Kapitel 7, Anna und der Schwur auf das Sonnenszepter in Unau
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„Bevor wir diese Aufgabe jedoch angehen, ist es mal wieder an der Zeit für ein wenig Manöverkritik.“ Abermals ruhte sein Blick auf den Borongeweihten. „Bei allem Respekt, Euer Gnaden, eine persönliche Absprache anstelle eines Briefes hätte ich begrüßt. Ich schätze derartige Eigenmächtigkeiten nicht, selbst wenn sie sich später als hilfreich erweisen.“ Dragomirs Blick wanderte von Firutin zu Anna und wieder zurück. „Sie haben immer einen bitteren Beigeschmack. Besonders bei Aufgaben wie der unsrigen.“ Der Blick des Bornländers schweifte über die versammelten Gefährten. „Warum finden wir uns immer wieder wie jetzt zusammen? Damit jeder seine Fähigkeiten und Talente einbringen kann. Seht doch unsere illustre Gesellschaft an. Seht, aus welchen Ressourcen wir schöpfen können! Auch wenn ich diesen Satz für klischeehaft halte, muss ich ihn wohl nennen: Wenn Ihr Euch, aus welchen Gründen auch immer, nicht vor der Gemeinschaft äußern wollt, könnt Ihr jederzeit zu mir kommen…“, der Blick des Freiherrn fiel auf Anna, die sich sofort etwas anspannte, „… wie Adepta Rand es tat. Es war gut, dass Ihr zumindest mich persönlich informiert habt, auch wenn es keinen Grund für Euer Vorhaben gab. Abgesehen von einer Aufgabe, um deren Erledigung ich Euch bei der Gelegenheit bitten wollte, aber nicht mehr konnte. Warum seid Ihr so schnell nach unserem Gespräch verschwunden? Ich war doch sehr verwundert darüber, da ich es noch nicht als beendet ansah. Pressierte es so sehr, in die Stadt zu kommen, dass Ihr Euch nicht noch ein wenig gedulden konntet?“ Firutin vernahm die Rüge Dragomirs ohne sichtbare Reaktion und quittierte sie mit Schweigen. Selbst wenn er noch etwas hätte beitragen können, so war der Ritter schon längst mit einem anderen Aspekt beschäftigt. So musterte er wie die übrigen Gefährten Anna, die nun im Mittelpunkt des Interesses stand. „Ihr könnt von mir keinen Kadavergehorsam erwarten, Dragomir.“, antwortete die Magierin souverän und ruhig. „In der Tat, das kann ich nicht. Aber ich kann von Euch erwarten, dass Ihr uns allen gegenüber einen gewissen Respekt an den Tag legt. Zum einen mir gegenüber, denn ich zumindest halte Euch für fähig, würde allerdings gerne wissen, wann und wo diese Fähigkeiten eingesetzt werden. In der angesprochenen Situation seid Ihr einfach verschwunden, ohne dass wir die Vor- und Nachteile Eures Vorhabens abwägen konnten, um über den Sinn desselben zu entscheiden.“, erwiderte der Freiherr tadelnd und mit eisigem Blick. „Zum anderen gegenüber der Gemeinschaft, deren Teil Ihr seid. Angesichts der Lage kann ich den Unmut über Euer Verschwinden und die Fragen, die es aufwirft, durchaus verstehen.“ Rondrik warf ihm einen zweifelnden Blick zu. In seinen Augen handelte es sich bei der Ermahnung der jungen Frau um vergebliche Liebesmüh, denn das Hexenvolk würde bis zum jüngsten Tag so und nicht anders sein. Sofort fixierte er Jolinar, die sich an Nazir gelehnt hatte und gelangweilt von der Diskussion mit dem Seemann tuschelte. Sie bemerkte den warnenden Blick des Geweihten und hielt ihm eine Weile stand, aber solche Kämpfe war sie nicht gewohnt und dementsprechend nicht gewachsen. Sie blickte kurz umher und bemühte sich dann wieder um demütiges Schweigen und Unauffälligkeit. Innerlich hasste sie sich für diese Unterwürfigkeit, gerade dem Prätor gegenüber. „Ihr scheint nicht viel davon zu halten, dass Eure Untergebenen Eigeninitiative zeigen, nicht wahr? Verständlich für Euren Stand.“, warf Anna Dragomir einen verbalen Federhandschuh hin. „Doch über den Sinn oder Unsinn meiner Taten entscheide ich – und nur ich.“ Sie war aufgestanden und richtete ihre Erklärung an die Allgemeinheit. „Mir ist aber auch bewusst, dass einige dieses Verhalten nicht gutheißen und meine Motivationen in Frage stellen. Dem kann ich nur entgegnen, dass ich mittlerweile zusätzlich in Diensten meiner Familie und weiterer Großhändler in Zorgan stehe und den Auftrag habe, der wirtschaftlichen Destabilisierung der Region um Unau entgegenzuwirken und ebenso die Vorgänge in Sant Ascanio zu untersuchen.“ Mit einem selbstbewussten, manch ein Beobachter würde auch die Umschreibung selbstherrlich in den Mund nehmen, Blick setzte sich die Magierin wieder auf ihren Platz. Dragomir hingegen beugte sich leicht vor, legte den Kopf leicht zur Seite, so als glaubte er nicht, was er gerade gehört hatte, und fixierte sie scharf: „Ach, das ist ja interessant.“ Seine Miene war todernst, unterstrichen von einem schneidenden, leicht sarkastischen Unterton in der Stimme und sachlicher Ruhe gleichermaßen. „Aber bevor wir dazu kommen, scheint sich die gelehrte Dame tatsächlich unserem Stande und der Anrede widmen zu wollen. Die gelehrte Dame scheint sich ach so gut damit auszukennen und doch die uns gebührende Anrede nicht zu kennen. Oder warum nennt sie uns lediglich beim Vornamen? Für wen oder was hält sie sich, dass sie dies ohne unsere Erlaubnis wagt? Dass sie sich dort auf Kissen flegelt und nicht wieder aufsteht, wenn Sie mit uns redet?“ Anna stand auf und funkelte den Freiherrn böse an, doch der hatte gerade erst begonnen und fuhr eisig, wenn auch nicht mehr im übertriebenen Adelsjargon fort: „Sehen wir darüber hinweg, denn es geht hier um Grundsätzlicheres. Wir akzeptieren Euch als das, was Ihr seid oder vorgebt zu sein. Wir akzeptieren keine weiteren Eigenmächtigkeiten, denn unser Auftrag erfordert koordiniertes und diszipliniertes Vorgehen. Offensichtlich missversteht Ihr uns, obwohl wir unsere Absicht in aller Freundlichkeit und klaren Worten ausdrücken. Der Respekt, den wir meinen, hat nichts mit Höflichkeitsfloskeln zu tun, sondern mit den Fähigkeiten der jeweils anderen. Den Respekt vor diesen Fähigkeiten und nicht zuletzt vor dem Ehrenkodex, nach dem viele von uns leben. Wir schätzen die Eigeninitiative unserer Mitstreiter. Darum halten wir diese Zusammenkünfte ab, fordern immer wieder auf, Initiative zu zeigen. Allein, wir möchten, dass alle davon erfahren, damit wir alle unser Vorgehen aufeinander abstimmen, unserer aller Fähigkeiten koordinieren können. Die Geschichte zeigt, dass dies maßgeblich zum Erfolg von Missionen wie der unsrigen beiträgt. Oder wird Historie nicht an den Akademien der Magiergilden gelehrt? Wenn Euch wirklich an dieser Mission gelegen ist, die Ihr doch selbst für Eure eigene Familie erledigen sollt, dann sollte unser Anliegen auch in Eurem Interesse sein, gelehrte Dame! Doch entgegen Eurer Worte könnte Euer Verhalten den Verdacht aufkommen lassen, dass Ihr den Erfolg unserer Aufgabe weniger im Sinn habt. Ihr solltet das bedenken. Besonders wenn Ihr wieder auf die Idee kommt, einen Ausflug zu unternehmen.