Kapitel 4, Eleon sucht das Gespräch mit Firutin

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  Eleon beobachtete den müde und erschöpft wirkenden Firutin schon eine ganze Weile und grübelte schon länger über das bisweilen eigenartige Verhalten des Geweihten in den vergangenen Wochen nach. In einer ruhigen Minute sprach er ihn an: „Entschuldigt, Euer Gnaden. Ich hätte Euch gerne einmal gesprochen.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er zur Reling. Er hatte offensichtlich kein Interesse an weiteren Gesprächsteilnehmern und Firutin folgte dem Gelehrten an ein ruhiges Plätzchen. „Ihr bereitet mir ein wenig Kopfzerbrechen. Je länger ich Euch betrachte, desto mehr fallt Ihr aus dem Bild eines normalen Geweihten heraus. Was ich gesehen habe, wirkt auf mich sehr beunruhigend. Ich möchte Euch hiermit die Möglichkeit geben, Euch zu erklären, bevor ich mich gezwungen sehe, meine Beobachtungen zu melden.“ Eleon blickte Firutin ernst und eindringlich in die Augen.
  „Mit wie vielen wandernden Geweihten des Herrn wart Ihr auf Reisen, um eine solch gewagte Anspielung zu verkünden?“, erkundigte sich der Boroni, etwas aus seiner ansonsten stets ruhigen Gemütslage gebracht.
  Der Gelehrte hingegen blieb ruhig und gelassen. „Ich muss zugeben, dass ich das Vergnügen erst drei Mal hatte, doch waren diese Männer nicht in der Lage eine Tür mit Hilfe von Zauberei aufzusprengen. Auch scheint mir, mit Verlaub, die Farbe Eurer Haarsträhne eher auf einen missglückten Zauber, denn auf natürliche Herkunft hinzuweisen.“
  „Mit drei Brüdern?“, versetzte Firutin kurz angebunden, „mehr als ich vermutete. Ich hoffe Ihr habt nur gute Erfahrungen gemacht, ansonsten bitte ich um einen ausführlichen Bericht.“ Da Eleon darauf mit keinem Wort reagierte, fuhr er erklärend vor: „Ich weiß nicht, von wem Ihr das mit der Tür erfahren habt. Vielleicht wisst Ihr dann eher als ich, welcher Magier sich mit mir einen Scherz erlaubt hat. Da es gut für alle ausging, will ich nicht nachtragend sein. Denn der Herr ist gnadenlos, ich bin es nicht.“ Firutin zeichnete kurz mit seinen Fingern ein Boronsrad in die Luft und sprach dann entschlossen weiter: „Und was meine Haare angeht, da habt Ihr sogar Recht. Es handelt sich um Zauberei, vielmehr um einen Fluch, ob er geglückt ist oder nicht, das vermag ich Euch selbst nicht zu sagen.“
  Eleon ließ sich mit diesen dürftigen Erklärungen nicht abspeisen und bohrte tiefer. „Ich glaube keineswegs, dass irgendjemand sich Eurer Person bemächtigt hat, nur um eine Tür aufzumachen. Ihr müsst zugeben, das klingt sehr fragwürdig. Und was hat es mit diesem Fluch auf sich? Ich denke schon, dass Ihr hier mehr als ein paar ausweichende Worte benötigt, Euer Gnaden.“
  Firutin musste tief durchatmen, um einigermaßen ruhig zu antworten. Innerlich brodelte er und Zorn stieg in ihm auf, da er von unerwarteter Seite in die Enge getrieben wurde. „Ich weiß zwar nicht, was Ihr über mich zu wissen glaubt. Doch wie mir scheint gibt es Leute auf diesem Schiff, die mehr über mich zu wissen glauben, als mir bewusst ist. Obwohl keiner von ihnen sich im Borontempel zu Punin erkundigt hat und sich ebenso wenige von ihnen im Borontempel zu Perricum blicken ließen, um nachzufragen.“ Der Geweihte schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Was die Tür angeht, so könnte ich Euch den Namen und die Herkunft jener Person nennen. Doch jene Person muss sich vor Boron rechtfertigen und der Herr wird über sie richten.“ Eleon erschauderte, als er den aufkommenden Zorn und das bösartige Funkeln in Firutins Augen bemerkte. „Um Eure letzte Frage zu beantworten: Es war eine Hexenfamilie mit der ich einen kleineren Disput hatte. Ob es ein Geschenk von ihnen war, ein böser Fluch oder sogar ein Wunder, das vermag ich nicht zu beantworten. Doch meiner Meinung nach ist es ein Fluch. Habt Ihr sonst noch irgendwelche klugen Fragen?“ Der Geweihte kochte nun vor kaum verhohlener Wut.
