Kapitel 7, Eleon im Lazarett während der Schlacht um Unau
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Eleon und Jolinar verließen das Lazarett, um vor dem Zelt die ankommende Welle der Verwundeten in Empfang zu nehmen. Auf der Stadtmauer rissen die Beobachter der Schlacht die Arme in die Höhe, ballten die Fäuste in Richtung Schlachtfeld und manche tanzten sogar auf den Wehrgängen. Einzig über dem Tor der Eroberer schien eine Glocke der Ruhe zu liegen, denn dort stand der Kalif, umgeben von seiner Garde und seinen Offizieren. Ihr Blick galt immer noch konzentriert den Vorgängen vor der Stadt. Doch plötzlich schien auch auf dem Turm Aufregung aufzukommen, als einige der Männer nach vorne zu den Zinnen stürmten. Derweil erreichten die ersten Bahrenträger verschwitzt und staubig mit ihren Verwundeten das große Lazarettzelt. Die meisten von ihnen hatten grässliche Wunden davongetragen, oft auf den ersten Blick kaum zu erkennen, denn Kleidung und Rüstungen der Kämpfer waren vor Schweiß, Staub und Blut tief dunkel verfärbt. Viele von ihnen schrien nicht einmal mehr. Eleon wurde von der nun stark anschwellenden Woge förmlich zurückgeworfen. Er war eine derartige Ansammlung von Menschen nicht gewöhnt und ein leichtes Panikgefühl schnürte ihm den Brustkorb zu. Nervös schaute er sich nach Kazim um, der jedoch bereits damit beschäftigt war, die Sterbenden von den Schwerverletzten und diese wiederum von jenen leichteren Fällen zu trennen, die vor dem Zelt behandelt werden konnten. Auch der Druide machte sich an diese unangenehme Aufgabe und markierte die eintreffenden Opfer mit farbigen Tüchern. Anfangs verwirrten ihn das viele Blut und die lauten Schreie, das wehleidige Wimmern und die grausamen Verletzungen, doch dann atmete er nur noch selten tief durch und beängstigende Routine stellte sich ein. „Als erstes fühlst du an ihrer Halsschlagader, ob du noch einen Puls wahrnehmen kannst.“, erklärte er Jolinar sein Vorgehen. „Dann schaust du ihnen in die Augen und überprüfst, ob sie noch bei Bewusstsein sind. Als letztes schaust du nach, wo besonders viel Blut austritt.“ Doch weiter als seinen Puls zu fühlen, ließ ihn kaum ein wacher Patient an sich heran. Ein verwundeter Stammeskrieger stieß den Druiden aus dem Norden sogar mit letzter Kraft und einem „Was willst du? Verschwinde!“ von sich. Eleon wurde zunehmend ungehaltener, denn die ungebührliche Ablehnung, die ihm entgegenschlug, frustrierte ihn zutiefst. Als einer der Verwundeten buchstäblich mit letzter Kraft verdeutlichte, dass er eher sterben würde, als sich von einem Fremden behandeln zu lassen, blickte er verärgert auf und rief in Richtung Kazim: „Sie verwehren sich mir. Sagt ihnen, dass ich sie behandeln will und auch kann. Wie kann ich sonst helfen?“ Doch der Medicus war mittlerweile schon im Zelt verschwunden, um die ersten Operationen durchzuführen. Jolinar hatte noch weniger Erfolg mit ihren Bemühungen und wollte schon aufgeben, als zwei Bahrenträger einen Schwerverwundeten direkt vor ihren Füßen ablegten und sofort wieder in Richtung Stadttor davoneilten. Der bewusstlose, blutüberströmte Spahija hatte den Verband bereits durchblutet, der kaum die klaffende Wunde in seiner rechten Seite abdeckte. Eine große Platzwunde an seinem Kopf tränkte sein Haar dunkel und färbte sein Gesicht rot. Sie trat erschrocken einen Schritt zurück und rief panisch nach Eleon, doch sie konnte ihn im Augenblick nicht entdecken. Vorsichtig fühlte sie den schwachen Puls des Lanzenreiters, dann besah sie sich die tiefe Fleischwunde. Als die junge Hexe den sich immer dunkler verfärbenden, vor Blut triefenden Verband zur Seite zog, wurde das Ausmaß der Verletzung deutlich: Eine spießartige Waffe musste den jungen Kämpfer zunächst durchbohrt und ihm dann die Seite aufgerissen haben. Schnell wurde ihr klar, dass dieser Mann nur zum Sterben dort lag, denn die novadischen Ärzte verfügten nicht über arkane Fähigkeiten. Rasch legte Jolinar das Tuch wieder auf die üble Wunde und kreischte laut: „Hilfe, Eleon! Hilf mir!