Kapitel 4 - Sumudan trifft Dragomir

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  Nach einer langen und arbeitsreichen Nacht in den Archiven und der Zusammenstellung einer beträchtlichen Menge an hilfreichen Informationen über die Blutige See und die May’hay’tamin, erholte sich Dragomir am frühen Morgen im heißen Wasser einer steinernen Wanne im warmen Baderaum der Löwenburg. Sein drahtiger Körper zollte der geistigen und körperlichen Erschöpfung Tribut und der bornische Hauptmann schlummerte schon eine ganze Weile träumend vor sich hin.
  Als sein Gesicht schließlich doch irgendwann unter Wasser geriet, schreckte er auf, zwinkerte einige Male, um das störende Nass aus seinen Augen und eine dunkle Erinnerung aus seinem Traum aus dem Kopf zu vertreiben, und orientierte sich mit noch weit entfernt verweilenden Gedanken im Raum. Der dunkelhäutige Mann in der Nachbarwanne der Badestube schien ihm so gar nicht in eine Tempelanlage der Herrin Rondra zu passen und doch kam er dem Freiherrn irgendwie bekannt vor. „Sumudan von Sinoda?“, murmelte er verschlafen, mehr zu sich selbst als zu dem Mann zwei Schritte neben ihm.
  Doch sein Nachbar, der ebenfalls tief in Gedanken versunken war, schaute tatsächlich für einen Moment auf, tauchte kurz unter und musterte dann intensiv das markante Gesicht des Bornländers. Ein breites Lächeln huschte über sein braungebranntes Gesicht. „Bruder Dragomir, das ist ja eine Überraschung!“, begrüßte er ihn voll ehrlich gemeinter Freude. „Ich wusste, dass es die göttlichen Zwillinge gut mit mir und meinem Auftrag meinen! Wie lange ist das schon her, dass wir uns in Festum kennenlernten?“ Der Maraskaner, denn um einen solchen handelte es sich bei Sumudan offensichtlich, setzte sich in seiner Badewanne auf und wandte seine ganze, übraus einnehmende Aufmerksamkeit dem doch recht bleichen und müden Ritter zu.
  „Ein paar Jahre wohl schon.“, antwortete der Dragomir noch immer von der Zufallsbegegnung überrascht, nachdem er sich zwei Handvoll Wasser in sein Gesicht gespritzt hatte, um richtig wach zu werden. „Meint Ihr wirklich, dass es eine solche Überraschung ist, wenn man bedenkt, wer uns damals miteinander bekannt machte? Demnach ist der Umstand, dass wir uns in der Badestube treffen überraschend, nicht aber das Treffen an sich.“
  Sumudan schmunzelte und griff zur Seife, um sich den Oberkörper einzuschäumen. Scheinbar nebensächlich beantwortete er die Frage Dragomirs mit einem wissenden Grinsen in seinem wettergegerbten Gesicht: „Ach, wieso denn nicht? Ich hatte nur die Eingebung, hier in Perricum Unterstützung für den Freiheitskampf meiner Heimat zu finden. Und wen senden mir da die verehrten Zwillingsgeschwister? Einen alten Freund, noch dazu einen versierten Kämpfer gegen das Bruderlose!“ Der Maraskaner legte die Seife beiseite, tauchte kurz ab und wartete dann geduldig auf eine Antwort aus der Nachbarwanne.
  „Wie man es auch immer sehen mag, uns scheint ein gemeinsames Stück auf dem Weg des Lebens und im Kampf gegen die Frevler bestimmt zu sein.“, lächelte Dragomir seinen alten Freund an, reckte sich in seinem Zuber und streckte seinem alten Kameraden die Hand hinüber, in die dieser seinerseits kräftig einschlug.
  „Das will ich wohl meinen! Doch nun sagt: Was führt Euch nach Perricum, außer dem einsetzenden Frühling und den herrlich knospenden Blüten?“
  Der Bornländer überlegte kurz, dann huschte ein düsteres Lächeln über sein Gesicht. „Eben jener Kampf gegen die Frevler. Ich bin gewissermaßen auf der Durchreise, auf dem Weg in die Kolonien. Und Ihr, werter Sumudan? Ihr spracht von einer Eingebung.“
  Der Maraskaner grinste ihn strahlend an und offenbarte dabei eine sympathische Zahnlücke zwischen den Vorderzähnen. „Ja, das ist richtig. Ich suche tapfere Recken die uns helfen, die Schergen des Verräters auf Maraskan weiter zurückzuschlagen. Und ich denke ich habe soeben eine ausgesprochen hilfreiche Hand gefunden.“, freute er sich diebisch, nahezu wie ein kleines Kind über ein überraschendes Geschenk. „Es ist wie immer im Leben: Ich helfe Euch und Ihr helft mir! Einverstanden?“ Sumudan reichte seinem Gegenüber abermals die Hand, um die Abmachung zu besiegeln.