“ Nazir verfolgte die langatmige Zurechtweisung Annas mit einem ausdruckslosen Blick. Er war nicht begeistert von der Disziplinlosigkeit der aufreizend gekleideten Magierin, aber dies war eine Geschichte zwischen den Anführern der Expedition und ihr. Wenn sein Auftrag abgeschlossen wäre, dann könnte er sich durchaus vorstellen, wieder etwas auf eigene Faust zu unternehmen. Doch bis dahin war er Gefolgsmann des Freiherrn zu Firunwald und in dieser Funktion stand es ihm nicht zu, hier in irgendeiner Form Partei zu ergreifen. Seine Hand wanderte weiter zart über den Rücken Jolinars, die sichtlich mit ihren widersprüchlichen Gefühlen für Anna rang. Doch bisher hielt sich die zweite Hexe in der Runde der Gefährten – für jene, die sie bereits durchschau hatten, die aufrichtigere Schwester Satuarias – eingeschüchtert durch Dragomirs herablassenden Monolog und die zurechtweisenden Blicke des Prätors, sicherheitshalber zurück. Eleon hingegen stöhnte innerlich auf und wenn der Disput nicht so laut geführt worden wäre, hätte sicherlich der neben ihm sitzende Sedrox sein Unwohlsein gespürt. Hatte er Anna nicht genau davor gewarnt? Es ist interessant wie weit du eine Lüge durchzuziehen gedenkst, die doch jedem im Raum offensichtlich ist. Spuck weiterhin große Töne und verstecke dich hinter deinem Stolz. Ich wette, sobald du in der bevorstehenden Schlacht einmal unglücklich getroffen wirst, kriechst du in den verachteten Schutz der Gruppe zurück. Vielleicht sogar zu mir. Und wer weiß was in einer solchen Schlacht so alles geschehen kann. Nicht nur Maria verdient eine starke Hand, dachte der Druide bei sich und auch wenn ihn der Verlauf der Debatte wurmte, so blieb er äußerlich ruhig und gefasst. „Ist das alles?“, war nach einem längeren Schweigen die gepresste, dabei aber doch ernste Stimme Annas zu vernehmen. „Ach, erwartet oder befürchtet Ihr gar noch mehr?“, entgegnete Dragomir ihr mit schneidendem Sarkasmus, aber nicht weniger entschlossen. „Mir scheint, die gute Frau Rand möchte hier den Aufstand proben.“, stellte Rondrik mit verräterisch ruhigem Tonfall fest. „Allerdings könnte der Anschein durchaus trügen, da Frau Rand sich ja der Tatsache vollkommen bewusst ist, dass dies sowohl gegen weltliches wie göttliches Recht verstößt und somit auch alle damit verbundenen Konsequenzen kennt.“ Die Stimme des Prätors gewann mit jedem Wort an Schärfe und das Wort Konsequenzen sprach er betont langsam aus, jede Silbe wie vergiftete Pfeile Anna entgegen schleudernd. Die Magierin ignorierte den alten Geweihten und starrte noch immer Dragomir an. „Nein, ich habe nicht wirklich mehr erwartet.“ „Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich dessen bewusst ist, Hochwürden.“, ging der Freiherr zunächst auf Rondrik ein, bevor er sich wieder der aufsässigen Gefährtin widmete. „Aber ich würde es gerne annehmen. Reichen Euch unsere Ausführungen, um unser Anliegen zu verstehen und mehr Kooperation zu zeigen? Oder sollen wir fortfahren?“ Der Prätor beugte sich zu ihm herüber und flüsterte ihm zu: „Meiner Meinung nach sollten wir ihr den Prozess machen. Jetzt. Standesgerichtlich. Was meint Ihr?“ „Ich versuche, sie durch Furcht davor gefügig zu machen. Aber wenn Ihr meint, sofort zu beginnen...“, ließ Dragomir seine ebenfalls geflüsterte Antwort vielsagend ausklingen. Jolinar verfolgte das Verhalten der beiden Würdenträger mit zunehmenden Entsetzen und Wut. „So was Arrogantes!“, raunte sie Nazir leise zu. „Die dürfen flüstern, wir aber nicht! Ja natürlich, wäre ich eine Prätorin oder so, dann dürfte ich es auch… Reiche, arrogante und selbstgefällige Schnösel… Alle beide!“ Die junge Hexe stand nun kurz vor einem weiteren Temperamentsausbruch und jegliche Müdigkeit war verflogen, doch glücklicherweise nahm die Diskussion eine andere Wendung. „Wollt Ihr etwas beitragen, Herr Manzanares?“, richtete sich der Prätor an Adriego, der sich ebenfalls nur noch mühsam zurückhalten konnte. „Nun, wenn Ihr mich so fragt, Hochwürden, würde Ich gerne etwas beitragen. Ich hätte mich aber ohnehin noch zu Wort gemeldet, da meiner Meinung nach hier, bei allem gebotenen Respekt, das Wesentliche außer Acht gelassen wird.“ Rondrik ermunterte ihn fortzufahren: „Nur zu, wir sind ganz Ohr.“ „Vielleicht liegt es an meinem bürgerlichen und geringen Intellekt, doch mir will sich zweierlei nicht ganz erschließen. Erstens: Was wirft man der Adepta Rand denn konkret vor? Damit meine ich nicht, dass es nichts vorzuwerfen gäbe, ganz im Gegenteil, jedoch sollte man bei einer Anklage zunächst den Anlass nennen, nur dann fällt es leicht, den Argumentationsgang nachzuvollziehen. An dieser Stelle sei besonders jener Kameraden gedacht, die erst später zu uns gestoßen sind und beispielsweise die – im Übrigen bis heute nicht erklärte – Flucht von der Faust von Maraskan nicht miterlebt haben. Zweitens sollte das Ziel dieser Debatte definiert werden, also was wird von Adepta Rand erwartet? Eine Entschuldigung würde wohl kaum reichen, oder irre ich mich?“ „Ihr scheint Euch in den Dingen der Prozessführung auszukennen. Das freut uns und wir danken Euch für diesen Einwurf, Herr Manzanares.“, erwiderte Dragomir mit einer höflichen Verbeugung. „Doch ist dies kein Prozess, denn wir klagen nicht an. Wir wollen lediglich an einige Pflichten erinnern, an Maßnahmen, die zum Gelingen unserer Mission beitragen sollen. Die verschiedenen Gründe für dieses Gespräch sollten sich mittlerweile allen Anwesenden erschlossen haben. Aber Ihr mögt Euch keinen Zwang antun und es noch einmal wiederholen. Erzählt ruhig, was Euch auf dem Herzen liegt hinsichtlich des Verhaltens der werten Adepta, damit es Ihr zur Erklärung unser aller Unmut dienen mag. Was unsere Erwartungen betrifft, dürften auch sie klar sein: Kooperation, Ehrlichkeit und Respekt, nicht zu vergessen.