Kapitel 3, Eleon trifft in Notmark auf die Gemeinschaft

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  Nachdem sich die Situation für einige Minuten entspannt und beruhigt hatte, ertönte die laute Stimme des Hauptmannes im Hof: „Haltet ein, Gefangene! Wir schicken euch einen Unterhändler! Tut ihm nichts, er ist ein Gefangener wie ihr!“
  Ramon und Praiadan spähten vorsichtig aus dem Fenster und entdeckten eine leicht gebückte Gestalt in einer grauen Robe, die eher auf einen Gelehrten als auf einen Kämpfer hinwies. Jetzt erklärte sich auch, warum in den Regalen der Waffenkammer noch ein mannshoher Wanderstab und eine Sichel auf ihren rechtmäßigen Besitzer warteten. Der Mann ging mit zügigen Schritten auf den Turm zu, wobei lange braune Haare im Wind flatterten.
  „Ich komme als Vermittler!“, rief er fortwährend, wie um den Worten des Hauptmanns Nachdruck zu verleihen. Als er das Erdgeschoss erreichte, drehte er sich noch einmal skeptisch zu den Söldnern um, eilte dann jedoch rasch die Treppe hoch und in Sicherheit. Außer Atem drückte er sich an die erstbeste Wand, den Dolch Ramons sofort kalt an der Halsschlagader spürend.
  „Dieser Ausbruch endet sofort oder mit unserem Tod.“, verkündete der Neuankömmling mit unerwartet kräftiger Stimme. „Der einzige Grund für unser Überleben ist die Tatsache, dass wir gebraucht werden. Gebt auf, bleibt Gäste auf Feste Grauzahn und erwartet die Ankunft des Mentors. So spricht der Burgherr, Alderich von Notmark.“ Dann fügte er leise, mit gebrochener Stimme und nur für ihre Ohren hinzu: „Ich versichere euch, Ihr habt keine Chance.“ Er senkte seinen Blick und schloss die Augen, als er schlucken und dadurch um seinen Hals fürchtete musste.
  „Wer bist du, was hast du hier zu schaffen und was hast du sonst hier gesehen? Wer ist dieser Mentor, von dem alle ständig sprechen?“, bestürmte Agum Matra den mittelgroßen, hager und drahtig gebauten Unterhändler.
  „Mein lieber Freund, was du uns hier bringst ist keine neue Kunde. Wir wissen, wie es Gefangenen ergeht, nur stellt sich mir die Frage: Wenn wir gebraucht werden, dann werden sie uns auch jetzt nicht töten, denn das war ihnen vorher auch möglich.“, fügte Adriego mit zynischem Unterton hinzu.
  Langsam öffnete der Fremde die Augen und blickte den norbardischen Magier unverwandt an. „Habe ich mich so missverständlich ausgedrückt? Die Worte Alderichs bergen keinen Spielraum für Verhandlungen, sie sind vielmehr ultimativ. Sobald ihr mit dem Angriff beginnt, gibt es keinen Ausweg, sondern nur noch Tote.“ Dann richtete er das Wort an den Schwertgesellen: „Wenn Ihr von Euch so überzeugt seid, geht doch hinaus und überzeugt sie, wie wichtig Ihr seid. Was meint Ihr, wie viele von uns brauchen sie wirklich? Zwei, Vier? Ich stehe an Eurer Seite und deshalb sage ich: In dieser Situation habt Ihr keine Chance.“
  Agum Matra unterbrach der Gesandte sogar barsch, als dieser erneut Fragen stellen wollte: „Entschuldigt, aber ich dachte diese Dinge könnten wir später klären, wenn wir alle unverletzt geblieben sind.“
  […]„Mein Name ist Eleon.“, begann der Neuankömmling zu erklären. „Ich wurde vor einer Woche gefangen genommen, als ich die Wälder nördlich von hier durchstreifte. Als ich sah, dass ihr gebracht wurdet, schöpfte ich neue Hoffnung, aber diese Situation ist mehr als lächerlich. Ich traue euch durchaus zu, mit den hiesigen Bütteln fertig zu werden. Aber noch am Tag meiner Ankunft kamen viele Söldner aus den verfluchten Landen, mehr als ich in der Dunkelheit zählen konnte. Das hier ist Selbstmord!“ Seine Stimme war eindringlich und blieb nicht ohne Nachdruck, wie ein Blick in die Augen der Gefangenen ihm offenbarte. Auch Xardan war nun wieder unter den Gefährten, die sich um den Gesandten versammelt hatten.
