Kapitel 7, Anna und Jolinar bei der Siegesfeier in Unau

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  Im Ballsaal saß Anna noch immer alleine und hatte mittlerweile mehr getrunken als sie es gewohnt war. Sie schielte auf den Krug mit Wein vor sich, der offensichtlich ihr einziger Liebhaber des Abends bleiben sollte, befand dann jedoch, dass das bei ihren gegenwärtigen Bedürfnissen nicht das richtige sein würde. Daher erhob sie sich, setzte elegant über zwei auf dem Boden liegende Kissen hinweg, ohne das vom Alkohol beeinträchtigte Gleichgewicht zu verlieren, und ließ sich rechts neben Nazir auf dessen Diwan plumpsen. Sie lächelte zunächst Jolinar am anderen Ende der Sitzgelegenheit zu, dann dem Al’Anfaner, nur um einiges verführerischer. Die Finger ihrer linken Hand bewegten sich unauffällig auf seinen Rücken, wo sie zuerst über sein Hemd, dann aber bald schon über seine warme Haut darunter streichelten. Dabei kam ihr zugute, dass die junge Hexe abgelenkt war und neugierig nach draußen auf den Balkon spähte, wo der Sklave namens Lucan sich mit Adron unterhielt.
  Ihr Blick fiel auch kurz auf Dragomir, der noch immer auf der Terrasse stand, halb vom Thron Malkillahs verdeckt. Schade, aber noch viel interessanter schien es ihr zu erfahren, was die beiden Männer zu besprechen hatten. Sie drehte sich wieder zu Nazir um, ihre Züge glänzten noch immer vom Lachen und ihre Wangen waren vom Alkohol gerötet. Doch dieser Glanz verschwand aus ihren Augen, als sie Annas Hand bei ihrem Nazir sah! Und nicht nur das: Der Holzkopf schien das sogar noch gerne zu haben und gab ein Geräusch von sich, dass einem vollgefressenen Kater nicht besser über die Schnurhaare gekommen wäre.
  Ihr Kopf wurde hochrot und Wut spiegelte sich in ihren Augen, als sie die Hände zu Fäusten ballte. Ein wütendes Schnauben war zu hören, als sie ihre Hände an Nazir vorbei ausstreckte und ihre urplötzlich messerscharfen Nägel in die weiße Haut an Annas Armen bohrte. Doch dort verweilten diese nicht, sondern wanderten bis zum Handgelenk der Rivalin, blutige Kratzer auf dem Unterarm zurücklassend. Die überraschte Magierin zog ihren Arm erst zurück, als sie für einen viel zu langen Moment ungläubig auf die entstehenden Wunden gestarrt hatte.
  „Was ist denn mit dir los?“, wunderte sich Nazir über das aggressive Verhalten seiner Freundin, das so gar nicht zur gelösten und festlichen Stimmung passte und einen tollen Moment ruinierte.
  Jolinar sah ihn entsetzt an, stand dann auf und blickte ihn noch einige Augenblicke fassungslos an. Erst dann war es ihr möglich, ihren Mund zu schließen und mit hörbar zittriger Stimme zu antworten: „Nein, ist gut. Macht ruhig weiter, lasst euch von mir nicht stören.“ Sie stolperte hastig auf den Balkon, an das andere Ende der mächtigen Terrasse und weit weg von Dragomir und den anderen beiden Männern. Die waren alle gleich! Natürlich hätte sie sich auch sofort auf ihrem Zimmer einschließen können, doch dann wäre alle Hoffnung verloren – und noch hatte sie sich ein wenig davon bewahrt.
  Kopfschüttelnd ließ Nazir sie gewähren und trank noch einen Schluck Wein. Dann erhob er sich und warf Anna einen bedauernden Blick zu. „Tja, vor ein paar Monden noch…“, merkte er schulterzuckend an, „… hätten wie beide viel Spaß haben können. Aber man muss eben Prioritäten setzen.“ Er ließ die rothaarige Magierin wieder mit sich alleine zurück und folgte seiner Freundin nach draußen.
  „Hey, Adriego! Schau mal Jolinar an. Die hat wieder irgendeinen Anfall.“, brummte Sedrox lachend, bevor er mit einem kräftigen Zug seinen Humpen Bier leerte und ihr schielend hinterher starrte. Es störte ihn nicht, dass er keine Antwort bekam, denn sein Freund hatte seine Zunge längst nicht mehr in seiner Gewalt – die gehörte nun endgültig Azina.
  Anna rannte derweil Nazir hinterher und packte ihn hinterrücks und heimtückisch am Kragen. „Du bleibst hier bis Jolinar oder wir beide zurückkommen, verstanden?“, maßregelte sie den Lebemann zornig und duldete keinen Widerspruch.
