Kapitel 5, Eleon im Streit mit Ramon in Kannemünde

Aus nv-wiki.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
  Doch als der Südländer aufstehen wollte, brach Eleon sein Schweigen und erhob sich selbst. Bedrohlich leise aber doch bestimmt fuhr er ihn an: „Das war ziemlich dumm, Ramon! Ich hätte Euch mehr Verständnis für unsere derzeitige Situation zugetraut. Anstatt hier zu brüten und jeden dahergelaufenen Zuhörer Euer Leid zu klagen, könntet Ihr diejenigen unterstützen, die verzweifelt versuchen Euch und alle anderen davon zu befreien. Es stärkt nicht gerade unsere Position, wenn wir die bestehenden Gerüchte auch noch unnötig bestärken.“ Zornig blickte er in die irritierten Gesichter seiner Gefährten, doch es war noch nicht alles gesagt. „Verdammt, Leute! Wir werden einen Weg finden, reißt Euch alle zusammen. Wir haben wacker gekämpft und uns in einem aussichtlosen Kampf überwältigend gut geschlagen. Wir sind am Leben und haben in nächster Zeit Ruhe vor vielen Gefahren unserer Reise. Dabei sollten wir es belassen.“
  Dann wandte er sich dem Neuen in der Runde zu: „Und Ihr, Adron, werdet nun zumindest mit dem Ritter sprechen dürfen. Und bis dahin bitte ich Euch, mit Euren Fragen vorsichtiger zu sein. Ihr habt schon genug von dem erfahren, was Euch Euren Kopf kosten könnte.“ Die Augen des Druiden funkelten zornerfüllt und niemand am Tisch rührte sich oder sagte ein Wort.
  „Sedrox, ich habe vor, mir morgen die nähere Umgebung einmal genauer anzusehen, magst du mitkommen?“, wechselte Eleon schlagartig das Thema.
  Der Zwerg nickte vor Überraschung lediglich, erst Adron fand wieder zu Worten zurück. „Ich kenne weder Euer Ziel, noch Euren Auftrag, auch was es mit diesen Wunden auf sich hat, das kann ich nur vermuten. Aber wenn Ihr meine Hilfe gebrauchen könnt, so nehmt davon so viel ich geben kann.“ Er blickte von einem zum anderen. „Wenn Ihr erlaubt, dann begleite ich Euch.“ Schließlich wandte er sich vorsichtig lächelnd an Eleon: „Ich hoffe das klang eben mehr nach einer Drohung, als Ihr es beabsichtigt hattet. Trotzdem behalte ich Euch zuliebe meine Fragen nun erstmal für mich.“
  Eleon hingegen bedachte Adron nur mit einem mitleidigen Blick und sagte dann seufzend: „Nehmt es mir nicht übel, aber Ihr habt nicht die geringste Ahnung, und ich für meinen Teil möchte es dabei auch belassen, solange die Umstände mich nicht dazu zwingen.“ Mit einem bitteren Blick richtete er sich erneut an Ramon, der ihn äußerlich gelassen, jedoch innerlich infernalisch kochend aus lodernden Augen anstarrte. „In einem Punkt stimme ich Euch zu. Wir sollten alle zurück an Bord der „Trutz“. Sonst werden wir noch unvorsichtig und gefährden am Ende Unschuldige, nicht wahr? Keiner kann mit Sicherheit sagen, wo diese Reise endet, doch ich weiß, dass es hier für uns nicht sicher ist, solange wir unnötig Staub aufwirbeln. Also, trinkt aus und lasst uns gehen!“ Wütend leerte der Druide seinen Humpen und bedeutete der Bedienung, dass er zu zahlen wünsche.
  Adron blickte ihn ernst an, verkniff sich aber eine nicht sehr dipolmatisch gewählte Erwiderung und widmete dem Gelehrten demonstrativ keine besondere Aufmerksamkeit mehr.
  Gerade als Eleon gehen wollte, packte Ramon ihn blitzschnell am Arm und nahm sich den kleineren Gelehrten ernst zur Brust: „Ich für meinen Teil vertraue Ihm und dies ist meine Expedition, falls Ihr das noch nicht mitbekommen habt.“, fauchte er den Druiden nur mühsam beherrscht an. „Und anders als durch mein oder Dragomirs Vertrauen ist niemand unter uns, auch Ihr nicht, Eleon! Vergesst das niemals!“ Trotzig und wütend stapfte der Südländer aus der Taverne, lediglich kurz einige Silber auf die Theke knallend.