“ „Wir mögen uns hier nicht in einem gerichtlichen Prozess der städtischen Justizkammer zu Punin oder Gareth oder sonst irgendwo befinden und selbstverständlich erfordert ein Disput eine derartige Nennung nicht. Allerdings tut es, so scheint es mir, durchaus Not, zu einem Ergebnis zu kommen und wie ich es bereits erwähnte, wäre ich nicht dafür, dass dieses Ergebnis eine Entschuldigung oder gar nur eine Ermahnung sein wird.“, bemühte sich Adriego um eine Veranschaulichung seines Standpunktes, doch dann wurde seine Stimme härter und gewann an nur schwer unterdrücktem Zorn. „Was jedoch die Vorwürfe angeht, so habt Ihr durchaus Recht, sie sollten alle bekannt sein. Aber warum fordert Ihr mich auf, sie dennoch zu nennen? Um mich zu verspotten? Bei allem Respekt, aber das lässt sich ein Manzanares nicht einmal von einem Adligen gefallen!“ „Herrje, ich will Euch nicht verspotten, warum denn auch, Herr Manzanares?“ Dragomir bemühte sich, den aufkommenden Nebenkriegsschauplatz gleich wieder einzustampfen. „Ihr solltet Eure Vorwürfe vorbringen, damit sie der gelehrten Dame als Erklärung dienen mögen, als Unterstreichung dessen, was ich mit Respekt vor dem Ehrenkodex des kämpfenden Standes meinte.“ „Es ist doch viel mehr die Frage, wie Ihr fortzufahren gedenkt.“, warf sich Anna in die kurze Gesprächslücke, die nach der Aussage des Freiherrn entstand. „Setzt Ihr Euren Anspruch als Adeliger von Praios Gnaden oder als Streiter zu Rondras Ehren durch?“ Dragomir traute seinen Ohren nicht, als er den herablassenden Einwurf der Magierin vernahm. „Fordert Ihr uns tatsächlich auf, einen gerichtlichen Prozess zu führen? Oder gar zu einem Zweikampf nach den Regeln der Herrin Rondra? Dann scheint die gelehrte Dame unser Anliegen tatsächlich immer noch nicht zu begreifen, denn Ansprüche stehen nicht zur Debatte.“ Der Ritter funkelte sie zornig an, doch auch Überraschung und eine Spur Entsetzen waren nicht zu leugnen. Doch Anna schien unbeeindruckt: „Endlich begreift Ihr wahre Dinge, dass man Einsicht oder Liebe nicht erzwingen kann, mit keinem Mittel das dem Menschen zur Verfügung steht. Also, wollt Ihr mit mir so lange diskutieren, bis Ihr mir ein geheuchelte Zustimmung abringt oder auf meine eigene Einsicht bauen?“ „Werte Adepta, Ihr braucht uns nicht zu erklären, dass man Einsicht nicht erzwingen kann. Diese Erkenntnis bringt unser Stand mit sich.“, versuchte Dragomir abermals, die widerspenstige Gefährtin zu überzeugen. „Was versuchen wir denn schon die ganze Zeit? Wir bitten Euch doch geradezu inständig um Kooperation. Eine geheuchelte Zustimmung dazu wollen wir mit Sicherheit nicht – und es ist interessant wie zugleich bedauerlich, dass Ihr eine solche Antwort in Erwägung zieht. Wir erwarten Ehrlichkeit und Kooperation, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Doch Euer Verhalten lässt uns daran zweifeln und veranlasst uns dazu, unser Anliegen wieder und wieder zu verdeutlichen.“ Diesmal bemühte sich der Freiherr um einen zuvorkommenden Tonfall und um möglichst viel Entgegenkommen, ohne seinen eigenen Standpunkt aufzugeben. Es schien zu funktionieren, denn Anna lenkte ihrerseits ein: „Zusammenarbeit und Aufrichtigkeit bin ich gerne bereit zu leisten, blinden Gehorsam nicht.“ „Werte Frau Rand.“, ignorierte Rondrik weiterhin die ihr zustehende Anrede. „Gehorsam gegenüber Autoritäten gehört sowohl zu jedem bekannten Rechtskodex im Allgemeinen als auch zum Codex Albyricus im Speziellen. Wollt Ihr Euch dessen schuldig machen?“ Ramon hörte sich die ganze Diskussion eher beiläufig an. Auch für den einfachen Kämpfer aus dem Süden machten diese Formalitäten, Kodexbindungen und Etiketten wenig Sinn, er kannte sie einfach kaum. Daher beobachtete er nun fasziniert die Wortgewandtheit der handelnden Gefährten und wartete auf den ultimativen Konflikt zwischen Anna auf der einen, Dragomir und Rondrik auf der anderen Seite. Er wunderte sich vielmehr über das fortwährende Schweigen Praiadans. Das wäre doch die Gelegenheit für den Praiosgeweihten, seine Rolle in der Gemeinschaft nach der missratenen Seelenprüfung neu zu bestimmen! Anna gegenüber fühlte er eine große Leere, als ob die Frau auf der anderen Seite des Pavillons nicht die wäre, mit der er einst das Bett geteilt und nach der er sich tagelang verzehrt hatte. Ebenjene verflossene Liebe wiederholte gerade sinnierend „Codex Albyricus…“, bevor sie Rondrik ins Gesicht sah und ihm selbstbewusst antwortete: „Er lässt sich umfassend über Gehorsam und dessen Regeln und Richtlinien aus. Ein Absatz daraus lautet sinngemäß, dass mein Gehorsam meiner Akademie und der Gilde zu gelten hat, den Herrschern meines Landes bin ich natürlich auch verpflichtet. Weitere Absätze sprechen auch davon, dass die Gilde ihre Angehörigen richtet, von Geweihten der Rondra als Machtpersonen ist nicht die Rede, außer von Geweihten der Zwölfe, wenn sie einen begründeten Anspruch haben, wie es zum Beispiel in Notzeiten der Fall sein könnte.“ Praiadan, der bis dahin den Disput mit eisern-ausdrucksloser Miene verfolgt hatte, beugte sich nun leicht vor. „Ganz Recht, Adepta, der Codex Albyricus. Ihr scheint Euch daran erinnern zu können, wenn es Euch genehm erscheint.“, begann er ruhig, wenn auch mit einer gewissen Glut in Stimme und Blick. „Darf ich Euch dann an den Paragraphen Eins des Codex Albyricus erinnern? Darf ich Eure Kenntnisse des Weiteren berichtigen, als dass ein Magier sehr wohl von weltlichen und kirchlichen Richtern abgeurteilt werden darf? Wohl wahr, in den meisten Fällen wird der Delinquent nach dem Gildenrecht gerichtet, aber dies ist nicht – wie Ihr selbst erwähnt – in Notzeiten so. Und wenn eine Belagerung keine Zeit der Not ist, was dann? Doch wie Seine Hochgeboren betonte, dies ist kein Prozess, noch nicht. Befürchtet Ihr etwa, dass ein Verfahren eröffnet werden könnte?“ Dragomir nickte dem Geweihten dankend zu und bekräftigte erneut den Status der Diskussion: „Ein Disput, wohl wahr, kein Prozess.“ „Danke für Euren Einwand, Euer Gnaden. Doch in diesem Punkt ist der Codex Albyricus eindeutig, was Ihr gesagt habt ist die Interpretation Eurer Kirche.