“ Tatsächlich war der Druide wieder vor dem Zelt und eilte ihr nun zur Hilfe. Er untersuchte schnell und präzise die Wunde, dann schüttelte er lediglich mit dem Kopf. Ohne eine arkane Heilung konnten sie bei dem Lanzenreiter nichts bewirken. Anna beäugte gleichgültig seine im Vergleich zu den feinen Künsten der novadischen Ärzte dilettantisch anmutenden Bemühungen. Ganz bewusst schaute sie sich die Verletzungen der Verwundeten nicht an, denn nur so konnte sie ruhig und unberührt von all dem um sie herum bleiben. Das Stöhnen der Sterbenden schien sie auch nicht wahrzunehmen. Oder war die Magierin emotional so abgestumpft und arrogant, dass es sie wirklich nicht scherte? Gleichgültig lehnte sie an einer Zeltstange und wartete auf die Heimkehr der Gefährten. „Eleon, lass gut sein.“, rief sie zu ihm hinüber. „In Unau gibt es genug Ärzte. Deine Hilfe wird hier genauso wenig erwünscht, wie die von Jolinar, Jalessa oder mir.“ Die junge Hexe hingegen bekam den Einwurf ihrer impertinenten Gefährtin überhaupt nicht mit, denn sie war noch immer über die rasche Entscheidung des Gelehrten entsetzt. Zunächst brachte sie kaum mehr als ein leises Krächzen über die Lippen, dann erlangte sie ihre Stimme zurück: „Was? Was soll das? Du kannst ihm helfen! Also mach das verdammt nochmal auch!“ Sie packte ihn fest am Ärmel, damit er nicht einfach wieder verschwinden konnte. Wut und Hass flammten in ihren Augen auf, jegliche Vernunft schien vorläufig durch sie verdrängt zu sein. Eleon blickte von dem Sterbenden auf und direkt in Richtung Anna. Nur langsam wurden ihm die Worte der beiden Frauen bewusst und er überlegte für einen Augenblick, während für den vor ihm liegenden Novadi vielleicht die letzten Sekunden seines kurzen Lebens verrannen. „Wir haben versprochen zu helfen und wir können es. Auch wenn ich niemanden zu seiner Heilung zwingen will, fühle ich mich dem Leben dieser Männer verpflichtet.“, entgegnete er zunächst Anna. „Was lässt dich so gelassen und gleichgültig bleiben, während um uns herum nur Chaos, Tod und Leid herrschen?“ „Und warum fühlst du dich dann seinem Leben nicht verpflichtet?“, schrie Jolinar ihn verzweifelt von der Seite an und begann, den Verband des Schwerverletzten zu erneuern. Eleon bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch seine Worte klangen ungewohnt schneidend: „Jolinar, verdammt, beruhige dich! Ich würde damit nur seine Leiden verlängern. Er hat schon zu viel Blut verloren. Wenn ich es dir beigebracht habe, dann wirst auch du ehrlich entscheiden können. Bis dahin ist mein Wort endgültig.“ Der Druide wollte sie an ihrer Tätigkeit hindern und die Verschwendung von wichtigem Verbandsmaterial unterbinden, doch seine Gefährtin schlug ihm zornig die Hände weg. „Heb dir deine lügnerischen Worte für andere auf!“, herrschte sie ihn mit wutverzerrter Miene an. „Gib zu, dass du ihm nicht helfen willst, elender Heuchler! Mörder!“ Jolinar stand auf, schnappte sich ihren Rucksack und eilte in Richtung Stadttor davon. „Das hast du ganz toll gemacht.“, schalt ihn Anna höhnisch. „Die wollen keine Hilfe, was sollen wir da ausrichten? Die meisten von denen würden lieber in der Wüste braten als Schande vor ihrem Gott zu begehen, bevor sie sterben.