Kapitel 2, Anna und Eleon auf dem Flussschiff
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Vorne im Boot erwachte kurz darauf als einer der letzten Gefährten Eleon, der lange Zeit nicht schlafen konnte und sich fortwährend Gedanken über seine unerwartet von Grund auf veränderte Lage machte. Nun schaute er sich verwirrt in der ungewohnten Umgebung um, denn er war noch nie auf einem Schiff gewesen. Überhaupt hatte er bisher übertriebenen Kontakt mit größeren Wasserflächen vermieden, er war schließlich ein Mann der Erde. Im Geiste reflektierte er erneut die Ereignisse des vergangenen Tages und seine neue Rolle im Kreis der Expedition in den Süden. Sollte er sich ihnen anschließen? Vielleicht wäre das nicht verkehrt. Seine Tage auf Wanderschaft waren schon eine ganze Weile her und der Gedanke an ihr Ende bereitete ihm Bauchschmerzen. Oder war das nur der nagende Hunger? Eleon erhob sich und verharrte unvermittelt im Lichtschein des Aufgangs. Sein Blick fiel auf Anna, die im Halbdunkeln offenbar wieder eingeschlafen war. Irgendwoher kannte er die junge Magierin, doch woher? Der Gelehrte beschloss, die Rothaarige besser zu meiden. ‚Die größte Gefahr droht nicht im Schwerte des Recken, nein: Sie lauert in dem Zauber einer zu schönen Frau.‘, hatte ihm sein Vater schon in jungen Jahren mit auf dem Weg gegeben. Entschlossen wandte er sich von der anmutigen Erscheinung im hinteren Bereich des Laderaums ab und kletterte nach oben, wo er nach einem kurzen Gruß Haferbrei zu sich nahm und genussvoll dem letzten Stück Adriegos lauschte. Doch auch Anna konnte nicht schlafen, auch wenn das für Außenstehende durchaus so aussehen sollte. Nachdem ihre Tränen getrocknet waren, richtete sie sich auf und strich sich mit den Fingern die letzte Feuchtigkeit aus ihrem Haar. Ihre Gedanken schweiften von Adriego zu Ramon, verweilten kurz bei ihrem Fauxpas des Vortages und landeten dann bei Dragomir und dem Disput vorhin. Plötzlich stand ihr der Kampfstab Eleons klar und deutlich vor Augen. Er ähnelte ungemein dem Exemplar, das sie vor ihrem Ausbruch aus dem spießigen Elternhaus ihrer jüngeren Schwester Maia geschenkt hatte. Nein, das konnte nicht sein. Wie sollte denn der komische Kauz an den Stab ihrer Schwester kommen? Sie lehnte sich wieder zurück, wickelte sich eng in ihre Decke ein und schlief kurz darauf wirklich ein. An Deck schien der Gelehrte erst nach zwei Schüsseln Brei gesättigt und schloss dann zufrieden die Augen, den leichten Fahrtwind und die im Vergleich zum Vortag deutlich angenehmeren Temperaturen genießend. Mit einem Mal schreckte er auf. „Warum habe ich das nicht gesehen? Das kann nicht wahr sein!“, murmelte er ohne festes Ziel vor sich hin, erhob sich entschlossen und begab sich eilig unter Deck. Lange stand er dort schweigend an die Bordwand gelehnt und betrachtete die direkt vor ihm schlummernde Adepta. Er schien etwas zu suchen, war sich aber nicht sicher, ob er es finden würde – und wollte. Seine Gedanken schlugen Purzelbäume: „Diese Ähnlichkeit, wie kann das sein? Und wenn sie es ist, warum hat sie mich bisher ignoriert?“, flüsterte er nur sich selbst zu. Wie von Geisterhand wanderte seine Rechte zur schlafenden Schönheit, strich ihr sanft eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Gerade als er Anna wecken wollte, besann er sich eines Besseren und zog seine Hand zurück. Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen betrachtete er sein schlafendes Gegenüber und fasste sich schließlich ein Herz. Er wollte sie nicht grob wecken, daher berührte er ihren anmutigen Körper zärtlich mit zitternder Hand an ihrer Schulter. Immer noch verwirrt über die augenscheinliche Ähnlichkeit mit der Person aus seiner Erinnerung, sprach er mit ruhiger, einfühlsamer Stimme: „Bitte erwacht, Fräulein. Es bereitet mir Kummer und Schmerz, Euch in Eurem Schlaf zu stören, doch da sind wichtige Fragen, die einer Antwort bedürfen. Ich kann nur hoffen, Ihr nehmt es mir nicht übel!“ Erneut rüttelte er vorsichtig aber bestimmt an ihrer Schulter. Anna öffnete die Augen und fixierte Eleon, nur leichte Verärgerung spiegelte sich in ihrem Gesichtsausdruck wider. „Rede doch nicht so geschwollen daher. Was willst du denn so Wichtiges?“ Ihr scharfer Blick verharrte auf der Hand des Gelehrten, die immer noch auf ihrer Schulter ruhte. Er zog sie erschrocken zurück und begann zögerlich zu erklären: „Nun, ich frage mich, weshalb Ihr mich nicht erkennt, denn ich bin der festen Überzeugung, Euch zuvor schon einmal begegnet zu sein.