“ Dann wandte Anna sich Dragomir zu und zeigte sich einigen ihrer Verfehlungen gegenüber einsichtig. „Ich entfernte mich von der Gruppe, das ist wahr, aber da ich mich in keinster Weise formell an Euch, Hochgeboren, gebunden habe, ist dies nicht mehr als eine Verletzung der Etikette. Auf der Faust von Maraskan geschah dies wie auch in Unau zu Eurem Wohle. Dass Ihr nicht verschleppt oder umgebracht werden würdet, konnte ich nun wirklich nicht ahnen.“ „Mitnichten, Adepta. Es ist geltendes und praktiziertes Recht. Eure Aussage hingegen ist, nun... offensichtlich nur Wunschdenken. Daran scheint es Euch weniger zu mangeln, als an dem für Euren Stand nötigen Wissen um Recht, Ordnung und Etikette.“, versetzte Praiadan mit ungerührter Miene. „Ich hoffe, Euch ist bewusst, dass Ihr Euch in einer Notsituation befindet, in der Geweihte offensichtlich das Recht haben, als Richter aufzutreten?“, legte Rondrik sogleich nach, bevor Anna die Möglichkeit einer Antwort bekam. Durch Gestik und Mimik machte der Prätor klar, dass er keinerlei Kommentar oder Erwiderung auf seine rhetorischen Fragen und Pausen wünschte und sprach weiter, dieses Mal mehr an die anderen Anwesenden als an die Magierin selbst gewandt. „Der Codex Albyricus, den ausführlich zu studieren ich in meinem langen Leben bereits mehrmals die Gelegenheit hatte, sieht eine Überführung von angeklagten Gildenmagiern vor die Gildengerichtsbarkeit eindeutig nur in Fällen magischer Verbrechen vor. In unserem Fall werfen wir Euch allerdings kein ebensolches vor, was Euch wiederum unter die weltliche Gerichtsbarkeit werfen würde. Da der nächste zwölfgöttliche Richter offensichtlich nicht in vertretbarer Zeit erreichbar ist, fällt damit den anwesenden Geweihten der Zwölfe laut Codex Raulis und dem Silem-Horas-Edikt die unmittelbare Gerichtsbarkeit zu.“ Empörte Gegenstimmen erhoben sich unter den Gefährten, Adriego und auch Eleon begehrten das Wort, doch Rondrik blockte mit der erhobenen Rechten alle Einsprüche ab. „Ob Ihr glaubt, Euch formell an Ritter Dragomir oder einen beliebigen anderen Teilnehmer dieser Expedition, mich eingeschlossen, gebunden zu haben, ist für unsere Anklagepunkte nicht auch nur im Geringsten von Belang.“ Wieder erfolgten Zwischenrufe, Adriego machte seinem Frust Luft und erinnerte lautstark daran, dass hier ein Disput und kein Gerichtsprozess stattfand, doch der Rondrageweihte überging seinen Einwand ohne mit der Wimper zu zucken. „Ihr scheint ungläubig? Das müsst Ihr nicht sein. Gern will ich Euch erklären, wie Ihr eindeutig aus diesem rechtsfreien Raum fallt, in den Ihr Euch mit ungeschickter Rhetorik zu stellen versuchtet. Die Expedition steht eindeutig unter der Oberhoheit Ritter Dragomirs und der Geweihtenschaft. Durch die Teilnahme an dieser Expedition unterwerft Ihr Euch denen, die diese Oberhoheit innehaben. Damit fallt Ihr auch unter deren Gerichtsbarkeit. Muss ich weiterreden?“ „Tut was Ihr nicht lassen könnt.“, forderte Anna ihn mit kühler Herablassung heraus. Wer genau hinschaute, erahnte die vielen Flüche, die sich in ihrem Kopf sammelten und die danach schrien, auf den Prätor losgelassen zu werden. „Wie Ihr wünscht.“ Rondrik verbeugte sich höhnisch vor der Magierin. „Nun, die Vorwürfe lauten, dass Ihr Euch unkooperativ verhalten habt. Dass Ihr denen, die ihn verdienen, nicht den nötigen Respekt habt zukommen lassen. Dass Ihr Euer Gildensiegel nicht offen tragt und zudem nicht am dafür vorgesehen Platz, was zwar kein Verbrechen darstellt, jedoch ein Grund höchster Suspektion ist. Und diese Punkte sind nur jene, die mir gerade spontan einfallen. Ich bin sicher, in einer ruhigen Stunde würde bedeutend mehr zusammen kommen. Ich kann und werde die Erklärungsversuche, welche auf das versuchte Retten der eigenen Haut der werten Adepta belaufen, weder dulden noch anerkennen. Wenn Ihr nicht einige gute Erklärungen und Entschuldigungen vorbringen könnt, werde ich kaum davon absehen, Anklage zu erheben.“ Schlussendlich wandte sich Rondrik an Adriego und Anna demonstrativ den Rücken zu. „Nein, unter den gegeben Umständen halte ich eine einfache Entschuldigung in der Tat nicht für ausreichend. Ihr irrt Euch nicht.“ Sarkasmus troff aus der Stimme des Prätors und er ignorierte die bösen Blicke aus den Augen des Almadaners. Anna öffnete derweil ihre rechte Hand, damit alle das Siegel sehen konnten. „Ihr könnt vielleicht gut reden, aber nicht gut sehen.“, ätzte sie und warf ihre roten Haare selbstbewusst und stolz in den Nacken. Die Blicke der Anwesenden richteten sich auf das Gildensiegel und die Adepta genoss den Moment der Bloßstellung des rondrianischen Wichtigtuers. Zustimmendes Gemurmel ebbte im Pavillon auf und ab, viele der Anwesenden waren nicht bereit, die durch Rondrik neu definierten Gehorsamsverhältnisse in der Expedition zu akzeptieren. Doch lauter und klar artikulierter Widerspruch wurde nicht geäußert, so dass Dragomir abermals und mit einer beruhigenden Geduld das Wort ergriff: „Eine Klärung der Sachverhalte scheint notwendig zu sein. Unsere Mission ist ein militärisches Unternehmen, das ein Mindestmaß an Disziplin erfordert, um die geforderte Kooperation zu gewährleisten. Ehrlichkeit und Respekt einander gegenüber ist ebenso notwendig wie Gehorsam. Wir wollen nur klarstellen, dass es gewisse Pflichten und Verhaltensweisen gibt, die dem Gelingen unserer Mission förderlich sind und welche, die es nicht sind.“ Sein Blick wanderte von einem Gefährten zum anderen und verharrte eine Nuance länger bei den Kameraden, die Rondrik mit seiner Lektion zum Gehorsam verprellt haben dürfte. „So erwarten wir Kooperation, Ehrlichkeit und Respekt in all ihren Konsequenzen. Das mag in bestimmten Situationen durchaus auch Gehorsam sein. Aber, werte Adepta, Ihr könnt beruhigt sein, denn Kadavergehorsam verlangen wir sicherlich nicht, denn dieser widerspräche unserer Auffassung von Kooperation.“ Er sah Anna offen in das noch immer kampfeslustige Gesicht, das stolz erhobene Kinn und die funkelnden Augen veranlassten ihn dazu, noch weiter auszuholen. „Seine Hochwürden und Seine Gnaden haben Euch auf geltendes Recht hingewiesen, auch wenn Ihr glaubt, es besser zu wissen, sei es was den Codex betrifft oder Euer Auftragsverhältnis. Wir führen das auf den erwähnten eklatanten Mangel an nötigem Wissen und Ehrgefühl zurück, der allerdings einige interessante Fragen bezüglich Eurer Ausbildung aufwirft.