  Mit einem letzten, fast entschuldigenden Blick auf Adron, wandte sich auch Eleon um und verließ ebenfalls das Gasthaus. Er hegte nun nicht mehr den Wunsch, dass einer der anderen ihn begleitete. Vor der Tür angekommen blickte er zunächst finster Ramon hinterher, der sich zum Hafen bewegte, schlug dann seinen Mantel hoch und den Weg vom Hafen weg ein. Er musste sich Luft verschaffen und seine Gedanken neu ordnen. Dabei fiel ihm der Brief Sumudans ein, den er im Eifer des Tages in seiner Tasche komplett vergessen hatte. Immer langsamer gehend las er Sumudans Abschiedsbrief. Schließlich, die Taverne mit den anderen war längst kaum noch zu sehen, blickte er auf und verstand. Er hat Sumudans Flucht irgendwo innerlich erwartet, doch nun, mit diesen wenigen Zeilen in der Hand, fühlte er sich allein und vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ohne Hoffnung. So ähnlich würde sein Freund wohl auch gefühlt haben, als er allein in seiner Kabine lag. Eleon fühlte erneut tiefste Schuld, sie holte ihn ein und überfiel ihn wie eine längst verdrängte Angst mit der tödlichen Gewissheit, soeben einen guten Freund verloren zu haben. Das der Gemeinschaft eingeflößte Gift begann bereits zu wirken – und Sumudan hatte es gewusst.
  „Warte, Eleon, mach keine Dummheiten!“, hörte er auf einmal Sedrox‘ Stimme hinter sich.
  Instinktiv hob der Druide abwehrend seine rechte Hand. Zunächst wollte er den Zwerg abweisen, doch dann winkte er hin heran. „ Du hast Recht, Sedrox.“, flüsterte er ihm bestätigend zu. „Doch der Weg ist nun einmal eingeschlagen. Die Gemeinschaft zerfällt, wenn wir nicht aufpassen, dafür braucht es keine Gegner und Wunden.“ Unbewusst fasste er sich an das Mal, für viele Beziehungen innerhalb der Gruppe die einzige Verbindung, ein gemeinsamer Schicksalsfaden. „Auch Ramon wird erkennen, dass er mit dieser Handlung keinen guten Weg eingeschlagen hat. Ich werde nicht zurückkehren, wenn man auf meine Hilfe verzichten kann. Vorert jedenfalls.“
  Sedrox wollte etwas erwidern, doch Eleon ließ das nicht zu. „Kehrt alle zurück auf die „Trutz“ und achtet darauf, dass Adron euch nicht entwischt. Das letzte was wir brauchen ist ein verängstigter Schwertschwinger, der den Mob gegen uns aufbringt. Dragomir wird schon eine Lösung finden. Wenn du mich morgen noch begleiten magst, dann triff mich am Tempel der Peraine beim ersten Anblick der Praiosscheibe. Lass dir von Feylia den Weg zeigen, denn sie will sicher auch mit. Gute Nacht mein Freund. Lass es für heute gut sein.“ Eleon wandte sich um und verschwand schnell in einer Seitengasse.
  „Ich werde da sein. Bis morgen.“, rief Sedrox ihm halblaut hinterher, denn ihm war klar geworden, dass er heute nichts mehr erreichen würde, was die Auseinandersetzung zu einem guten Ende führen könnte.
  Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten die Gefährten schließlich die im Süden gelegene Hafenwache. Durch die offene Tür war im Schein einer Öllampe bereits zu erkennen, dass es mittlerweile auch Ramon wieder besser ging. Er saß auf einem Stuhl und ließ sich bereitwillig von Eleon mit einem kalten Tuch das geschwollene rechte Auge kühlen. Die übrigen Wachen hatten sich offensichtlich dringendere Aufgaben gesucht, wie von Bredering mit verzogenen Mundwinkeln zur Kenntnis nahm.
  Als Sedrox Eleon wahrnahm, rannte er so schnell er konnte an Dragomir und den beiden anderen vorbei und breitete seine Arme aus. Numba musste schmunzeln und Adron kicherte leise, doch der Ritter zog irritiert und verärgert die Augenbrauen zusammen. Als er jedoch beobachtete, wie der kleine Zwerg seinem doch recht großen Freund um den Hals fiel – oder es vielmehr versuchte – musste auch er überrascht schmunzeln.
  „Wie geht's?“, nahm er Ramon das Tuch aus der Hand, das Eleon beim Ansturm Sedrox‘ aus eben jener hatte gleiten lassen. Mit geübtem Blick musterte er das blaue und dick angeschwollene Auge, drückte mal hier und dann mal dort.
  „Dank Eleon schon wieder besser.“, rang sich der Südländer mühsam ein Lächeln ab.
