Kapitel 6, Adriego mit Dragomir in der Khom

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  Der Freiherr besprach sich erneut kurz mit Faruk, dann gab er das erlösende Kommando: „Halt! Wir rasten hier.“ Da es in der sandigen Ödnis, sie hatten vor wenigen Stunden den Lauf des Chanebbeckens verlassen, keinen geeigneten Platz zu entdecken gab, pausierten sie schlicht am Hang der nächsten Düne. Während seine Gefährten am Fuß des Sandhangs von den Kamelen stiegen und ihre müden Knochen streckten, erklomm der Freiherr die nahe Düne und richtete auf dem Grat, kerzengerade und die Hände hinter dem Rücken verschränkt, seinen Blick nach Norden.
  „Hochgeboren?“, riss ihn Adriégo nach einigen Minuten aus seinen Gedanken. „Auch wenn ich in der letzten Nacht wohl noch am meisten geruht habe, so fand ich doch keinen Schlaf. Seit zwei Tagen und zwei Nächten sind alle, die mit Anna Rand hierher kamen, nun ohne echte Schlafgelegenheit. Ich halte das wahrscheinlich noch eine Weile aus, aber wir haben auch Frauen dabei. Auch solche, die so etwas nicht gewohnt sind, wie die junge Draconiterin zum Beispiel. Bedenkt das bitte!“ Auch wenn der Almadaner das Gesagte durchaus ernst meinte, sah sein Gesicht alles andere als so aus, als ob er „das noch eine Weile aushalten“ würde. Dunkle, tiefe Ränder unter den Augen zierten das sonst so schöne und vornehmlich fröhliche Gesicht des Puniner Schwertgesellen.
  Dragomirs Blick schweifte bei Adriegos Worten über den träge fließenden Chaneb in der Ferne hin zu dem gelblichbraunen Dünenmeer, das sich vor ihnen erstreckte. „Die Khom, unendliche Weiten.“, entgegnete der Ritter, ohne seinen Gesprächspartner zunächst anzuschauen. „Na gut, bis hier.“ Schmunzelnd drehte er sich um und legte Adriégo eine Hand auf die Schulter. Das Schmunzeln wich einer nachdenklichen Miene, als der Freiherr auf die Gefährten am Hang der Düne blickte. „Ich bin mir sicher, dass Ihr es durchhalten würdet, Herr Manzanáres, und ich schätze Euren Edelmut. Doch wir haben nun die offene Wüste erreicht. Rasten wir jetzt, müssten wir bis zum Nachmittag warten.“, erklärte er dem Almadaner. „Andererseits. Hm… gehen wir zu den anderen.“
  „Habt Ihr sie je zuvor gesehen, Don Dragomir?“, verweilte Adriégo noch einen Moment auf der Düne und betrachtete nun seinerseits die unbeschreibliche Weite der Khom. „Ich wohnte einst so nah an dieser Wüste und dennoch hätte ich mir nie erträumen können, wie sie aussieht. Zum Glück bin ich den Pfaden des Aves gefolgt, sonst wäre mein Horizont so eingeschränkt wie der vieler meiner Landsleute.“ Wunderschön war sie also, die verteufelte, stinkende, tödliche Wüste. Wie viele Ignoranten von Schönheit es doch selbst bei uns in Punin gab, dachte er bei sich.
  „Mein Weg führte mich schon einmal in das Land der Ersten Sonne.“, bestätigte Dragomir mit einem verträumten Blick bei der Erinnerung an vergangene Tage, als er mit seinen Freunden Connar, Calidus und Dirion hier gewesen war. Wie lange war das her? Zehn Jahre oder gar mehr? „Die Wüste kriegt jeden, sagt man, sei es durch einen solchen Anblick, hier im ersten Licht des Herrn Praios, oder durch ihre todbringende Unerbittlichkeit.“ Still folgte sein Blick dem des Schwertgesellen. „Dafür keltern Eure Landsleute den besseren Wein.“, fügte er trocken hinzu und wandte sich zum Gehen.
  „Das auf jeden Fall.“, seufzte Adriégo in einem Anfall von Heimweh und folgte seinem Anführer – und Freund? – zu den anderen Gefährten.