  Doch der Al’Anfaner zeigte sich von ihrer Ansprache wenig beeindruckt. Einen kurzen Moment war er versucht, ihr für ihren Angriff eine Lektion zu erteilen, doch der Wein hat ihn offensichtlich träge und gutmütig gemacht. Er folgte Anna gemäßigten Schrittes, blieb aber letztendlich am Durchgang zur Terrasse stehen, um die weiteren Ereignisse zu beobachten und gegebenenfalls einschreiten zu können.
  Dragomir hatte den Auftritt der beiden Gefährtinnen mitbekommen und sich wieder zu Adron und Lucan gesellt. „Hm, scheinbar sind einige hier die Feierei nicht gewohnt.“, bemerkte er trocken und schüttelte den Kopf. „Hexenweiber, ich sage es Euch, Herr Horger. Nehmt Euch eine, die eine Kriegsschule durchlaufen hat oder sonst woher Disziplin kennt.“ Er klopfte dem Mittelreicher noch einmal kameradschaftlich auf die unverletzte Schulter. „Lasst Euch von…“, sein Blick richtete sich kurz auf Lucan, doch er kannte den Namen seines neuen Untergebenen noch nicht, „… von ihm hier helfen, wenn Ihr Euch zurückziehen wollt. Ich für meinen Teil werde das jetzt wohl tun.“
  Schmunzelnd nahm Adron seinen kurzen Ratschlag über Frauen und Disziplin entgegen. „Die gütige Mutter hat jedem die richtige Frau zugedacht.“, grinste er den Freiherrn an. „Aber Rahja sieht das natürlich ein wenig anders, glaube ich. Nochmals eine gute Nacht, Hochgeboren. Ich werde hier noch ein wenig die laue Nachtluft genießen, dann klären sich die wirren Gedanken wieder ein wenig.“
  „Da gebe ich Euch Recht, Herr Horger. Gute Nacht!“, verabschiedete sich Dragomir und nickte Lucan kurz und knapp zu, bevor er wieder an Nazir vorbei, dem er ebenfalls auf die Schulter klopfte, in den Ballsaal marschierte.
  „Wo kommst du her, Lucan?“, setzte der blonde Hüne das unterbrochene Gespräch mit dem Sklaven neben ihm fort.
  Der verschränkte die Arme vor der Brust und folgte dem Blick Adrons zu den beiden Frauen am anderen Ende des Balkons. „Ich komme eigentlich aus Sylla.“ Dann wies er mit einem Lächeln auf Jolinar, die vom Geländer in den Garten geschaut hatte und sich nun zu Anna umdrehte. „Was ist hier eigentlich los? Sie sieht wütend aus.“
  „Sylla? Hab ich schon mal gehört. Irgendwo im tiefen Süden, oder? In die Richtung jedenfalls.“ Er beobachtete Jolinars bösartiges Grinsen und wechselte das Thema: „Mal sehen, entweder hat ihre Liebschaft etwas angestellt oder, was ich eher glaube, Anna.“
  „Sie sind beide wunderschön.“, merkte Lucan anerkennend an. „Diese Liebschaft muss ein wahrer Glückspilz sein.“
  Adron lachte bei dem Gedanken, der ihm so nie gekommen wäre. „Naja, zumindest braucht er ein dickes Fell, um den beiden zickigen Hexen nicht in die Quere zu kommen.“
  Die rothaarige Magierin hatte bemerkt, dass Nazir ihr gefolgt war und suchte daher nicht sofort das Gespräch mit Jolinar, die sie höhnisch angrinste. Stattdessen drehte sie sich um und ging unter den hitzigen Augen der unerfahrenen Hexe zurück zum Seemann aus Al’Anfa. „Bitte lass mich mit Jolinar alleine reden.“, schnurrte sie ihm leise zu, schmiegte sich nah an ihn heran und ließ ihre Finger sanft und erotisch über seine Schultern, seinen Hals und sein Gesicht gleiten. Dann beschwor sie ihn eindringlich: „Was du jetzt wirklich willst ist eine der kleinen Tänzerinnen, um sich mit ihr zu vergnügen.“
  Was immer er auch von der erneuten Annäherung Annas erwarten mochte, wie die meisten Männer stand er ihr völlig hilflos gegenüber und ließ geschehen, was die verführerische Gefährtin im Sinn hatte. Einen kurzen Moment noch blieb er verdattert und verhext stehen, als die aufreizende Frau sich von ihm abwendete. Dann jedoch verließ er seinen Platz am Aufgang zur Terrasse und schaute sich im Festsaal nach einer jener tanzenden Schönheiten um, die noch immer bei ihnen am Tisch für blendende Stimmung sorgten. Er setzte sich neben ein junges Mädchen, das im Augenblick alleine war, und machte ihr auf Tulamidya charmant seine Aufwartung: „Holla, hübsches Kind. Ich dachte gerade so bei mir, dass die Blumen nirgends schöner sind, als im Land der ersten Sonne. Ich bin Nazir, der Seefahrer und welcher Name gehört zu einer wunderbaren Gestalt wie der deinen?“
  „Ich will dir deinen Nazir nicht wegnehmen, Jolinar. Du hast das alles falsch verstanden und ich habe wohl auch vorhin einen Fehler gemacht.“, sprach Anna draußen reuevoll, nachdem sie zwei Schritt vor der Angesprochenen stehen geblieben war, deren Augen sie ernst anstarrten und feucht glänzten.
