Kapitel 4 - Sumudan betritt die Trutz von Neersand

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 Während Jurge fehlte und Rondrik bereits an Bord war, begleitete die beiden ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Mann, der seine schwarzen Haare zu einem eigentümlichen Zopf auf seinem ansonsten haarlosen Haupt geflochten hatte. Aus seinen dunkelbraunen Augen funkelten fast mit den Händen greifbare Lebensfreude sowie kaum verhohlene Neugier und Abenteuerlust. Seine gebräunte Haut zeugte von einem Leben in wärmeren Gefilden, seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und schön konturiert. Die wohlgeformten Mandelaugen eines Maraskaners rahmten eine etwas zu spitze Nase ein. Der Neuankömmling trug eine grüne Tuchrüstung mit vielen kleinen hellblauen Punkten als Muster, dazu einen Krummdolch und einen Pfeilköcher für den Kurzbogen, der an seinem Rucksack auf der rechten Seite befestigt war. Auf der linken baumelte ein stabiler Holzdiskus mit geschärften Kanten und über dem Rucksack lugte der schöne Griff eines gewundenen Schwertes hervor, offensichtlich eine Waffe der seltenen Gattung der Nachtwindschwerter, wohl beidhändig zu führen. Er hatte einen kräftigen, jedoch geschmeidigen Körperbau und ging nahezu lautlos über das holprige Pflaster des Hafens. Seine fein gearbeiteten Schnürstiefel aus braunem Leder unterhalb der ebenfalls grünen Hose schluckten fast jedes Geräusch. Der Mann war augenscheinlich für ein längeres Überleben in der Wildnis gerüstet.
  Sobald das Trio an Bord angekommen war, beugte sich Rondrik zu Dragomir hinüber und flüsterte irritiert: „Ein Maraskaner?“
  Dragomir nickte unmerklich und entgegnete Rondrik ebenso leise: „Wie Herr Gelimma, ein Dschungelkämpfer. Er wird uns nützlich sein. Wäre er nicht gut, säße er wahrscheinlich längst in Haffax' Verließ.“
  Der Maraskaner hatte die Frage Rondriks überraschenderweise doch mitbekommen, auch wenn der Rondrageweihte das eigentlich hatte verhindern wollen. Er grinste den Prätor freundlich an und antwortete mit einem leichten Akzent: „Seid unbesorgt, Bruder! Ihr steht auf meiner Seite und gemeinsam werden wir gegen das Bruderlose kämpfen! Ihr könnt auf mein Schwert vertrauen, denn alle Feinde des Bruderlosen sind meine Freunde!“
  Dragomir schmunzelte unweigerlich, als er erneut vor der bornischen Flagge salutierte und dann Kapitän Borsoj mit einem festen Handschlag begrüßte. Praiadan hingegen betrachtete den Maraskaner zum wiederholten Male missmutig. Für den Praiosgeweihten war Sumudan ein weiterer Gottloser an Bord und damit eine potentielle Gefahr für die Expedition. Doch Dragomir hatte sich von seinen, in einer ruhigen Minute in den Archiven geäußerten Bedenken nicht beirren lassen und so blieb ihm vorerst nur stillschweigende, aber aufmerksame Duldung des neuen Gefährten.
  Auch Firutin, der nun an Deck erschien, wirkte nicht gerade begeistert beim Anblick des schwer bewaffneten Exoten. Er betrachtete ihn einige Momente eindringlich, dann ging er kopfschüttelnd auf ihn zu, stellte sich neben ihn und zog die Kapuze seiner schwarzen Robe herab.
  „Preiset die Schönheit! Bruder des Milden der Zwölfe!“, begrüßte Sumudan ihn höflich, während er skeptisch die eigentümliche Haarsträhne des Borongeweihten musterte. Ein Funkeln in seinen Augen war zu erkennen, als er langsam seinen Rucksack auf den Boden absetzte. Der Maraskaner schaute Firutin tief in die Augen, grübelte kurz und flüsterte dann: „Wer auch immer Euch das angetan hat, wir werden das Bruderlose gemeinsam besiegen. Denn wer mit meinem Freund Dragomir reist, der ist mein Freund und nicht mein Feind“ Sumudan deutete bei seinem ersten Satz auf die merkwürdige Haarpracht Firutins, dann verharrte eine ausholende Geste auf Ritter Dragomir. Schließlich streckt er dem Borongeweihten seine rechte Hand entgegen. „Frieden?“
  „Gewiss, mit Hilfe des Herrn Boron und seiner Geschwister werden wir, wie Ihr beliebt zu sagen, das Bruderlose gemeinsam besiegen.“, entgegnete der Boroni mit spürbarer Erleichterung und ergriff entschlossen die dargereichte Hand. „Willkommen auf unserer Quest. Firutin Sandström ist mein Name, Diener des Herrn Boron. Und der Eure, Bruder?“
  Auch Sumudans Gesichtsausdruck entspannte sich sofort und er lächelte freundlich, als er dem Geweihten antwortete: „Man nennt mich Sumudan von Sinoda. Aber Sumudan reicht vollkommen, Bruder Firutin. Freut mich, Eure ehrenwerte Bekanntschaft zu machen!“ Bei diesen Worten verneigte sich der Maraskaner und erwies dem Boroni seine Ehrerbietung, der es ihm mit einem höflichen Nicken gleichtat.