“ Mit einem verächtlichen Schnauben blickte der Gelehrte seiner wütenden Gefährtin nach. Obwohl er selbst innerlich vor Zorn über die primitiven Anschuldigungen zu platzen schien, konnte man lediglich seinen Augen etwas Drohendes entnehmen. Das würde ein Nachspiel haben, soviel war sicher. Dann wandte er sich Anna zu. „Auch du wirst dich verantworten müssen.“, sprach er ruhig und doch mit übertriebener Härte eine entschiedene Warnung aus. Kurz darauf jedoch hatte ihn die Realität wieder eingeholt und die Enttäuschung über die Unfähigkeit der beiden Frauen war zumindest für den Moment verdrängt. Er eilte ins Zelt, um Kazim zu helfen. Die Robe des einheimischen Arztes war blutbefleckt, seine Hände vom Lebenssaft rot verfärbt, als Eleon ihn im Inneren des Lazarettes antraf. Mit der linken Hand wischte er sich erleichtert über die Stirn und nickte zwei Trägern zu, dass der nunmehr beinamputierte Murawidun fortgebracht werden konnte. „Ah, Eleon“, freute er sich über seine Ankunft. „Könnt Ihr Euch um die Beinwunde dort kümmerrn?“ Der Medicus wies auf den Nachbartisch, auf dem ein novadischer Infanterist mit zerfetztem Oberschenkel lag. Der Druide nickte dankbar für die neue Aufgabe und machte sich ohne weitere Worte an die Arbeit. Auch wenn er Kazim lediglich unterstützen oder assistieren würde, war das in seinen Augen noch immer besser, als orientierungslos über das Schlachtfeld zu stolpern oder unter dem Vorwand menschlicher Dummheit überhaupt nichts zu tun. Jolinar eilte hingegen in diesem Augenblick durch das Tor der Eroberer hinaus auf das Schlachtfeld und konnte schon bald erkennen, wo die heftigsten Kämpfe stattgefunden hatten. Einige Leichtverwundete humpelten ihr entgegen, sich gegenseitig oder auf ihre Waffen stützend. Manche sahen sie hoffnungsvoll an, andere wiederum starrten apathisch an ihr vorbei in Richtung Stadt. „Wirr konnten gerrade eine grroße Blutung in Folge der Amputation stillen. Ich hoffe, es hält.“, bemerkte Kazim im Zelt mit einem Seitenblick auf die bespritzte Zeltbahn hinter sich und reichte Eleon ein frisches Tuch für die tiefe Hiebwunde am Oberschenkel des Kriegers. „Viele fürrchten, verdammt zu sein, wenn ein Ungläubigerr ihnen hilft.“, erklärte der novadische Medicus, als er dem Druiden half, die letzten Stoffreste aus der Wunde zu entfernen. „Was ist mit Eurren Gefährrten?“ Missmutig blickte Eleon auf und erwiderte mürrisch: „Sie versuchen ihr Bestes. Doch jeder von uns hat seine eigene Sicht darüber, was das Beste ist.“ Doch dann schüttelte er nur den Kopf, denn darüber wollte er nicht sprechen, wenn vor ihm ein Soldat um sein Leben rang. Kazim musterte den Druiden irritiert. „Ich meinte Eurre Gefährrten in der Schlacht.“, spezifizierte er seine Frage. Sein Gegenüber blickte erstaunt auf und antwortete dann, geflissentlich die Wunde weiter zuhaltend, damit der novadische Arzt sie zunähen konnte: „Entschuldigung, aber ich habe noch nichts von ihnen gehört. Sie leben, wenn auch nicht alle. Feylia und Ardixander sind draußen, um sie zu suchen. Jolinar ist ihnen gefolgt.“ „Bei Rrastullahs Barrt, alles anderre wärre in der Tat bemerrkenswerrt.“, entgegnete der Medicus, um dann einen Helfer anzuweisen, einen Verband um die frisch behandelte Wunde zu legen. Kazim bedeutete Eleon, ihm zum nächsten Verwundeten zu folgen. „Feylia? Die neue Favorritin des Kalifen ist dorrt drraußen?“ Routiniert widmete er sich dem verletzten Kämpfer vor ihnen, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Verband auf die rechte Schulter presste. Auch der rechte Arm schien in Mitleidenschaft gezogen, zumindest hing der Ärmel dort in blutdurchtränkten Fetzen herunter. Eleon musste gehörig schlucken als er erkannte, dass der passende Unterarm fehlte. Kazim reagierte auf das Problem professionell und bat ihn um eine Knochensäge. „Das haben wirr gleich, tapferrerr Strreiterr von Rrastullahs Gnaden.“