“ Er ließ den Magenhieb kurz wirken und erkannte nunmehr kindischen Trotz in ihren Zügen. Irgendwo tief in seinem Herzen verspürte er plötzlich Mitleid, aber das Gefühl verschwand sofort wieder unter der eisernen Fassade, die gewöhnlich seinen Geist vom Gefühl trennte. „Gut, wir sind durchaus Willens, werte Adepta, Euch unseren Respekt durch unser Vertrauen zu erweisen, indem wir unsere Ausführungen jetzt nicht weiterverfolgen und keine weiteren Fragen stellen, auch wenn wir es möglicherweise für nötig erachten. Stattdessen sind wir durchaus gewillt, auf Eure Einsicht zu bauen, in Zukunft auf unseren Sachverstand und unser Urteilsvermögen, sowie die Fähigkeiten der Gefährten zu vertrauen, besonders wenn Euch nach weiteren Eigeninitiativen sein sollte. Wir möchten uns gerne mit Eurem Wort und einem magus probatus sum zufrieden geben.“, erklärte der Freiherr ruhig und blickte Anna ernst, aber mit einem Hauch von Betrübnis an. „Es ist bedauerlich, doch Ihr lasst uns keine Wahl. Es ist an der Zeit, zu einem Ergebnis zu kommen. Wie sollen wir jedoch von der Ehrlichkeit Eurer Worte überzeugt sein, wenn Ihr uns Aufrichtigkeit und Zusammenarbeit versprecht, da Ihr doch... Wie sagtet Ihr? Eine geheuchelte Zustimmung als Antwort in Betracht gezogen habt, dazu noch angesichts der Geschehnisse und Eures verqueren Rechts- und Ehrverständnisses? Bevor wir alle Euch wieder unser volles Vertrauen entgegenbringen, möchtet Ihr uns nicht unsere Fragen beantworten?“ Noch immer starrten viele der Gefährten auf das Gildensiegel in Annas Hand und bekamen nur am Rande mit, dass Dragomir auf eine Entscheidung drängte. Firutin bemühte sich um eine Klärung der Herkunft des Siegels, erkannte jedoch durchaus, dass es sich um ein echtes arkanes Mal handelte. Adriego sah von ihrer Hand auf und ihr seit langem zum ersten Mal wieder direkt in die Augen. Ein komisches Gefühl keimte in ihm auf beim Blick in das hübsche Gesicht dieser umwerfenden Frau, in der er sich anfangs so getäuscht, mit der er beinahe etwas angefangen und mit der er nun seit Wochen nicht mehr gesprochen hatte. Was wenn sie doch einfach eine Magierin ist und das Bestmöglichste in Ihrer Macht getan hatte, schoss es ihm durch den Kopf. Stehe ich dann auf der richtigen Seite? Wenn sich das Ganze doch nur endlich aufklären ließe! Warum sagte eigentlich Ramon nichts zu dieser Situation? Als sein Blick auf den Südländer fiel, erkannte er den Grund. Der Streiter aus Sant Ascanio war der Debatte erschöpft entschlafen. „Entschuldigt, Hochgeboren, und verzeiht meine mangelnde Bildung, aber was bedeutet magus probatus sum?“, wollte Eleon wissen. „Was das bedeutet, wird die werte Adepta nun hoffentlich nicht nur mit Ihrem Wort, sondern auch mit der Beantwortung einiger Fragen erläutern.“, entgegnete der Angesprochene zuversichtlich und blickte wieder zu Anna. „Das ist zum Beispiel das Siegel welcher Akademie?“ Die Magierin legte ihre Hand zurück an ihren Stab. „Es ist das Siegel der Akademie zu Kuslik, in Kombination mit dem persönlichen Siegel meines Lehrmeisters Adrosso Segros, möge er in Borons Halle seinen Frieden gefunden haben. Meine Prüfung zur Adepta habe ich in Kuslik abgelegt, ausgebildet wurde ich jedoch von meinem Meister.“, antwortete sie leise, aber noch immer ungebrochen. Etwas lauter, aber noch immer noch leiser als gewöhnlich, brachte sie nach längerem Ringen mit sich selbst einen kurzen Schwur über die Lippen: „Hochgeboren, ich erkenne Eure alleinige Oberhoheit bei dieser Expedition an, werde meine Unternehmungen mit Euch absprechen und Euren Worten Folge leisten. Dies schwöre ich bei meinem Stand als Magierin, mit all seinen Rechten und Pflichten.“ „Ach bitte, lassen wir den Tempel im Dorf!“, platzte es aus Adron hervor, der der Diskussion zwischenzeitlich kaum noch folgen konnte, doch mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Situation, die sich nun abzeichnete, nicht einverstanden war. „Die Adepta hat die Gruppe zweimal im Stich gelassen, soweit ich das mitbekommen habe. Das mag von schlechtem Charakter zeugen und als Feigheit vor dem Feind gelten, aber ein ahndenswertes Verbrechen ist es nicht. Respektlosigkeit, schön, Eure Sache.“ Er verdrehte die Augen und machte keinen Hehl daraus, was er von dem Vorwurf hielt. „Aber, Codex Albyricus hin, weltliches Recht her, worum es doch geht ist, dass die Gruppe ihr nicht mehr vertraut. Warum? Weil sie sich mitten in der Nacht davongeschlichen hat und auf wundersame Weise mitten in Unau wieder aufgetaucht ist. Und nicht nur sie.“, fügte er mit einem Seitenblick auf Firutin hinzu. Direkt an Anna gerichtet fuhr er mit kaum unterdrückter Wut in der Stimme fort. „Ihr mögt Euch wundern wieso uns…“, er deutete auf die bisher Schweigenden, „… das nicht schmeckt? Weil wir auf dem Weg hierher beinahe alle draufgegangen wären! Wenn es so leicht ist in diese Stadt zu kommen, wieso habt Ihr uns nicht mitgenommen?“ Für einen Augenblick ließ der Mittelreicher den Vorwurf im Raume stehen und sprach dann ruhig weiter: „Nun gut, das konntet Ihr natürlich nicht wissen. So wie wir nicht wissen konnten, wohin Ihr verschwunden seid. Und das wiederum...“, er wandte sich abrupt zu Dragomir um, „… ist auch Eure Schuld! Ihr wusstet sehr wohl, wo die Adepta war, Hochgeboren. Trotzdem habt Ihr es uns nicht mitgeteilt. Wir fühlten uns von ihr verraten und auch von Seiner Gnaden Sandström. Wir dachten die Beiden hätten uns im Stich gelassen, wären einfach abgehauen, dabei wusstet Ihr doch, dass sie hier in Unau sind, was auch immer sie hier wollten.“ Dann richtete er seinen Blick auf Rondrik, dessen Gehorsams- und Gerichtsbarkeitsdefinition ihm zutiefst zuwider gewesen war. „Schon seit ich in Kannemünde zu Euch stieß, fällt mir diese Geheimniskrämerei auf. Immer wieder werden nur Teile der Gruppe über gewisse Dinge informiert. Ist das Eure Vorstellung von Führung? Wir sind keine Soldaten, wir alle folgen Euch freiwillig und ich für meinen Teil erwarte im Gegenzug genauso völlige Offenheit von Euch, wie Ihr sie mit aller Berechtigung von uns einfordert!