete Firutin ruhig und sanft. „So werdet Ihr, habt Ihr ein rechtschaffendes Leben geführt, einmal vor dem Herrn Boron stehen und um Einlass in das für Euch bestimmte Paradies bitten. Ihr mögt vielleicht jetzt den Sinn noch nicht erkennen, doch Ihr werdet schon noch zu verstehen wissen.“
  Eleon blickte noch sehr lange auf die immer näher kommenden, mittlerweile rötlich finsteren Wolken am Horizont und dachte über Firutins Worte nach.