  „Ist das so? Das ist mir drinnen aber anders vorgekommen!“, warf sie der Magierin bitterböse vor. „Und ja, du hast einen Fehler gemacht. Warum kommst du noch zu mir heraus? Deine Entschuldigung kommt zu spät.“ Wieder bahnte sich eine Träne ihren Weg über ihr hübsches Gesicht.
  „Ich dachte vorhin einfach nur, ich könnte dir ein wenig helfen, dir zeigen wie man es mit den Männern angeht. Es tut mir leid.“ Sie senkte ihren Kopf und verbarg dadurch ihr schelmisches Grinsen, das sie nicht länger zurückhalten konnte.
  Bei Jolinar begannen jetzt ungehemmt Tränen zu fließen und bittere Wut lag in ihrer Stimme, als sie einen Schritt näher an Anna herantrat und ihr wutentbrannt ins Gesicht schrie: „Du musst es mir nicht an meinem Nazir zeigen! Und es geht dich nichts an!“
  Ihre Gefährtin hob den Kopf und schaute sie traurig an. Auch in ihren Augenwinkeln glitzerte es nun, als sie ihr besänftigend erklärte: „Es muss wohl der starke Wein gewesen sein, es tut mir so leid! Kannst du mir noch einmal vergeben?“
  Jolinar schaute ihr direkt in die Augen, schniefte mehrmals und brauchte sehr lange, um zu antworten: „Und warum hat er sich darauf eingelassen?“
  „Ich weiß auch nicht so recht warum.“, antwortete Anna kleinlaut und zerknirscht. „Hat er jemals gesagt, dass er dich liebt?“
  Wieder ein Schniefen, doch diesmal sagte die junge Bornländerin nichts, sondern blickte nur in eine weit entfernte imaginäre Ecke und schüttelte den Kopf. Er hatte es wirklich nie gesagt.
  „Wirst du mich mit deinen Klauen kratzen, wenn ich dir das hier gebe?“ Die Magierin näherte sich ihr vorsichtig, ihre Körpersprache wirkte versöhnlich und offen. „Für die Tränen.“ Sie reichte der jüngeren Frau zögerlich ihr Stofftuch, das sie bisher wie eine Stola getragen hatte.
  Doch Jolinar ignorierte ihre Gabe, fiel ihr stattdessen in die Arme und legte den Kopf an ihre Schulter. Ihre Arme umschlangen Annas Hüften, suchten nach Halt. Die Hände der Magierin berührten zögerlich den Rücken der weinenden Hexe, streichelten sanft ihren Nacken und für einen Moment stellte sie sich vor, wie es wäre, eine Frau zu küssen. Sollte sie heute Abend die Männlichkeit verschmähen und das Bett mit einer Frau teilen?
  […]„Geht es dir etwas besser?“, erkundigte sich Anna auf der Terrasse bei Jolinar. Beide hatten die letzten Minuten eng aneinander geschmiegt verbracht und dabei über viele Dinge nachgedacht, aber jetzt wurde es langsam unangenehm. Sie spürte ein Nicken an ihrer Schulter und ihre Gefährtin hob den Kopf an ihre Wange. Doch sie spürte nicht nur ihren warmen Atem sondern auch ihre Spucke, die sich brennend und schmerzend in ihrem Gesicht ausbreitete. Noch während die diese Eindrücke aufnahm, riss sich die junge Hexe los und schubste die Magierin hart zu Boden.
  Anna schrie vor Schmerz laut und spitz auf und stürzte zum Geländer der Terrasse, wo sie sich geräuschvoll übergab und dann noch immer würgend mit dem Tuch, das Jolinar nicht angenommen hatte, die Galle von der Wange, sowie Bröckchen von halbverdautem Fleisch und übelschmeckender Magenflüssigkeit vom Mund abwischte und es schließlich in den Garten fallen ließ. Sie legte ihre linke Hand auf die geschundene Wange und sprach einen kurzen Heilzauber, bevor sie ihrer wie irre keifenden Rivalin ernst und zornig in die Augen sah.
  Auch im Ballsaal konnte man den spitzen Schrei hören und sofort waren Lucan und Adron auf den Beinen und eilten hinaus. Eine gewisse Verstörung umfing auch einige andere der verbliebenen Gäste, doch den meisten war das Geschehen auf der Terrasse in Anbetracht von Speis, Trank, Rausch und Sex vollkommen egal.