  Eleon musste zögernd nachgeben und versöhnliche Töne anschlagen. „Nun gut, anscheinend muss ich mich bei Euch für mein Benehmen entschuldigen. Wenn dies wirklich der Fall ist, dann möchte ich Euch nicht länger mit diesen Vorwürfen quälen. Allerdings hoffe ich, dass Ihr mich verstehen könnt. Dies ist kein Schönwetterausflug und ich muss mir bei allen Gefährten, die mir irgendwann einmal den Rücken schützen sollen, sicher sein. Und was den Fluch angeht, so kommt er nicht zufällig aus dem Mund einer schönen Frau?“ Die letzten Worte sprach Eleon halb nachdenklich, halb lächelnd aus. „Vielleicht kann ich Euch bei Eurem Fluch behilflich sein. Möglicherweise kenne ich einen Weg, die Verzauberung rückgängig zu machen.“, bot er dem Geweihten unüberlegt und voreilig an.
  Firutin schüttelte langsam den Kopf und fuhr seine Emotionen dank jahrelanger Übung zurück. „Ihr müsst Euch nicht für Eure Neugierde entschuldigen. Ich bin die Fragen über meine Haarfarbe gewohnt. Euer Angebot weiß ich zu schätzen, doch überrascht es mich zu hören, dass Ihr über magische Fähigkeiten verfügt. Seid Ihr ein verborgener Magier oder gehört ihr zu den Dienern Sumus?“
  Eleon bemerkte seinen schweren Fehler und wurde leichenblass. Irritiert antwortete er, sich aus einer spontanen Eingebung heraus für bedingungslose Offenheit gegenüber Firutin entscheidend: „Ja, da Ihr so direkt fragt: Ich bin ein Diener der Natur. Ich kann auch, ehrlich gesagt, noch immer nicht begreifen, wie Ihr derartige Magie wirken konntet. Und was den Fluch angeht, da habt Ihr sicher schon einige Magister angesprochen. Es war töricht, mich Euch derart feilbieten zu wollen. Würdet Ihr mir erklären, wie Ihr zum Ziel dieses doch recht merkwürdigen Fluches wurdet?“
  Ein Lächeln verirrte sich auf Firutins bisher so angespannte Gesichtszüge. „Die Damen waren nicht besonders glücklich, dass ich mit ihrer jüngsten und hübschesten Tochter der Herrin Rahja gehuldigt habe. Sie war wahrscheinlich mit ihrer Jungfräulichkeit Levthan versprochen. Eine lange Geschichte mit jenem eigentümlichen Ende.“ Der Geweihte deutete mit dem rechten Zeigefinger kurz auf seine weiße Strähne und wechselte dann das Thema: „Ein Diener Sumus, das erklärt einiges.“
  Auch Eleon lächelte nun unsicher und erkundigte sich: „Sprechen wir gerade von der Sippschaft der Anbeterinnen Satuarias? Ich bin etwas verwirrt, doch glaube ich nach diesem Gespräch wieder volles Vertrauen in Euch zu haben.“
  Beide hingen für eine Weile ihren unterschiedlichen Gedanken nach, dann ergriff erneut der enttarnte Druide das Wort: „Doch bitte, so Ihr Zeit habt und ich Euch mit meiner unverhohlenen Neugier nicht vollends verprellt habe, erzählt mir Eure Geschichte. Ich werde versuchen, mich als würdiger und dankbarer Zuhörer zu erweisen.“ Eleon blickte Firutin erwartungsvoll an.