  „Freut mich, Bruder Sumudan. Falls ihr Fragen oder Probleme mit anderen aus unserer Runde habt“, sein Blick ruhte für einen Augenblick auf Praiadan, der immer noch dreinschaute, als ob er soeben auf eine saure Zitrone gebissen hätte, „dann kommt vorbei. Meine Tür steht für jedermann und jederzeit offen.“ Mit einem weiteren Nicken verabschiedete sich Firutin und ging zurück unter Deck.
  Xardan, Adriego und Curthan erreichten nun die „Trutz“ und erklommen vorsichtig das Fallreep hinauf an Deck. Der Magier aus Bethana erblickte Sumudan und grüßte ihn freundlich: „Praios behüte Euch, Eure Familie und Euer geschändetes Land. Mögen Euch in Bälde die Ketten des Verräters abgenommen werden.“
  Praiadan atmete tief ein und seufzte dann genervt, als er wütend unter Deck in seine Kabine eilte. Im Gedanken zählte er auf, welch frevlerisches Pack sich mittlerweile mit ihm an Bord befand: Ein geckenhafter Magier der es wagte, den Namen des Herrn zu führen und ein gottloser Maraskaner mit ungeklärten Loyalitäten. Ein Borongeweihter mit verborgenen magischen Talenten und eine großmäulige Magierin mit einem ausschweifenden Sexualleben. Ein äußerst fragwürdiger Gelehrter, der mehr Fragezeichen aufwarf, als er Antworten lieferte und noch dazu ein jähzorniger Zwerg sowie ein undurchsichtiger Halbelf. Ein Alptraum ohne Ende zeichnete sich ab. Praiadan betete fast darum, dass das Schiff mit all seinen Frevlern und Gottlosen an Bord am besten für immer auf dem Meeresboden verschwinden würde. Doch er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen – und, bei Praios, das würde er auch!
  Unterdessen schwand an Deck die Freundlichkeit aus Sumudans Blick, auch wenn sein Lächeln weiterhin fortbestand. „Mit Verlaub, werter Magus, meine Familie und ich stammen aus dem südlichen Teil Maraskans, aus Sinoda. Wenn Ihr den Makel des Verrats an Maraskanern festmachen wollt, dann an denjenigen, die sich nicht dem betrügerischen Mittelreicher widersetzen. Ich für meinen Teil trug noch nie Ketten und werde jeden, der mich einen Verräter nennt, mein Schwert spüren lassen.“, maßregelte er Xardan. „Man nennt mich Sumudan von Sinoda. Wie war noch gleich Euer Name?“
  Auch der Gesichtsausdruck des Magiers kühlte merklich ab, doch er blieb höflich. „Mir scheint, hier liegt ein Missverständnis vor. Der Verräter ist natürlich Haffax und wenn mich nicht alles täuscht, dann hat er einen Großteil des Eures Volkes zumindest in metaphorische Ketten gelegt.“ Er forschte im Blick des Maraskaners und erkannte sofortige Entspannung. Mit einem freundlichen Lächeln fuhr er fort: „Ich will sagen: Mit der Freiheit und der Schönheit der Welt ist es in Maraskan nicht mehr weit her, zumindest in weiten Teilen.“ Adriego blickte zwischen beiden hin und her, mischte sich aber lieber nicht ein.
  Doch auch der letzte Hauch von Anspannung wich aus Sumudans Zügen, als er mit einem sinnlichen Gesichtsausdruck die Wogen endgültig glättete: „Alles ist schön! Der Hafen, die See, Ihr, Eure Gefährten, die ganze bekannte Welt ist wohlgefällig! Daran glaube ich! Das Bruderlose wird vorbeigehen, sein Schmutz hinfort gespült von den göttlichen Zwillingen und den hilfreichen Zwölfen. Wenn Gror dann den Weltendiskus fängt, wird die Schönheit einzigartig sein, mein Bruder! Frieden?“
  Auch der Magier lächelte nun bei den beschwörenden Worten des Maraskaners und schlug ohne Zögern in die dargereichte Hand ein.