“ Sein Blick ruhte nun wieder auf Dragomir und er genoss die zustimmenden Blicke aus allen Richtungen. Curthan und Eleon, Sedrox und Numba, Xardan und Ardixander, selbst Feylia und Jobdan wusste er in diesem Augenblick ebenso auf seiner Seite, wie Adriego und Jolinar. Lediglich den schlummernden Ramon, die von der geballten Argumentationskraft schier überwältigte Draconiterin Jalessa und den weiterhin undurchsichtig vor sich hin starrenden Nazir konnte er keiner Fraktion zuordnen. Mit großem Selbstbewusstsein schloss er seinen fesselnden Wortbeitrag an Dragomir gewandt ab: „Ich kann Euch nicht vorschreiben, was Ihr tun sollt, das ist mir durchaus bewusst. Aber Ihr sprecht immer von Respekt, Vertrauen und Kooperation. Ich denke sie stehen uns allen zu. Egal wie gering unser Stand ist!“ „Herr Horger, ich danke Euch für Euren Einwurf und gebe Euch in den meisten Punkten Recht.“, entgegnete Dragomir ruhig und gelassen, obwohl ihn die Vorwürfe gegenüber den Geweihten und ihm selbst innerlich überhaupt nicht kalt ließen. „In den meisten, denn erstens ist Feigheit vor dem Feind ein Verbrechen nach dem Codex Militae und nach dem Khunchomer Kodex ebenso wenig gut gelitten. Aber ich will hier niemanden als feige bezeichnen. Zweitens habe ich der Gemeinschaft das Fehlen Seiner Gnaden und der werten Adepta, sofern es nicht ohnehin aufgefallen war, mitgeteilt, als wir das weitere Vorgehen nach Feylias Flug nach Unau besprachen. Über die Gründe des Verschwindens musste ich schweigen, weil sie mir nicht wirklich bekannt waren. Des Weiteren danke ich Euch für Eure Unterstützung und ich werde mein Bestes geben, dass ich sie ebenso materiell wie moralisch entlohnen kann. Die Geheimniskrämerei, wie Ihr es nennt, war in Kannemünde wohl angebracht, schließlich handelt es sich bei unserer Mission um ein diffiziles Unternehmen, das nicht unbedingt aller Welt Aufmerksamkeit bedarf – zu unserem eigenen Schutz.“ Dann musterte er wieder Anna, die noch immer vor ihrem Diwan stand und sich wieder besser fühlte, nachdem sie den Schwur geleistet hatte. Doch nun wurde klar, dass dieser den Freiherrn eher misstrauischer als zufriedener gestimmt hatte. „Das kam schnell, werte Adepta. Wir müssen zugeben, überrascht zu sein, da Ihr sogar schwören wollt. Gut, das erfreut uns wirklich.“, bekannte der Freiherr offen heraus. „Doch beantwortet uns doch zunächst einige Fragen, die sicherlich jeden von uns interessieren. Meint Ihr, die Mission allein besser erfüllen zu können? Verratet uns das Geheimnis, wie Ihr es anstellen wollt. Wir wären erfreut, Leib und Seele unserer Waffengefährten nicht gefährden zu müssen. Doch stellt sich dann die Frage, warum Ihr nach jedem Eurer Ausflüge – es ist bedauerlich, den Plural nutzen zu müssen – zurückgekehrt seid. Unsere Gesellschaft kann es nicht sein, denn diese scheint Ihr ja für weniger angenehm zu halten.“ Äußerlich blieb die Magierin gelassen, doch innerlich verfluchte sie den verdammten Adligen für seine Renitenz. Hatte sie nicht eben seine Führung anerkannt und geschworen, sich seinem Kommando zu unterwerfen? Was wollte er nun schon wieder von ihr? Sie rang sich die nötige Gelassenheit ab, auch wenn sie am liebsten die Besprechung verlassen hätte, um weiter zuzuhören. „Kommen wir doch bei dieser Gelegenheit zu den Ergebnissen Eurer letzten Eigeninitiative. Wie Ihr vielleicht bemerkt habt, unterstellen wir Euch triftigere Gründe, als jene die Ihr uns genannt habt. Was war Euer Ziel? Was habt Ihr herausgefunden? Außer, dass in Unau heiß geba… naja. Herr Horger hat es angesprochen. Hättet Ihr uns einen Weg in die Stadt zeigen können? Wärt Ihr notfalls Feylia zur Hilfe gekommen, worum ich Euch bitten wollte, aber wovon mich Euer eiliges Verschwinden abhielt? Sollen wir bezüglich Eures Verschwindens weiterfragen?“ Ein Feuer loderte in ihrer Brust, als Dragomir einen Satzbrocken nach dem anderen in ihre Richtung warf und sich nicht mit dem zufrieden gab, was sie eingestanden hatte. Innerlich zerfetzte sie ihn für jedes einzelne Wort und hatte Mühe, sich überhaupt noch auf seine Vorwürfe zu konzentrieren. Und es ging immer weiter: „Uns ist Eure Reiseart klar, doch erläutert bitte, wie Ihr von offener See verwundet und dennoch so rasch nach Jergan kamt, um dort Nachforschungen anzustellen. Und der Rückweg? Eine Suche nach unserer…“, Dragomir wies in die Runde der versammelten Gefährten, „... Gemeinschaft zwischen Maraskansund und Perlenmeer samt den angrenzenden Küsten ist für Euch anscheinend ein Kinderspiel. Dazu noch eine rasche Reise nach Zorgan, um einen anderen Auftrag zu ergattern? Das alles innerhalb von drei, vier Tagen? Uns erscheint das trotz der Euch zur Verfügung stehenden Reisemöglichkeiten merkwürdig.“ Anna atmete tief durch, Gift und Galle brodelten dicht unter ihrem Kehlkopf, doch mit aller ihr möglichen Selbstbeherrschung widerstand sie dem Impuls, dem aufgeblasenen Snob die Krätze an den Hals zu zaubern. „Dieser Auftrag ist ohnehin ein gutes Stichwort. Zugebenerweise sehr geschickt: Ihr kassiert zwei-, ja sogar dreifachen Lohn, könnt Euch aber der Hilfe der von einer anderen Institution ausgesandten Gruppe versichern, ohne diese entlohnen zu müssen. Dürfen Wir Euch darauf aufmerksam machen, dass es für die bornische Krone üblich ist, Männer und Frauen nach dem Khunchomer Kodex in Lohn und Sold zu nehmen? Mit der Annahme eines weiteren und dazu noch eines dritten Auftrags in Kannemünde, lauft Ihr Gefahr, vertragsbrüchig zu werden – kaum förderlich für Eure Reputation. Aber diese scheint Euch doch nicht dermaßen am Herzen zu liegen, als dass Ihr Euch darum schert. Doch da wir um die Gepflogenheiten und Schwierigkeiten dieses Geschäfts wissen, wollen wir über all diese Fragen hinwegsehen, da es unserer Sache dienen und uns stärken mag. Es wäre dahingehend nur nützlich zu wissen, wer denn Eure mittlerweile neuen Auftraggeber sind. Beantwortet diese Fragen und nehmt dazu Stellung. Seht es als ersten Beweis für den Schwur, den Ihr leisten wollt.“ „Wenn Ihr den Wert meines bereits geleisteten Schwurs herabwürdigen wollt, Hochgeboren, dann seid Ihr mich schneller los, als Ihr Euch den Rotz in einer Seitengasse Gareths holen könnt.“, warf Anna ihm eiskalt und giftig an den Kopf. „Was kein großer Verlust wäre.