  „Wir sprechen von derselben Sippschaft, in der Tat.“, antwortete der Boroni schmunzelnd und unterdrückte kurz ein unhöfliches Gähnen. „Neugier ist eine Tugend, doch bei weitem keine schlimme, wenn es sich um eine Geschichte handelt. Wollt Ihr Euch nicht setzen bevor ich beginne?“ Der Geweihte deutete auf eine Schwere Rotze, keine drei Schritt von ihnen entfernt. Der Gelehrte nickte zustimmend und beide setzten sich auf das Geschütz. „Nun gut, meine kleine Geschichte. Doch bitte ich auch Euch um Diskretion, meine Erlebnisse und ihre Implikationen sind nicht für jedermanns Ohren bestimmt.“
  Als Eleon zustimmend nickte, begann Firutin abermals von seiner Begegnung mit dem Drachen und seiner Hinwendung zu Boron in Punin zu berichten. „Doch genug von mir, erzählt doch etwas von Euch. Ihr scheint ebenfalls ein aufregendes Leben geführt zu haben.”, endete die aufschlussreiche Erzählung des Boronis nach einigen Minuten mit der Aufforderung an den Druiden, es ihm gleich zu tun.
  „Nein, Euer Gnaden, ganz so aufregend ist meine Geschichte nicht. Doch lassen sich einige Parallelen erkennen. Zunächst allerdings möchte ich auch Euch an Euer Gelübde erinnern, dass nichts von dem Gesprochenen das Ohr Unbeteiligter erreicht.“
  „Selbstverständlich. Teilen wir unsere Geheimnisse.“, stimmte Firutin ernst nickend zu.
  Eleon sinnierte für einen Moment darüber nach, wo er in seine Erzählung einsteigen und was genau er aus seinem wendungsreichen Leben offenbaren sollte. „Ich führte einst ein einfaches und rechtschaffenes Leben, doch wurde auch ich nicht von den Wirren dieser Zeit verschont. Ich verlor meine geliebte Frau Lilia und wendete mich nach einer langen Trauerphase dem neuen Leben in der Gemeinschaft zu. Ich bin kein gewählter Vertreter, eher versuche ich gerade, mich für ein solches Amt zu bewähren. Doch lasst uns nicht davon sprechen. Was mich schmunzeln ließ ist die Tatsache, dass auch ich solch einer schönen Frau begegnete.“
  Der Boroni kicherte zustimmend, ein unerwarteter und überraschender Charakterzug der Eleon kurz aus dem Konzept brachte. Doch dann fuhr der Druide mit seiner Erzählung fort: „Lasst mich dazu ein paar Worte verlieren. Ich war mit einer Gruppe Abenteurern im Bornland unterwegs und wir hatten den Auftrag, den Sohn eines Grafen, der mit seinen politischen Reden großes Aufsehen und nicht nur Beifall erntete, zu beschützen. Schnell wurde klar, dass Meuchler auf ihn angesetzt waren, doch konnten wir sie in eine Falle locken und aufreiben. Ich lieferte mir mit der Anführerin den bisher härtesten Kampf meines Lebens und konnte sie mit letzter Kraft niederringen. Zunächst wollten wir sie dem Vogt ausliefern, doch ich hatte mein Herz an sie verloren und überzeugte die anderen, sie frei zu lassen. Ihren Stab nahm ich als Zeichen des Sieges an mich. Die Schönheit trug übrigens den Namen Maia Rand.“ Nach dieser überraschenden Wendung seiner Erzählung lehnte sich Eleon zurück und beobachtete interessiert die Reaktion seines Gegenübers.
  Firutin nickte verständnisvoll und ließ die Informationen für einige Augenblicke auf sich wirken. Mit einfühlsamer und ruhiger Stimme brach er dann das längere Schweigen: „Mir scheint, als hättet Ihr den Schmerz über den Verlust Eurer Frau noch nicht überwunden.“ Der Boroni zeichnete kurz das Zeichen seines Herrn in die Luft. „Ihre Seele fand bestimmt den Weg in eines der Paradiese der Zwölf. Wenn Ihr darüber reden wollt, ich werde Euch immer ein offenes Ohr leihen, egal zu welcher Stunde.“
