Kapitel 6, Anna in einer Besprechung in Bir-es-Soltan

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  “Wir können uns den Weg, den wir zu beschreiten haben, leider nicht immer aussuchen.“, antwortete Rondrik auf die bewegenden Kommentare der beiden Neuen mitfühlend. „Doch leider schlagen die Götter oftmals seltsame Wege ein und was die Zukunft bringt, das sieht wohl nur Satinav.“ Dann traf ein böser, tadelnder Blick Anna. „Und leider scheint Offenheit und ein bereitwilliger Umgang mit wichtigen Informationen, die das Leben aller betreffen, nicht gerade zur Mentalität gewisser Personen in unserem Kreis zu gehören.“
  Doch Jolinar kam einer bevorstehenden Erwiderung ihrer Gefährtin zuvor: „Es war nicht nur eine Person, die wichtige Informationen verschwiegen hat. Aber von manchen erwartet man so etwas eben nicht. Aber dies wird mir eine Lehre sein, doch genug davon. Wie schon gesagt, ich würde nun doch gerne alles wissen!“ Ihr Gesicht wirkte nun eiskalt und entschlossen, das zuvor gezeigte kindliche, verletzbare Wesen der rotgelockten Hexe war wieder fort.
  Anna seufzte und dachte kurz nach. „Jolinar, wir haben uns gemeinsam bei den Händlern verpflichtet und bis vor kurzem kannte ich euch beide noch nicht einmal richtig, hättest Du dann alles erzählt?“, fragte sie nicht ohne Freundlichkeit und senkte nach einem erneuten Seufzen ihr Haupt. Dann fixierte sie Rondrik und fügte verärgert hinzu: „Ihr scheint fast zu erwarten, dass ich bei Haffax zum Tee eingeladen war. Ich habe alles gesagt, was ich in Erfahrung bringen konnte, aber wenn Euer Gnaden mich hier nicht wünscht, lasse ich Euch Eure Suppe auch alleine auslöffeln.“
  „Warum so drastisch, Anna?“, mischte sich Eleon nun in das Gespräch ein, dass er zuvor aufmerksam und gespannt verfolgt hatte. „Vielleicht spreche ich nur aus was viele hier denken. Wenn ich mal kurz zusammenfassen darf: Ihr habt uns mitten im Kampf zurückgelassen, Euch „fliegend“ davongemacht. Des Weiteren berichtet Ihr, von der Blutigen See mal eben in Jergan vorbeigeschaut, dort alle wichtigen Informationen in kürzester Zeit gesammelt und schnell noch eine kleine Söldnertruppe angeheuert zu haben, die Euch den Weg bis hier nicht zu langweilig werden ließ. Ähm… Bin ich der einzige, dessen Neugier kaum noch warten kann?“ In seinen Worten steckte mehr Aggressivität als er zunächst wollte, doch sie waren aufrichtig und ehrlich. Seine gesamte Körperhaltung offenbarte tiefe Ablehnung und Unglauben.
  „Habt Ihr ein Problem mit mir, Druide, oder mit meiner Vorgehensweise?“, fuhr Anna den Gelehrten lautstark an. „Sollte ich mich lieber abschlachten oder gefangen nehmen lassen? Damit wäre unserer Sache auch sehr geholfen gewesen. Ich habe mit Euch geblutet und wurde auf der „Faust“ verwundet. Ich habe Leib und Leben riskiert, um nach Euch zu suchen und meine Kraft über Gebühr beansprucht.“
  „Nun haben wir den gleichen Auftrag, nämlich dem Rätsel der verschwindenden Karawanen zwischen Unau und Kannemünde auf den Grund zu gehen.“, setzte Dragomir erneut an und sein Blick wanderte abermals zu Anna. „Frau Rand, Ihr seid an der Reihe. Ihr müsst zugeben, dass sich Eure Geschichte in Kurzform für uns sehr mysteriös anhört. Was hat sich seit dem Gefecht zugetragen?“
  Doch die Magierin war noch nicht über die verbale Attacke des Geweihten hinweg und funkelte Rondrik zornig an. „Redet nicht über Moral und Sitte, wenn Ihr mir noch nicht einmal zuhören könnt.“, begann sie leise und trotzig, aber voller Selbstvertrauen. „Auch wenn ich im Moment nicht die Kleidung einer Magierin trage, was gewissen Umständen geschuldet ist, habe ich von Euch bis jetzt noch keine Anrede vernommen, die meinem Stand entspricht.“