  „Rohes Fleisch hilft.“, gab der Freiherr schmunzelnd ein altes Familienhausmittel zum Besten, doch dann erinnerte er sich der unangenehmen Situation, die sie alle hier im Wachhaus zusammengeführt hatte. „Gut, Freunde, wie ist es dazu gekommen?“, fragte er die beiden Vermissten mit zurückkehrender Ernsthaftigkeit.
  Ein spöttiches Lachen entfuhr Ramons aufgeplatzten Lippen und sogleich floss wieder Blut sein Kinn hinab. „Die Büttel sagen, ich hätte mich meiner Verhaftung widersetzt. Ich sage, ich war unschuldig und habe mich nur zur Wehr gesetzt.“, erklärte er den Anwesenden, um dann doch etwas zu relativieren. „Gut, vielleicht hätte ich nicht gleich blank ziehen sollen.“ Ein Achselzucken des Südländers deutete an, dass er sich wohl mit den ungünstigen Konsequenzen seiner Entscheidung abgefunden hatte und in der Tat wirkte er auf seine Gefährten nicht mehr nachtragend gegenüber Eleon oder sonst wem aus der Gefährtenschaft.
  „Sehen die anderen wenigstens schlimmer aus?“, erkundigte sich Adron halb im Scherz.
  „Einer schläft noch!“, versetzte Ramon grinsend.
  Eleon reichte ihm kalten Tee. „Trink lieber was, als Heldengeschichten zu erfinden. In Wahrheit war die Stadtwache ihm vier zu eins überlegen.“, klärte der Gelehrte die anderen auf. „Daher hat unser Schlaumeier hier auch viermal soviel einstecken müssen, als er austeilen konnte.“ Doch auch in den Worten des Druiden schwang keine Böswilligkeit mehr mit, was alle Zeugen der Auseinandersetzung vor gerade mal zwei Stunden positiv überraschte.
  Ramon trank einen Schluck, spuckte aber sofort eine gallertartige Mixtur aus Speichel, geronnenem Blut und Tee auf den Boden. Von Bredering verdrehte genervt die Augen.
  „Mir selbst fehlt eigentlich nichts, danke der Nachfrage.“, scherzte nun auch Eleon. „Zudem, muss ich ehrlich gestehen, bin ich an dem Vorfall auch nicht ganz unbeteiligt. Nach den langen Tagen auf See muss ich mich in einer hiesigen Taverne erst in der Anzahl meiner Humpen und dann auch noch im Ton vergriffen haben. Jedenfalls brauchte ich frische Luft und wollte mir die Beine vertreten, als ich unversehens über das jüngste Opfer dieser rauen Stadt stolperte.“ Der Gelehrte wurde schlagartig ernst. „Velian Schiffersmann, wenn ich mich recht entsinne. Der Arme war nicht zu retten, und da Ramon und ich ungünstiger Weise als einzige am Tatort aufgefunden wurden, naja…“
  Eleon blickte kurz zum Hauptmann, der jedoch mit einem Nicken zu verstehen gab, dass er ruhig weiter seine Sicht der Dinge schildern konnte. „Nunja, ich habe versucht, die Situation zu klären, doch der gute Ramon war wohl noch von unserem Streit übermässig erhitzt und wiedersetzte sich seiner in der Tat unrechtmäßigen Festnahme. Das Ergebnis ist jedenfalls deutlich an seinem verbeulten Gesicht zu erkennen. Es stand außer Frage, dass Ihr sogleich informiert werden musstet.“, schloss Eleon seinen Bericht. „Ich hoffe, Ihr hattet noch nicht mit dem Essen begonnen, Dragomir.“
  Dragomir hatte mit verschränkten Armen geduldig und aufmerksam zugehört. „Ist das südländische Blut ins Kochen geraten?“, merkte er schmunzelnd an Ramon gewandt an, widmete sich dann jedoch wieder dem Gelehrten. „Wir waren gerade beim Essen, danke der Nachfrage.“, versetzte er trocken und mit einem seltsamen Funkeln in den Augen. Dann jedoch wurde er schlagartig wieder freundlicher: „Zunächst will ich genau wissen, was passierte, nachdem Ihr die Taverne verlassen habt.“
  Geduldig wartete der Freiherr auf eine Antwort, doch Eleon gab zunächst erneut Ramon zu trinken. Praiadan seinerseits tobte innerlich und blinzelte immer wieder zornerfüllt zwischen Eleon und Ramon hin und her, vor allem aber missfielen ihm der unangemessene Ton und das nonchalante Auftreten des Gelehrten. „Muss ich nachhelfen?“, erkundigte er sich eiskalt und Eleon riss sich tatsächlich merklich zusammen.