  „Rondra zum Gruße, Eleon.“ Karima blickte ihm freundlich in die Augen. „Ich denke nicht, dass er uns schaden wird. Dafür sind wir zu viele.“, stellte die Kriegerin nüchtern fest.
  Firutin war anderer Meinung und diese aus dem Schatten der Regale klar zu vernehmen: „Ein Unterhändler, der nur von Aufgabe redet und sonst keine Botschaft überbringt? Ein schlechter Witz. Alderich war auch schon mal einfallsreicher. Normalerweise schickt man jene Leute zurück mit einer Botschaft zwischen den Zähnen ihres abgetrennten Kopfes und lädt sie nicht zum Essen ein.“
  Curthan erreichte Praiadan und Eleon. „Lauft schnell zurück zum Turm, ich decke euren Rückzug!“, forderte er die beiden ultimativ auf.
  „Ich werde mit Euch kommen. Mein Leben ist ebenso verwirkt wie das Eure.“, erwiderte der Geweihte knapp und resignierend.
  Eleon nickte knapp, schwang seinen Stab wie einen Dreschflegel und verschaffte ihnen so etwas Raum vor den heranrückenden Bütteln. Auch Ramon versteifte sich auf einen defensiven Kampfstil und hielt damit seine Widersacher im Zaum, doch ein unglücklich abgeprallter Bolzen fuhr ihm kurz vor dem Ziel in den Bauch, hatte jedoch nicht genug Schwung, um ernsthaften Schaden anzurichten. Auch Firutin fühlte plötzlich einen scharfen Schmerz im linken Arm, als ein Bolzen seine Schulter streifte.
  Endlich hatten sie es alle geschafft und sich in die Sicherheit des Turms zurückgezogen. Dort brach Agum Matra vor Schmerzen wimmernd ohnmächtig zusammen und auch Ramon sackte benommen gegen die kühle Steinwand. Der neue unter den Gefährten krabbelte sofort zum norbardischen Magier und versuchte, die beiden Blutungen zu stoppen. Jobdan kümmerte sich derweil um die Verletzungen des Südländers. Immerhin setzten die Männer des Grafen nicht nach, sondern ließen sie im Schatten des Turmeingangs unbehelligt zurück.
  „Wo sind eigentlich die anderen?“, warf Eleon in die Runde, als er den Armbrustbolzen aus Agum Matras Hintern gezogen und die Blutung notdürftig gestillt hatte. Dann richtete er sich an Firutin: „Ich hoffe Ihr seid Euch bewusst, dass Ihr gerade mit unser aller Leben gespielt habt. Ich hätte wahrlich mehr von Euch erwartet. Dies hätte friedlich beendet werden können, wenn Ihr auf mich gehört und nachgegeben hättet. Einem erneuten Angriff können wir mit den Verletzten nicht standhalten. Es hätte nie so weit kommen dürfen!“ Tränen der Wut und Trauer waren in seinen Augenwinkeln zu erkennen.
  Auch Praiadan warf dem Boroni einen glühenden Blick zu. „Diese Feiglinge! Sowohl die dort draußen, als auch unsere Gefährten, die lieber im Turm geblieben sind.“, zischte er wütend in das Zwielicht des Turms.
  „Tja, das war wohl ein ziemliches Fiasko.“ merkte Curthan an, nachdem er sich erschöpft an die Wand neben dem Geweihten gelehnt hatte, ein höhnisches Grinsen auf den Lippen.
  Firutin musste sich einige Momente fassen, disziplinierte sich jedoch soweit, dass seine Stimme ruhig und kontrolliert wirkte. „Wer von uns hat den Wachmann niedergeschossen?“ Eisiges Schweigen war die Antwort, wie er mit zusammengekniffenen Augen feststellen musste. „Kümmern wir uns zuerst um die Verwundeten. Und Ihr, Eleon, zügelt Eure Zunge!“ Dann stellte er das Schwert des Söldners an die Wand und erklomm schwerfällig die Treppe nach oben.
  „Bei Rondra, das war knapp. Aber offensichtlich waren die Zwölfe uns gewogen, wir haben keine Toten zu beklagen.“ Jurges Blick wanderte zum bewusstlosen Agum Matra. „Zumindest noch nicht.“
  Entrüstet aber dennoch etwas eingeschüchtert verbiss sich der neue Mitgefangene die gebührende Antwort auf die Zurechtweisung des Geweihten, und wischte sich mit einer stolzen Handbewegung die verräterische Nässe aus dem Gesicht.