  Der Prätor stützte beide Arme auf den Tisch. „Ich denke wir sind uns nun alle darüber im Klaren, Gelehrte Dame.“, ließ sich der Geweihte nicht weiter provozieren. „Wo das nun erledigt ist, könnten wir vielleicht endlich zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung übergehen und überfällige Fragen beantworten. In angemessener Form, wenn ich bitten darf.“
  Endlich entschloss sich Anna zur Kooperation, nahm es aber mit dem Wahrheitsgebot nicht so genau wie Eleon. „Für meinen Weg von der „Trutz“ ans Festland und dann nach Jergan habe ich Magie angewandt. Überdenkt Eure Aussage, dass Ihr mich habt fliegen sehen, noch einmal, Eleon. Denn ich bezweifle doch sehr stark, dass Ihr umringt von Feinden die Muße hattet, mich zu beobachten.“
  Dragomir quittierte die glatte und dreiste Lüge der vermeintlichen Magierin mit einem wissenden Lächeln. Eleon schnaufte ungehalten und murmelte halblaut: „Ich weiß, was ich gesehen habe.“ Er verstand nicht, warum für die anderen diese alberne Tarnung als Magierin weiter Bestand hatte. Wollten sie die Wahrheit nicht erkennen?
  Anna erzählte unbeirrt weiter: „Auf Maraskan habe ich den Magier der „Faust“ ganz einfach belauscht. Er fühlte sich dort sicher und prahlte mit seinem Erfolg. Auch der Vertraute von Haffax wähnte sich im dunklen Hafen unbeobachtet. Meine vier Begleiter sind wie Sumudan, Adriego und ich in Kannemünde angeworben worden, vom Kontor meines Onkels, Reto Zaumschmied. Reichen Euch diese Erklärungen, Hochgeboren?“
  Dragomir warf ihr einen warnenden Blick zu. „Mir ist es einerlei, wie Ihr geflohen seid, werte Adepta, doch solltet Ihr nicht versuchen, die Geduld und weise Zurückhaltung der Herren Geweihten übermäßig zu strapazieren und ebenso wenig unsere Intelligenz unterschätzen.“, gab er ihr offen zu verstehen, was er von einigen Details ihrer Aussage hielt. „Wie dem auch sei, Ihr müsst eingestehen, dass es auch Euch misstrauisch machen würde, einen solchen Bericht zu hören. Aus dem Gefecht geflohen, nur um dann in der Höhle des Löwen nach den Kameraden zu suchen?“ Skeptisch wog er seinen Kopf hin und her. „Ich bin gewillt, Euch ein schlechtes Gewissen deshalb zu attestieren und Euch Glauben zu schenken, doch hinterlässt Eure Erzählung zweifelsohne einen faden Beigeschmack. Ich will weder Euch, Frau Rand, noch Bruder Sumudan...“, er schaute kurz zu dem unbeteiligt am Rand sitzenden Maraskaner, „... eine bewusste Kollaboration mit dem Feind unterstellen, doch wir alle wissen um dessen Methoden. Um endlich Gewissheit zu finden und den Auftrag zu erfüllen, sehe ich zwei Möglichkeiten radikalerer Natur, um diesen faden Beigeschmack zu entkräften. Da Frau Rand und Bruder Sumudan von sich aus nichts zu befürchten haben und es ihrem eigenen Wohl und dem der Gemeinschaft dient, werdet Ihr sicher zustimmen.“
  Der Blick des Ritters wanderte langsam von Sumudan zu Praiadan, dann zu Xardan und Ardixander. Jolinar wusste sofort, woher der Wind wehte: Dragomir wollte magisch die Gedanken der beiden ausspionieren. Sie war gespannt, ob Anna das mit sich machen lassen würde, stützte neugierig ihre Ellenbogen auf den Unterschenkeln ab und legte ihren Kopf in die Kuhle zwischen ihren Händen. Doch Anna blieb äußerlich gelassen, zog sich ihre Stiefel aus und massierte sich ihre dunkelrot lackierten Zehen.