“, murmelte Rondrik gehässig, doch die Magierin ignorierte ihn. „Wenn ich meinte, alles besser alleine zu verrichten, dann hätte ich die Gruppe längst verlassen. Ihr wisst ja: Manchmal ist ein Dolch mächtiger als tausend Schwerter und wenn ich eine Möglichkeit sehe, nehme ich sie wahr. Wie schnell glaubt Ihr, hat sich Eure Ankunft in Unau herumgesprochen und all jene alarmiert, die etwas zu verstecken haben?“ Ihre Augen funkelten gefährlich und sie beherrschte sich nur mühsam, nicht zu viel Spott in ihre Stimme zu legen. „Und was meine Ausflüge angeht: Ich habe hier in dieser Stadt das ominöse Auge des Namenlosen gesucht, da ich es sich hier in Unau vermutete. Wollt Ihr mir nun vorwerfen, etwas nicht gefunden zu haben, was vielleicht gar nicht da ist oder war? Stellt Euch aber andererseits mal vor was passieren würde, wenn eine kleine Gruppe von Gefolgsleuten des Namenlosen eines der Tore öffnen könnte, wenn die Belagerer schon vor der Türschwelle stehen und sich die Füße abtreten würden, damit sie ihr neues Heim nicht zu sehr beschmutzen. Die möglichen Konsequenzen dürften Euch bewusst sein.“ Ihre Stimme wurde immer leiser und Verachtung brach sich Bahn. „Als ich den Palast untersuchen wollte und dabei auch Feylia zur Hilfe hätte kommen können, hat mich eine der Wache bemerkt und so musste ich mich leise zurückziehen.“ Ihr Blick fiel auf Feylia und das erste Mal seit dem Beginn der Versammlung wurde ihre Miene warm. „Und ja, ich hätte sie ohne zu zögern gerettet, weil sie eine der wenigen ist, die mich nicht aburteilen wegen angeblicher Feigheit, Treuelosigkeit oder meiner Manieren. Weil sie wie ich ihre Freiheit lebt und liebt!“ Die Elfe hatte einen Gesichtsausdruck aufgelegt, der zwischen Zustimmung und Ablehnung alles bedeuten konnte. Sie wollte sich nicht klar positionieren, da sie die Vorgänge hier unter den Anwesenden nicht wirklich deuten konnte. Doch sie nickte der Magierin freundlich und dankbar für das Lob zu. „Um auf mein Verschwinden von der Faust von Maraskan zu sprechen zu kommen, so beherrschen fast alle Magiebegabten den Balsamsalabunde, mit dem sich in wenigen Augenblicken selbst schwerste Wunden schließen können. Der Rest war Zauberei der Bewegung und glaubt mir, das Ganze war kein Kinderspiel. Und jetzt werft Ihr mir doch tatsächlich vor, dass ich Euch möglichst schnell aus der Hand der Borbaradianer befreien wollte?“ Sie lachte höhnisch und schüttelte die roten Haare, dann fügte sie bitterböse hinzu: „Was meinen mehrfachen Lohn angeht, so bin ich die Tochter eines Händlers. Das muss mir im Blut liegen. Es liegt mir nicht wirklich am Gold, ich wollte nur ein paar Kamele, um nicht auch noch meine letzten Kräfte aufzubrauchen, den Auftrag von zu Hause habe ich mir nicht ausgesucht. Außerdem wäscht eine Hand die andere. Mein Auftraggeber ist eine Interessensgemeinschaft der wohlhabenden Händler Zorgans, zu denen sich auch meine Familie zählen darf. Habe ich eine Eurer Fragen vergessen, Hochgeboren?“ Die übertriebene Betonung der Anrede war, wie schon ein großer Teil ihrer Aussagen, am Rande jeglicher Etikette und es scherte die junge Magierin nicht mehr. Sie spürte, dass ihre Verurteilung ohnehin erfolgen würde. Daher legte sie keinen Wert mehr auf eine Annäherung, sondern tat jetzt das, was sie schon immer getan hatte: Sie verfolgte nur noch ihren Weg, komme was da wolle. Dragomir hatte sich gelassen zurückgelehnt, ein leises Lächeln umspielte kurz seine Mundwinkel, doch dann schaute er wieder so ernst, ja finster drein wie während des ganzen Disputs. „Aber warum habt Ihr uns den Grund für Euren Besuch in Unau denn nicht gleich gesagt, werte Adepta? Stattdessen erzählt Ihr Geschichten von Kameldung und Badehäusern.“ Anna kräuselte fragend die Stirn, sagte aber nichts zu diesem Blödsinn. „Und wer hat Euch denn abgeurteilt? Wir haben Euch nur auf einige Pflichten hingewiesen, die Euer Stand mit sich bringt.“, fuhr er mit vorwurfsvollem Unterton fort, bevor er in die Runde fragte: „Stellen Euch die Antworten zufrieden? Immerhin waren das alles Fragen, die uns alle in der letzten Zeit beschäftigten. Ich für meinen Teil würde die Geschichte um Jergan und Zorgan nur zu gern noch einmal genauer hören.“ „Eure Erklärungen klingen gut, doch wo bleibt der Beweis? Ich könnte behaupten, in der letzten Nacht den Namenlosen selbst erschlagen zu haben, falls Ihr versteht, was ich meine. In der Tat scheint die Zusammenarbeit gut. Doch haltet Ihr Pfeffersäcke für die rechten Organisatoren militärischer Expeditionen?“, warf Rondrik zweifelnd ein. Anna runzelte die Stirn, da sie nicht wusste, was der senile Geweihte vor ihr mit Pfeffersäcken meinen könnte, aber sie beschloss, gar nicht auf sein sinnloses Gerede einzugehen. „Beweise? Was stellt Ihr Euch vor, Hochwürden? Trophäen von erschlagenen Borbaradianern? Aber einen formellen Brief der Kontoren Zorgans könnte ich Euch gerne vorlegen.“ „Bitte, zeigt uns diesen Brief.“, Dragomir streckte die Hand aus und fügte hinzu: „Alsdann bitten wir Euch um zwei Dinge, um diesen Disput endlich abzuschließen. Berichtet bitte zum einen noch einmal genau von Eurer Reise nach Jergan und Zorgan. Wir wollen Euren Schwur keineswegs herabwürdigen und wir sind Eurer geäußerten Absichten auch sehr dankbar, aber immerhin wart Ihr im Herzen der Schwarzen Lande, also bitten wir um Euer Verständnis, dass wir zum anderen den Schwur aus Eurem Munde wiederholt vernehmen wollen, um uns von der Wahrheit Eurer Worte zu überzeugen.“ Sein Blick wanderte von Anna zu Praiadan und wieder zurück. „Mit einem magus probatus sum auf das Sonnenszepter, oder nicht?“ „Und dem Eidsegen“, ergänzte Rondrik. Während der gesamten Diskussion hatte Eleon gespannt auf die Reaktionen Praiadans geachtet. Es verwunderte ihn, wie der Geweihte so gelassen, nahezu unbeteiligt Beleidigungen und versteckte Sticheleien an sich und den anderen Geweihten vorüber gehen ließ. Doch als Dragomir forderte, dass Anna auf die Insignien des Herrn Praios schwören sollte, wurde nicht nur das Gesicht der Adepta, sondern auch sein Gesicht deutlich blasser und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Schlau, hinterhältig und intrigant haben sie die Schlinge zugezogen, dachte der Druide bei sich. Selbst der Schwur wirkt jetzt anmaßend und geheuchelt. Jetzt gibt es nur wohl noch den Weg nach vorn. Oder? Zumindest in dieser Runde kann sie nun nichts mehr erreichen und hat jegliches Vertrauen verloren. Die Gesichtszüge der Magierin waren regelrecht eingefroren, als sie tief durchatmete und dann energisch zum Ausgang des Pavillons schritt. „Die gelehrte Dame scheint Respekt von anderen zu verlangen, aber nicht fähig zu sein, im Gegenzug Demut zu zeigen.