Kapitel 4, Eleon findet Erlösung bei Sumudan
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Abends genoss Eleon bei einem guten Schluck Wein auf der Back den herrlich klaren Sternenhimmel und hing seinen nun weniger trüben Gedanken nach, als sich Sumudan unerwartet und geräuschlos neben den Druiden setzte. Beide nickten sich nur respektvoll zu und schwiegen für eine Weile. Es war der Maraskaner, der schließlich die einvernehmliche Stille brach: „Eine schöne, angenehme Nacht. Nicht wahr, Bruder Eleon?“ Eleon nahm er einen tiefen Schluck und hielt seinem Besucher die halbvolle Flasche auffordernd hin. Als Sumudan die Flasche mit sicherem Griff entgegennahm, antwortete er: „Ja da habt Ihr Recht.“ „Könnt Ihr die Schönheit der Sterne sehen, Bruder? Was sagen sie Euch?“ Mit glasigen Augen, offenbar zeigte der Alkohol schon Wirkung bei ihm, blinzelte Eleon zu den unzähligen, hellstrahlenden Himmelskörpern hinauf. Seine Gedanken schienen jedoch noch in weiter Ferne und so blieb er dem Maraskaner eine sofortige Antwort schuldig. Dieser nahm einen kleinen Schluck Wein und stellte die Flasche zwischen sich und dem Druiden auf die Planken der Schivone. „Ihr müsst wissen, Eleon, dass meine Familie beim Ansturm der Schergen Haffax‘ starb. Sie hielten sich in Boran auf, als die Stadt von den Templern überrannt wurde. Seitdem habe ich mein Leben der Schönheit, den Zwillingsgöttern und den zwölf Geschwistern verschrieben. Ich kämpfe für die Freiheit von mir und meinem Land. Und gegen das Bruderlose, deswegen bin ich hier. Oftmals lag ich im Dschungel unter dem Sternenhimmel, für mich häufig das einzige Dach in der Wildnis. Es gab Tage und Nächte, da war ich so betrübt wie Ihr hier an Bord, kämpfte mit den Erinnerungen und den bitteren Tränen eines Sippenlosen. Doch dann gewahrte ich Rurs Schöpfung, betrachtete den Himmel genauer und stellte fest: Alles im Leben hat einen Anfang und ein Ende, und jeder Tag ist ein neues Geschenk. Voller Pracht und Schönheit. Mein Gram und meine Trauer verflogen, ich verschrieb mich ganz der Schönheit und Pracht der Weltenschöpfung. Einst wird der Weltendiskus Gror erreichen und der wird das Geschenk seines Geschwisters preisen und lieben. Dafür lebe ich! Und Ihr solltet dieses Kapitel Eures Lebens abschließen! Preiset die Schönheit und lebt, Eleon, lebt!“ Der Gelehrte schwieg weiter und ließ die schönen und empathischen Worte des Maraskaners auf sich wirken. Dann schaute er Sumudan direkt ins Gesicht und in seinen Augen war ein Schimmer der Freude zu erkennen. „Ihr seid sehr mutig und offen, dies weist auf ein reines Herz hin, Bruder.“, ergriff der Druide schließlich mit einem Räuspern das Wort. „Und auch wenn ich nicht alles, was Ihr mir von Eurem Glauben preisgabt, verstand, spüre ich doch die Wahrheit Eurer Worte. Verzeiht mir nun, wenn ich Euch antworte, dass Ihr Tiefe und Tragweite meiner Schuld nicht fassen könnt. Dennoch freue ich mich für Euch, dass Ihr einen Weg gefunden habt, das Leben anzunehmen.“ Schon schien es, als ob Eleon das Gespräch mit diesen harschen Worten beendet hätte. Doch gerade als Sumudan enttäuscht aufstehen wollte, hielt er ihn mit einem beherzten Griff an den Arm zurück: „Ich bitte Euch, bleibt. Vielleicht habt Ihr Recht, doch möchte ich Euch zumindest mein Verhalten erklären, so dass Ihr selbst entscheiden könnt. In früheren Tagen war auch ich fest im zwölfgöttlichen Glauben und stand mitten im Leben. Ich hatte eine Frau und wollte eine Familie. Dann allerdings geschah etwas Schreckliches. Aufgrund meines Stolzes hörte ich nicht auf mein Herz und trage seither die Schuld am Tod eines Menschen. Seitdem zieht es mich rastlos durch diese schöne Welt und ich schwor, mein Dasein für die Leiden und Ängste der Menschen einzusetzen. Die Sterne allein wissen, wann ich zur Ruhe kommen und meinen Frieden finden werde.