 Eleon hatte Verständnis für ihren frommen Wunsch, doch musste er ihr diese Illusion einfach nehmen: „Aber genau das ist doch der Punkt, Euer Gnaden, an dem wir nicht weiterkommen. Es funktioniert einfach nicht.“ Dann griff er erneut Annas Bericht auf: „Wenn ich bedenke, dass man mittels seiner Kräfte einfach so aus einer für alle anderen lebensgefährlichen Situation entflieht, dann weiterhin die riesige Strecke nach Jergan in kürzester Zeit überwindet, mal eben kurz die wohl wichtigsten Diener eines Heptarchen belauscht, um sich dann hier wieder wie die verlorene Tochter aufzuführen. Ich bitte Euch, wem kommen da keine Zweifel? Warum ist Anna Rand abgehauen, wo sie uns mit ihrer mächtigen Magie doch wesentlich besser im Kampf gegen unsere ärgsten Feinde hätte helfen können? Nein, ich glaube noch nicht, dass wir alle auf der gleichen Seite stehen, Euer Gnaden.“ Entschieden schüttelte der Druide mit dem Kopf und hob kapitulierend seine Hände. „Da verstehe ich schon, dass wir magisch oder rituell schneller ans Ziel kommen und uns der wahrscheinlichen Loyalität und Kameradschaft unserer Gefährten versichern können.“
  „Nun, Herr Eleon, auf welche Seite soll ich mich nun stellen?“, versetzte Jalessa gekonnt und mit einem gewinnenden Lächeln. „Ich kenne weder Euch, noch Anna besonders gut, um mir da ein endgültiges Urteil zu erlauben.“
  Der Gelehrte wollte die Novizin nicht herausfordern und blickte sie nun leicht irritiert an. „Nun, ähm... Ihr hattet das Glück, nicht an jenem schicksalhaften Tag dabei gewesen zu sein. Ich kann Euch nicht einschätzen, doch sehe ich eigentlich in jedem das Positive und Gute, sofern er mich nicht enttäuscht.“, antwortete Eleon mit einem Lächeln. „Ich denke, Ihr habt schon hinreichend deutlich gemacht, für welche Seite Ihr Euch entschieden habt und ich bin dankbar für die angebotene Unterstützung.“ Nach einer kurzen Pause fügte er freundlich hinzu: „Und das mit dem „Herrn“ lasst bitte beiseite. Ich werde von jeher einfach nur Eleon genannt. Einverstanden?“
  „Wenn Phex mich in meinem Handeln begünstigt, dann werde ich seinen Segen nicht verschmähen.“, meldete sich Anna kühl zu Wort. „Deshalb finde ich es von Euch einfach nur ungerecht, mich deshalb zu verurteilen. Oder schwingt da ein klein wenig Neid in Eurer Stimme mit, Eleon?“
  Doch noch bevor der Gelehrte antworten konnte, merkte Rondrik süffisant an: „Ich glaube kaum, dass es an diesem Tisch außer Euch jemanden gibt, der neidisch oder stolz auf das im Stich lassen seiner Kameraden ist und zudem auch noch der Blasphemie anhängt, sich den Segen eines der Zwölfe dafür zu erhoffen.“
  „Entschuldigt meine Torheit, Euer Gnaden.“, entgegnete Anna genervt, zog sich ihre Stiefel an und stand auf. „Ich werde mich den gleichen Prüfungen unterziehen wie Sumudan.“, willigte sie in die bevorstehenden Prüfungen ein. „Ruft mich, wenn Ihr soweit seid. Ich brauche frische Luft.“, flüsterte sie schließlich im Vorbeigehen dem Freiherrn zu, doch dieser hielt sie resolut am linken Arm fest.
  „Wir hatten genug der Geheimnistuerei, Frau Rand.“, gab er ihr leise und nur für sie hörbar zu verstehen. „Ich will nur sicher gehen, dass Ihr keinerlei Einflüsterungen des Feindes erlegen seid. Der Rest...“, er blickte auf ihre Hand mit dem Gildensiegel, „...ist längst klar und völlig gleichgültig. Euch wird deswegen nichts geschehen, das versichere ich Euch.“ Noch einmal blickte er ihr direkt in die Augen und ließ sie dann los.