  Ramon wartete geduldig, bis Eleon Jobdan half, seine Blutung in der Magengegend zu stoppen. Nachdem er den Bolzen herausgezogen hatte, hielt er sich das Loch zunächst mit dem Daumen zu.
  Firutin kehrte mit einem kleinen Fläschlein zurück, drückte es dem offenbar mit den Kenntnissen der Wundversorgung vertrauten Unterhändler in die Hand und deutete auf Agum Matra. „Hier, gebt ihm das, wenn er erwacht. Und könntet Ihr meine Schulter noch verarzten?“
  Eleon nickte vorsichtig, den plötzlichen Stimmungswandel bemerkend.
  „Weiß jemand wo die anderen sind? Ich sah keinen von ihnen, als ich oben war.“, richtete der Boroni das Wort an alle Anwesenden.
  „Nein, das weiß ich nicht. Wir mussten ja hinaus um Euren… um Euch zu retten. Da konnte ich nicht gleichzeitig ein Auge auf die anderen haben.“, antwortete Praiadan spitz und ließ keinen Zweifel daran, wie wenig er von Firutins Auftritt hielt, der einen so hohen Blutzoll gefordert hatte.
  Jurge beendete ein kurzes Dankgebet. „Egal wo sie sind, das müssen sie uns erklären, bei Rondra!“, merkte er entschlossen an und vollführte eine umfassende Geste über das Lazarett vor ihnen.
  Eleon und Jobdan versorgten alle Wunden mit der gebührenden Sorgfalt und den bestmöglichen handwerklichen Fähigkeiten. Der Gelehrte hatte noch Kräuter bei sich, die in Verbindung mit den sauberen Bettlaken aus dem Turmverlies und den magischen Heilfähigkeiten des Halbelfen für eine erste Entspannung der Situation sorgten.
  Auch der verwundete Norbarde erwachte aus seiner Ohnmacht, als ihm der Heiltrank Firutins verabreicht worden war. „Ich danke Euch, offensichtlich hat Rondra mein Kampf nicht erfreut, so dass sie mir eine solche Niederlage zufügte. Agum Matra, mein Name.“ Er reichte dem Neuling die Hand und fragte schwach: „Wo sind die Anderen?“
  „Das kann ich Euch sagen. Die haben sich durch einen Geheimgang davongemacht!“, empörte sich Jurge, der diese Information inzwischen von Valeris erhalten hatte. „Sehr Rondra gefällig. Aber jetzt kommt, wir müssen weg!“ Er half zusammen mit Karima dem Norbarden auf die Beine, die beiden Heiler stützten Ramon.
  „Habt Dank, Eleon! So war doch Euer Name, oder? Ich heiße übrigens Ramon Orthogez!“, stellte sich nun auch der Südländer seinem Medicus vor. „Jetzt aber nichts wie weg von hier!“
  Firutin schob sich neben den Wundarzt. „Werden sie es schaffen?“, erkundigte der Geweihte sich leise, fast schon ein wenig zerknirscht.
  „Ich denke beide werden mitkommen können. Ihre Verletzungen werden sich nicht zusätzlich verschlimmern. Aber ich benötige dringend bessere Behandlungsbedingungen. Euer Trank hat sehr geholfen, danke.“
  „Auch ich danke Euch für Eure Hilfe. Bitte verzeiht meine Direktheit vorhin, doch solche Anschuldigungen solltet Ihr erst nach Betrachtung aller Geschehnisse aussprechen und nicht so voreilig. Nennt mich Firutin.“
  Der Südländer nickte entschlossen, doch er machte keine Anstalten, dem Geweihten zu folgen. Schon das Zugreifen bereitete ihm offensichtlich große Schmerzen.
  „Hier, kaut diese Kräuter und haltet sie im Mund. Sie werden die Schmerzen kurz unterdrücken bis Ihr oben seid.“ Eleon reichte dem Verwundeten die Arznei aus seinem Beutel, der sie dankbar annahm und sodann schluckte.
  Eleon hingegen eilte an ihnen vorbei zu Adriego, der den Schwerverletzten zusammen mit dem jüngeren Schiffer in die kleine Kombüse achtern gebracht hatte, wo ein wärmendes Feuer im Ofen für etwas Behaglichkeit sorgte. „Kocht bitte Wasser auf, wir müssen seine Wunde säubern. Die anderen können einen heißen Tee gut gebrauchen.“, instruierte er den jungen Mann sofort und begann zusammen mit dem Almadaner, die Schussverletzung Leodans freizulegen. Der Bolzen steckte noch im Bauch des Bewusstlosen, was der Gelehrte mit einem Nicken guthieß.