  „Schön, dass wir uns verstehen! Doch jetzt verratet mir doch bitte Euren Namen, weiser Magus!“
  „Xardan ay Cabba lautet mein Name.“, antwortete der Horasier und setzte seinen gewohnt überlegen lächelnden Blick auf.
  Adriego meinte, einen passenden Augenblick abgepasst zu haben und stellte sich nun seinerseits vor: „Aves zum Gruße! Ich bin Adriego Manzanares.“
  Sumudan verbeugte sich zunächst vor Xardan, dann vor dem höflichen Almadaner und auch vor Curthan, der kurz unter Deck war und nun zurückkehrte. „Freut mich, Euch kennenzulernen. Preiset die Schönheit!“
  „Was könnte man wohl mehr preisen als die Schönheit?“, erwiderte Adriego fröhlich. „Gut, dass Ihr das so seht. Ihr müsst wissen, das ist genau der Grund, warum wir Almadaner nichts mehr preisen als unser Land und unsere Frauen, bei Rahja!“ Alle vier mussten herzhaft lachen.
  „Ihr sagt es, Adriego! Wenn wir das Bruderlose besiegt haben, dann zeige ich Euch die Frauen in meiner Heimat und Ihr mir die in Eurer, einverstanden?“ Sumudan klopfte dem Almadaner freundschaftlich auf die Schulter und aus seinem Verhalten sprach uneingeschränkte Sympathie. „Aber zuerst haben wir noch eine Reise vor uns! Und denkt dran: Wo eine Abfahrt stattfindet, da wird auch eine Ankunft erfolgen!“
  Aus dem Augenwinkel erspähte der Maraskaner Dragomir, der ihm von der Brücke aus zuwinkte. „Bitte entschuldigt mich. Preiset die Schönheit, meine Brüder!“, verabschiedete Sumudan das Trio aus dem Westen des Kontinents und erklomm sicheren Schritts die Treppe zum Achterdeck.
  „Nun, Sumudan, es scheint, als würdet Ihr Euch schon selbst bekannt machen. Sehr gut!“, lobte der Ritter den offenbar gelungenen Einstand seines alten Gefährten an Bord der „Trutz“. „Ich habe den Kapitän über Eure Mitfahrt informiert.“
  Der Maraskaner nickte freundlich, doch dann schlich sich leichte Sorge in seine Stimme: „Sagt, dieser Geweihte des Bruder Praios, ist der immer so unfreundlich? Ich hoffe nicht, dass er mich provoziert. Bruder Rondrik ist da ganz anders. Muss ich mir Sorgen machen in der Nacht?“
  „Welcher Praiosgeweihte würde das Dunkel der Nacht für einen Angriff nutzen? Die Welt ist schön, Sumudan.“, entgegnete der Ritter schmunzelnd, als Rondrik sich ebenfalls lächelnd zu ihnen gesellte.
  „Ich zweifle selbstverständlich nicht an Euren Fähigkeiten, doch muss ich Euch bitten davon abzusehen, mich mit Bruder anzusprechen. Außer meinen leiblichen Brüdern möchte ich diese Anrede niemandem zugestehen, Ihr verzeiht.“, griff der Rondrageweihte das zuvor unterbrochene Gespräch wieder auf.
  Sumudan verbeugte sich leicht vor Rondrik. „Ganz wie Ihr wünscht, Diener der Löwin! Doch wie soll ich Euch dann nennen, wenn ich auf das freundliche Bruder zu verzichten gebeten werde?“
  „Da Ihr immer die Vielfalt zu preisen pflegt, möchte ich den Schwarzen Alrik an Euch abgeben – ich bin mir sicher, die Schillernde wird Euch diesbezüglich erleuchten.“ Auf Rondriks Lippen spiegelte sich ein Lächeln, nicht herablassend, sondern schlicht amüsiert.
  Sumudan grinste über beide Ohren und antwortete nach kurzem Nachdenken: „Nun, ich denke ich werde Euch Hoher Herr nennen, das kommt dem von Euch gemiedenen Bruder am nächsten. Frieden?“ Der Maraskaner reichte dem Prätor die Hand und dieser schlug erfreut ein.
  „Frieden, Sumudan. Die Welt ist schön.“