  Er setzte sich auf einen freien Stuhl und wirkte auf einmal müde und geschafft, als er noch einmal das Geschehene für seine Gefährten rekapitulierte. „In meiner selbstverschuldet schlechten Verfassung suchte ich eine ruhige Gasse zum ausruhen und nachdenken auf, als ich durch Kampfgeräusche aufgeschreckt wurde. Ich eilte sofort in ihre Richtung, allerdings konnte ich dem Opfer nicht mehr helfen und lediglich einen kurzen Blick auf die bereits enteilenden Mörder werfen. Wie ich Hauptmann von Bredering schon berichtete, der mich kurz nach Ramon bei der Leiche antraf, war einer der Täter zweifelsohne ein Novadi, dem Kleidungsstil und der Waffe nach zu urteilen. Ramon versuchte sofort, sie nach meinen Angaben zu verfolgen und wurde aufgrund seiner Geschwindigkeit wahrscheinlich selbst für einen der flüchtenden Täter gehalten. Ich klärte von Bredering über die Situation auf, doch der folgenschwere Irrtum…“, Eleon deutete auf Ramons buntes Auge, „…hat sie unötigerweise verschärft. Es ist wichtig, dass wir mit der Stadtwache zusammenarbeiten, nicht zuletzt da sich hier eine erste Möglichkeit bietet, mehr über unser Mal zu erfahren.“
  Praiadan schnappte laut nach Luft über diese erneute Indiskretion dem Offizier und Adron gegenüber, doch Eleon ließ ihn mit unendlicher Schadenfreude und Genugtuung auflaufen: „Übrigens, Hauptmann von Bredering erfuhr von mir alle Informationen zur Begegnung mit der „Faust“, soweit sie für diesen Fall von Relevanz sind, sowie das Ziel unserer Reise. Wenn es jetzt nichts mehr zu klären gibt, würde ich mir und Ramon die Rückkehr zur „Trutz“ und den Weg in die Koje dringend nahelegen.“ Der Gelehrte erhob sich und blickte hoffnungsvoll zu Dragomir, die giftigen Blicke Praiadans geflissentlich ignorierend.
  „Entschuldigt, wieviele Täter sagtet Ihr waren es?“, erkundigte sich Adron kurz. „Und wo genau geschah der Mord eigentlich?“
  „Ihr stellt zu viele Fragen.“, presste Praiadan zwischen den Zähnen hervor und tastete unbewusst nach dem Griff seines Sonnenszepters.
  „Natürlich werden wir mit den Kameraden der Stadtgarde zusammenarbeiten.“, antwortete Dragomir geradezu bissig auf Eleons Bericht, um dann kühl fortzufahrenen. „Wir kehren gemeinsam zur Trutz zurück. Vorher sehen wir uns jedoch noch den Tatort an.“ Er bedeutete dem Gelehrten und Ramon, vorzugehen und nahm sich kurz von Bredering bei Seite. „Wo ist die Leiche? Ich will sie sehen.“, flüstert er gerade so laut, dass nur der Offizier es hören konnte.
  Adron ignorierte den rot angelaufenen Geweihten und wandte sich an den verletzten Südländer. „Könnt Ihr alleine gehen oder braucht Ihr Hilfe?“, erkundigte er sich zwar freundlich, schien allerdings auch nicht mehr sonderlich gut gelaunt.
  „Über die genaue Anzahl bin ich mir nicht im Klaren, aber ich kann mich zweifelsfrei an zwei Männer erinnern.“, erklärte Eleon dem blonden Krieger, als sie kurz darauf nebeneinander zum Ort der Tat gingen. „Beide trugen schwarze Kleidung und einer führte ein Waqqif, die Mordwaffe. Leider sind sie trotz meines raschen Auftretens entkommen. Ramon jedenfalls braucht jetzt Ruhe, Dragomir. Ich werde ihn zurück zur Trutz begleiten. Hauptmann von Bredering, seid Ihr so freundlich und führt unsere Gefährten noch zum Tatort?“
  „Ihr impertinentes, selbstgerechtes Ar…“, platzte es urplötzlich aus Praiadan heraus und der Geweihte ging ungestüm und mit verzerrten Gesichtszügen auf den Druiden los. Doch noch bevor er Eleon schaden konnte, rissen ihn die kräftigen Arme Adrons von seinem Opfer weg. Der Praiot stolperte über Sedrox – ob Absicht oder nicht, das war so schnell für keinen der Gefährten ersichtlich – und landete mit einem dumpfen Aufprall im Staub der Straße. Sofort stellten sich von Bredering und Dragomir zwischen die beiden Akteure.
  „Zurück zum Schiff, Euer Gnaden, sofort!“, polterte Dragomir trotz Grabesstimme aberwitzig laut los und wies Richtung Hafen. „Ihr vergesst Euch, Praiadan!“