“ Sumudan nickte ernst bei den Worten Eleons, doch ohne zu zögern fand er eine Antwort, vielleicht sogar einen guten Rat: „Ihr müsst die Schuld annehmen, Eleon. Sonst wird sie Euch aufzehren. Ich glaube fest an die Wiedergeburt des Einzelnen, daher spielt die Todesursache eine entscheidende Rolle. Wenn die Seele der Euch vertrauten Person nicht dem Bruderlosen anheimgefallen ist, dann wird Euer Verlust ein positives Ende finden und viel Gutes über die Welt bringen. Ansonsten war es der Weg der Götter – egal welcher – und das haben wir zu akzeptieren. Da Ihr jedoch lebt und hier auf dem Schiff mit uns gemeinsam gegen das Bruderlose zieht, haben die Götter noch etwas mit Euch vor. Und glaubt mir: Die Gelegenheit, um Euch von der Schuld reinzuwaschen, wird kommen, Eleon! Ganz sicher. Ihr müsst Euer Karma akzeptieren, dann könnt Ihr auch wieder die tadellose Schönheit der Welt genießen. Ihr werdet wieder leben.“ In der Hoffnung, dem trauernden Gefährten wieder ein wenig mehr Mut gemacht zu haben, wartete Sumudan auf eine Antwort des Druiden. Dieser erhob sich mit weichen Knien und torkelte leicht die wenigen Schritte zur Reling. Er klammerte sich an der Bordwand fest und bedeutete Sumudan, zu ihm zu kommen. „Es ist erstaunlich, welche Gefühle Eure Worte in mir auslösen, mein Freund. Ihr verbringt Augenblicke neben mir und vollbringt, wofür ich sonst Tage der Bitterkeit und Meditation benötige. Ja, ich habe mein Schicksal angenommen, doch zieht es mich in jedem Götterlauf nahezu zwanghaft in jene Zeit zurück, in der ich am glücklichsten war. Der Jahrestag unseres Bundes war vor drei Tagen. Ihr hättet sie sehen sollen, Sumudan. In meinen Augen gab es keine, die ihr das Wasser reichen konnte. Doch dann…“, Eleon seufzte tief und schniefte kurz in sein hervorgezogenes Schnupftuch. „Dann erfuhr ich, dass sie aus Leid und Elend heraus eine Gräueltat begangen hatte und für diese zudem noch durch einen Kontrakt mit der Weltlichkeit gedeckt wurde. Ihr könnt Euch meinen Zorn nicht vorstellen, meine unermessliche Ohnmacht. Damals sah ich keine andere Möglichkeit, als sie den Geweihten des Herrn Praios zu übergeben. Und doch: Ihre Augen, ich kann sie nicht vergessen, niemals zuvor hat ein Mensch mich so geliebt.“ Er wischte sich ohne Scham die vielen Tränen aus den Augen, die während seiner traurigen Erzählung hervorgetreten waren. Beide schauten für eine Weile nach Backbord, wo am Horizont gerade noch ein Hauch von Land zu erahnen war. „Seht Ihr dort hinten am Horizont die fein geschwungene Küste?“, erkundigte sich Sumudan. „Das ist meine Heimat, Maraskan. Sie ist in den Händen eines grausamen und gefährlichen Herrschers. Er hat mein Volk unterdrückt und meine Eltern ermorden lassen. In Sinoda sammeln wir nun Helden aus der ganzen bekannten Welt, um dieses wunderschöne Land zu befreien. Tun wir das Richtige, Eleon?“ Ohne eine Antwort seines Kameraden abzuwarten, fuhr er selbstsicher fort: „Ja. Genauso wie Ihr seinerzeit für Euch beschlossen habt, was richtig oder falsch ist. Es gibt einen Grund, warum Ihr Eure große Liebe ausgeliefert habt! Was haben die Geweihten mit Ihr getan?“ Eleon spähte noch immer auf das im Abendlicht dunkelblau schimmernde Meer hinaus, dann erwiderte er leise: „Sie haben das Urteil vollstreckt, welches ihrem Rechtsempfinden entsprach. Was hätten sie anderes machen können?“ Der Druide schloss die verweinten Augen und wischte sich erneut mit dem Handrücken über sein Gesicht. „Vielleicht ist es besser, die Toten ruhen zu lassen, Sumudan. Es gibt zurzeit Aufgaben, die auch meiner geringen Fähigkeiten bedürfen. Eure Worte sind wie die Sonnenstrahlen nach einer langen Nacht. Kommt, wir wollen unsere Kräfte für das Göttliche einsetzen, solange wir darüber verfügen. Ich denke ich werde mich jetzt schlafen legen. Gute Nacht, und – danke!“ Eleon klopfte bei seinen letzten Worten Sumudan auf den durchtrainierten Rücken. Dann leerte er die Flasche Wein, nahm seinen Rucksack auf und wandte sich ab. Eine sanfte Hand auf seiner Schulter ließ ihn in seiner Bewegung verharren. „Mögen die göttlichen Zwillinge sich Deiner annehmen, Bruder. Denn Du bist es wert von Deinem Leid erlöst zu werden. Das spüre ich in jedem Deiner Sätze, in jeder Deiner Taten. Du wirst noch viel Gutes vollbringen, Eleon. Lege den Schleier ab und steh auf, immer einmal mehr als Du hinfällst. Schlaf gut und sei gesegnet, Bruder!“ Die Hand Sumudans fühlte sich warm an, der Segen legte sich wohltuend auf Eleons Gemüt und mit einem Mal verblassten seine unangenehmen Erinnerungen. Denn was niemand an Bord – nicht einmal Dragomir – ahnte: Sumudan war ein Geweihter der göttlichen Zwillinge und hatte den Druiden soeben in ihrem Namen von seiner schweren Last befreit.