  „In guter Tradition.“, entgegnete der Ritter seinem Gegenüber mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen und schlug ohne zu zögern ein.
  Der Maraskaner drückte auch diesmal ausgesprochen kräftig zu. „Richtig, in guter Tradition! Wann geht es los? Wo geht es hin?“ Mit einem Mal wirkte der dunkelhäutige Krieger wie ein Tiger auf dem Sprung, zumindest spannten sich seine deutlich definierten Muskeln spürbar an und er machte sich geistig bereit, unverzüglich aufzubrechen.
  „Gemach, Sumudan, immer mit der Ruhe.“, entgegnete der Ritter schmunzelnd und lehnte sich wieder entspannt in seiner Wanne zurück. Sein Blick hingegen schweifte aufmerksam wie der eines Raubtiers durch den Raum, doch er konnte keinen ungebetenen Zuhörer ausmachen. „Wir suchen in den Archiven der Löwenburg und der kaiserlichen Marine nach Informationen über die Dämonenarchen.“, begann er schließlich leise zu erklären. „Da wir auf unserem Weg zu den Waldinseln, nach Sant Ascanio, um genau zu sein, die Blutige See passieren, ist das vielleicht zu unserem Vorteil. In Sant Ascanio wollen wir nach dem Rechten sehen. Ungutes wird von dort berichtet.“ Dragomir schaute den Maraskaner eindringlich an. „Morgen früh stechen wir erneut in See. Bis dahin schlage ich vor, wir klappern auch Eure Kontakte in Perricum ab, ob sich noch weitere Informationen finden lassen.“
  Sumudan stieg dennoch äusserst schwungvoll aus der Wanne, griff sich einen der bereitliegenden Bademäntel aus Baumwolle und setzte sich auf eine hölzerne Bank gegenüber der mächtigen Badezuber. „Nun, ich verfüge hier zurzeit über eine einzige Quelle.“ Der etwa neunzig Finger große Mann tippte sich frech grinsend an die eigene Stirn. „Für die meisten Menschen hier bin ich nur ein Fremder, ein Verräter. Ich muss ganz vorsichtig sein, mit wem ich mich einlasse. Wie Ihr sicherlich versteht.“ Seine Hände wanderten zu einem grünbraunen Leinenhemd, das sorgfältig gefaltet auf der Bank lag.
  „Dann seht in mir einen Verbündeten, Sumudan – in guter Tradition.“, entgegnete Dragomir mit einem verschmitzten Lächeln. Auch er griff nun nach einem trockenen Tuch und stieg aus der Wanne. Dabei offenbarte er einen nahezu makellosen Körper, schlank und eher drahtig-muskulös als massig. Nur kleinere Narben zeugten von diversen Gefechten, bis auf eine dunkle Verfärbung an der linken Schulter, die aussah, als wäre sie in ihrem Wachstum gestoppt worden. Eine schmale, noch dunklere Narbe lag im Zentrum des eigentümlichen Mals.
  Den Maraskaner durchfuhr sofort ein stechender Schmerz, wohl eher eine unangenehme Erinnerung als reale körperliche Pein. Schnell drehte er sich um, ergriff seine weite Hose und zog sie sich an. Dann wandte er sich seinem Zuber zu und entleerte sein Badewasser. Anschließend wrang er sich in aller Ruhe die schulterlangen, glatten schwarzen Haare aus, um sie sogleich kunstvoll zu einem Zopf zu flechten. Erst jetzt blickte er wieder zu Dragomir auf. „Wann treffen wir uns wieder? Man wird mir sicherlich keinen Zugang zu den Archiven gewähren. Sagen wir zur Hesindestunde im Rondratempel?“
  Auch der Freiherr hatte sich abgetrocknet und angekleidet, was ob seiner militärisch kurzen Haare deutlich weniger kompliziert verlief. „Zur Hesindestunde? Das wäre wohl zu früh.“, entgegnete er nach einem prüfenden Blick nach draußen. „Wie wäre es mit Essen?“
  „Gute Idee! Geht doch schon mal vor, ich komme dann nach, sobald ich mein Haar wieder knotenfrei bekommen habe!“ Sumudan löste seinen gerade erst gebundenen Zopf, kramte einen groben Kamm aus seinem Rucksack hervor und begann erneut, seine schwarzen Haare zu bändigen.
  Dragomir nickte zustimmend. „Dann kann ich Euch einige meiner Mitstreiter vorstellen, sofern sie es zum Abendmahl schaffen.“ Er zog sich seine schwarze Jacke mit dem eingestickten Schwert Siebenstreich über und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um: „Ihr wisst wohin?“
  „Ich werde den Speisesaal schon finden, Dragomir!“, antwortete der Maraskaner mit einem euphorischen Lächeln. „Preiset die Schönheit und bis später!“