“ Dragomir versperrte ihr den Ausgang mit dem Arm. „Gerade wolltet Ihr noch freiwillig einen Schwur leisten, aber nun auf das Sonnenszepter nicht mehr? Erklärt uns das, bitte. Das verstehen wir beim besten Willen nicht. Wir geben jedoch zu, dass es Euren Stolz kränken mag, doch haben wir lernen müssen, unseren Stolz dem Ziel unserer Mission unterzuordnen, besonders in den letzten Tagen. Wir können das ebenso von Euch erwarten. Und nun, da es der Sicherheit dient, ist ein Schwur auf das Sonnenszepter nicht zu viel verlangt.“ Anna starrte ihm eiskalt in die ebenso eindringlich zurückstierenden Augen und wartete darauf, dass er den Weg freimachen würde. „Soll ich Euch erst zur Seite schieben, damit Ihr mich vorbei lasst?“, zischte Anna leise und fast unverständlich, als Jolinar neben ihr auftauchte. Sie wirkte nervös und unsicher, doch sie hatte sich nun mal dazu durchgerungen, ihrer Freundin beizustehen. Ganz egal, was die anderen Anwesenden davon halten würden. „Mensch, Anna.“, redete sie leise auf die noch immer auf Dragomir wartende Gefährtin ein. „Beruhige dich bitte! Ich vertraue deinem Schwur. Denn wenn du wieder verschwinden würdest, ohne Bescheid zu sagen, dann würdest du unsere Freundschaft aufs Spiel setzen und ich hoffe, dass diese dir zumindest ein wenig wert ist, auch wenn ich davon noch nicht viel gesehen habe. Schwöre auf etwas, dass dir wichtig ist. Wenn du es ehrlich meinst, werden die Geweihten es auch anerkennen! Bitte, Anna. Ich vertraue dir!“ Die letzten Worte sprach sie ganz leise, so dass sie kaum mehr zu hören waren. Dabei trat sie ganz nah an die noch immer starr in die Augen des Freiherrn blickende Adepta heran und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Bewahre den Schein, verdammt!“, hauchte sie ihr zart ins Ohr. „So kommen sie dir nur auf die Schliche.“ „Ihr habt als rechtschaffene Zauberkundige nichts zu befürchten. So stellt sich dann die Frage: Warum wollt Ihr nicht auf das Sonnenszepter schwören? Nun, wir können Euch nicht zwingen. Eure Verweigerung ist jedoch äußerst bedauerlich.“, versuchte Dragomir abermals mit aller ihm möglichen Ruhe den Bann zu brechen. „Denn gerade diese Verweigerung könnte uns zu dem Schluss führen, dass Ihr mehr zu verbergen habt, als einen reisiglosen Besen.“ Auch der Freiherr flüsterte nun, so dass das Gespräch am Eingang des Pavillons für die anderen kaum noch vernehmbar war. „Versteht Ihr noch, was das soll, Nazir?“, erkundigte sich Jalessa bei dem Seemann aus Al’Anfa. „Keine Ahnung. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was dieser ganze Kram soll. Ich würde ihr den Sold kürzen oder sie rausschmeißen und fertig. Es wird immer kompliziert mit Adligen und Geweihten.“, schüttelte er grummelnd den Kopf. „Eine Freundschaft, die es nie zwischen uns gegeben hat.“, entgegnete Anna am Eingang traurig, ohne Jolinar anzuschauen. „Tretet beiseite, Hochgeboren!“ „Der Schwur auf das Zepter sollte alle Zweifel ausräumen. Wenn Ihr nun wieder geht... weglauft... Nun, gut. Nachsichtiger Weise geben wir Euch bis morgenfrüh Zeit, Euren Entschluss zu überdenken. Wenn wir uns nicht völlig in Euch irren, seid Ihr dann noch da.“ Er gab Anna endlich den Weg frei, doch Praiadan trat hinzu und keifte ungehalten: „Was kann denn wichtiger sein, als die Wahrheit? Was läge denn näher, als auf die Insignien des Herrn der Wahrheit zu schwören?“ Streng und in gewisser Weise feierlich blickte er den beiden Frauen nacheinander in die Augen. „Unser Angebot steht. Kommt ihm nach.“, forderte nun auch Rondrik, doch Anna verließ den Pavillon in Richtung Ostflügel des Kalifenpalastes und verschwand rasch in der mittlerweile mitternächtlichen Dunkelheit.
Kurz vor Ablauf der Frist erschien doch noch die vermisste Magierin. Offensichtlich erdenklich schlechter Laune, marschierte sie entschlossen zu Dragomir und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich hoffe Ihr seid jetzt glücklich, dass Euer ach so raffinierter Plan aufgegangen ist.“ Der Freiherr hörte ihr gelassen zu und rollte lediglich kurz mit den Augen, bevor er auf das bereitliegende Sonnenszepter wies. Anna spürte alle Augen auf sich gerichtet, doch das schien sie nicht zu stören. Sie schob sich zwischen zwei Tischchen zur geweihten Waffe durch und legte ihre Hand so plump auf die goldene Oberfläche, als ob es sich um einen beliebigen Gebrauchsgegenstand handeln würde, um dessen Zustand man sich nicht im Geringsten kümmern musste. Praiadan trat hinzu und ein strenger Blick genügte, um der Adepta zu etwas mehr Ernsthaftigkeit zu verhelfen. Sie hob ihre rechte Hand und wiederholte ihren Schwur vom Vorabend: „Ich erkenne Eure alleinige Oberhoheit bei dieser Expedition an, Hochgeboren. Ich werde meine Unternehmungen mit Euch absprechen und Euren Worten Folge leisten. Dies schwöre ich bei meinem Stand als Magierin, mit all seinen Rechten und Pflichten.“ Sie nahm ihre eine Hand von der Waffe und senkte die andere. Dabei wiederstand sie der dringlichen Versuchung, die Linke an ihrem silberweißen Kleid abzuwischen, und richtete sich an die Gefährten: „Ich bin eine Hexe und bin darauf genauso stolz, wie auf meinen Rang einer Adepta. Ich habe meinen Besen dazu benutzt, um in Jergan nach Euch zu suchen. Für mich war sicher, dass ihr verschleppt werden würdet und so setzte ich alles daran, mit allen Mitteln rechtzeitig auf Maraskan zu sein. Ich fand euch in Kannemünde, weil mir dieser Hafen sinnvoller erschien als Khunchom.“ Noch immer schien sie über alle Maßen verärgert und funkelte jene Gefährten an, die ihrem zornigen Blick nicht auswichen. „Wir danken Euch für Eure Offenheit, werte Adepta, und sind wahrlich erfreut, dass Ihr Eure Rechte und Pflichten erkennt und damit den Göttern den Respekt zollt, der ihnen gebührt.“, akzeptierte Dragomir den Schwur der Magierin.