  Zur großen Überraschung Eleons ging Firutin mit keinem Wort auf den Namen der Meuchlerin ein. Ihm war jedoch klar, dass der Geweihte aufmerksam zugehört und den Sachverhalt sicherlich zur Kenntnis genommen hatte, jedoch im Augenblick nicht kommentieren würde. „Ihr habt Recht, Euer Gnaden.“ Der Druide wischte sich eine Träne aus dem linken Auge. „Die Trauer überkommt mich in jedem Götterlauf aufs Neue, da ich mich an ihrem Tod mitschuldig fühle. Ich war damals sehr jung und vertraute den Worten und Lehren weit mehr als dem Herzen. Doch da ist nichts, über das ich viele Worte verlieren möchte.“ Eleon musste sich kurz sammeln und unterdrückte mühsam die hartnäckigen Emotionen, die in seinem Herzen rangen. „Ich bin der Meinung, dass man zur Erinnerung an die Verstorbenen nicht allzu viele Worte verlieren, sondern eher stilles Andenken wahren sollte. Wenn ich könnte, dann würde ich heute anders entscheiden. Doch da dieser Fall nie eintreten wird, versuche ich einen neuen Weg zu gehen, der vielen anderen helfen kann. So versuche ich, ihr Andenken in Ehren zu halten und mir selbst meinen Fehler irgendwann zu verzeihen.“
  Tränen rannen nun die geröteten Wangen des Wanderers hinab und Firutin legte ihm tröstend eine Hand auf die leicht zuckenden Schultern. „Ihr solltet den Schmerz über Euren Verlust herauslassen und ihrer Seele dann Ruhe gewähren. Achtet die Toten und löst die Fesseln von Lilias Seele.“ Der Boroni vergewisserte sich kurz, ob seine Worte Eleons Verstand erreichten. „Lebt ein göttergefälliges Leben und Ihr werdet von ihnen dafür belohnt. Denn das Reich der Toten ist um einiges grösser als das der Lebenden.“
  Der Gelehrte weinte eine Weile immer wieder herzzerbrechend schluchzend vor sich hin. Firutin wies Sedrox und Numba mit einem Handzeichen ab, die sich nach dem Wohlergehen ihres Freundes erkundigen wollten. Nach einigen Minuten versiegten Eleons Tränen und er lächelte still vor sich hin. „Ihr habt wohl Recht, Firutin.“, seufzte er schließlich. „Doch Ihr müsst wissen, dass gerade jetzt erneut der Jahrestag ansteht, an dem sie den Bund mit mir einging. Niemals würde ich ihr Fesseln anlegen, nur lasst einem Mann seinen inneren Haltepunkt. Ich lebe mit der Hoffnung, Vergebung zu erlangen und träume von der Zeit, in der ich sie wiedersehen werde. Versteht Ihr, in mir ist nur Erinnerung und die Gewissheit, dass auch mein eigenes Ableben für mich seinen Schrecken verloren hat.“
  Firutin blickte Eleon tief in die ausgeweinten Augen und tröstete den Druiden: „Ich will Euch bestimmt nicht Euren Haltepunkt rauben. Es ist der Wille des Herrn, der einer Seele Frieden geben kann. Er sieht unsere Taten und erkennt, wer wir sind und nach was wir uns sehnen.“ Als der trauernde Gelehrte zaghaft nickte, fügte der Geweihte noch hinzu: „Ihr solltet Euer Leben sinnvoll verbringen und es nicht leichtsinnig verwirken. Wenn Ihr dann in hohem Alter Satinav Tribut zollt und vom Herrn Boron gerufen werdet, dann werden eure Seelen wieder zueinander finden.“
  „Ich habe nicht vor, mein Dasein leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Ich versuche, die guten Kräfte in dieser Welt mit meinen bescheidenen Mitteln zu unterstützen. Allein dass wir dieses Meer befahren, ist leichtsinnig und lebensgefährlich, unsere Aufgabe steht dem in nichts nach. Ich habe lediglich angedeutet, dass ich mir der Konsequenzen durchaus bewusst bin. Niemand weiß, was uns erwartet.“ Eleon hatte sich offensichtlich gesammelt und wirkte wieder in sich gefestigt und stabil. „Es sind wohl ausreichend Worte gesprochen worden und dass Ihr mich nun in einem so schlechten Licht seht, betrübt mich. Ich würde vorschlagen, wir vertagen das Ende dieses Gespräches bis wir wieder sicheren Boden unter den Füßen haben. Sodann bitte ich nochmals um Eure Nachsicht und wünsche Euch einen angenehmen Abend. Ich werde über Eure Worte nachdenken.“ Sodann stand er auf und ließ Firutin ohne ein weiteres Wort alleine auf der Schweren Rotze zurück.
  Der Geweihte erkannte, dass er den jungen Druiden unbewusst an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hatte. Er ließ Eleon daher ziehen und war sich sicher, dass der Gelehrte sich bald erneut an ihn wenden würde. Nämlich dann, wenn er den Sinn seiner tröstenden Worte verinnerlicht haben würde.