“ Mit errötenden Backen lehnte er sich zurück und musterte das Gesicht der schönen, jungen Frau. Würde sie ihn erkennen? Als Anna nicht sofort antwortete, sondern ihrerseits in den Augen Eleons forschte, resignierte er bereits kopfschüttelnd: „Ich muss mich geirrt und Euch mit jemanden verwechselt haben. Jedoch seid Ihr jener Frau wie aus dem Gesicht geschnitten. Lediglich etwas… jünger… war sie vielleicht...“ Der Gelehrte verhaspelte sich und wurde nun erst recht rot im Gesicht. „Also war es nur eine Ahnung, schade.“ Anna rollte genervt mit den Augen. „Also, wenn das gerade ein Versuch sein sollte, mit mir anzubändeln, dann kann man ihn nur als lausig bezeichnen.“ Doch irgendetwas hatte offensichtlich auch ihre Aufmerksamkeit erregt und sie fuhr freundlicher fort: „Kannst du mir bitte deinen Stab geben? Ich würde ihn mir gerne mal anschauen.“ Der Flusskahn folgte einer leichten Biegung des Walsach und der Lichtkegel der Luke zum Oberdeck fiel nun direkt auf die beiden. Kurz erwog Eleon, ihrem Anliegen nachzukommen, doch ihr unerwartet freundliches Verhalten machte ihn stutzig. „Seit ich diesen Stab erhielt, gab ich ihn niemals freiwillig aus der Hand. Wieso interessiert er Euch denn so sehr?“ Tief in seinem Herzen keimte ein Verdacht. Sollte sie die ganze Zeit gespielt, ihn zum Narren gehalten haben? Er wich einen Schritt zurück, heraus aus dem Lichtkegel. „Wer seid Ihr?“, fragte der Gelehrte lauernd. „Mein Name ist Anna Rand, Absolventin der Halle der Antimagie zu Kuslik.“ Ihre Antwort klang übertrieben routiniert, beinahe wie eine gut einstudierte Lüge, die zur Gewohnheit geworden war. Im Licht des Tages schimmerten die Haare der jungen Frau brandrot und auch ihre grünen Augen funkelten feurig. Eleon hielt den Stab entschlossen vor sich, ließ sie ihn begutachten, aber nicht anfassen. „Darf ich auch noch eine Antwort auf meine zweite Frage erwarten?“, erwiderte er mit einem Hauch von Trotz. „Aus reiner Neugier.“, versetzte sie im unverbindlichen Plauderton. „Das Holz ist außergewöhnlich dunkel, beinahe ohne Maserung.“ „Außergewöhnlich?“, nur mit einiger Selbstbeherrschung konnte er seiner Stimme den Anschein eines beiläufigen Gesprächs geben. „Ja, dies ist in der Tat eine besondere Waffe, an der sehr viele Erinnerungen für mich hängen. Ihr entschuldigt, dass ich da vorsichtig bin.“ „Und welche Erinnerungen hängen an dieser Waffe, die sie so wertvoll für dich machen?“ Mit einem eindringlichen Blick bedeutete sie dem Gelehrten, dass sie eine ehrliche Antwort erwartete – keine weiteren Spielereien. Eleon wirkte nachdenklich, entschloss sich dann aber für einen entscheidenden Vorstoß: „Dies solltet Ihr eigentlich wissen, Maia. Ihr habt mich mit Eurer Magie nicht überzeugt. Schon wenn ich in Eure Augen sehe, meine ich in ihrer Tiefe etwas unverwechselbar Uraltes zu bemerken. Ich bitte Euch, gebt diese Maskerade endlich auf und sprecht offen und ehrlich zu mir, so Ihr dies könnt.“ Während seiner letzten Worte wirkte nun auch seine Stimme direkter, sogar ein wenig einschüchternd. Anna stand auf und blickte ihm mit einem kalten Blick und zusammengezogenen Brauen direkt in die Augen. „Na da verwechselt mich aber jemand mit meiner jüngeren Schwester.“, brachte sie gepresst hervor. Ihre Stimme bebte fast vor all den zurückgehaltenen Emotionen, die in diesem Augenblick durch ihren Kopf schwirrten. „Ich habe diesen Stab, den du da trägst, meiner kleinen Schwester an ihrem siebzehnten Tsatag geschenkt. Dass du ihn jetzt trägst, kann eigentlich nur bedeuten, dass du sie umgebracht hast. Denn freiwillig würde sie diesen Stab nie hergeben. Am oberen Ende kannst du sogar unseren Familiennamen erkennen, wenn du mir nicht glaubst.“ Sie rückte noch näher an Eleon heran, der nur mühsam und unter größter Willensanstrengung standhielt und nicht zurückwich. „Und jetzt wirst du ihn schön brav auf den Boden legen und mir Alles erzählen.“, fuhr Anna zornig und eindringlich fort. „Oder ich werde laut um Hilfe schreien. Und – eins, zwei, drei – werden Ramon, Adriego und Numba hier unten sein und dich, den Unterhändler Alderichs, festsetzten und wie sie gerade mögen mit dir verfahren. Eine falsche Geste...“, sie hob die geballten Fäuste drohend in sein Sichtfeld, „… und mein ganzer Zorn wird dich treffen!“ Sichtlich beeindruckt wich der Gelehrte nun doch zurück, fasste sich jedoch schnell und antwortete mit kaltem, todernstem Unterton in der beherrschten Stimme: „Dies erklärt vieles. Ich muss mich bei Euch für die Verwechslung entschuldigen. Doch der Stab bleibt wo er ist.“ Die Sicherheit wich aus Annas Gesicht. Sie hatte ihn doch schon gehabt, in die Ecke gedrängt wie einen winselnden Hund! „Eure kleine Schwester war eine Meuchlerin und hat meinen Gefährten den Tod gebracht.“ Nun war es an Eleon, die Macht der Worte und Gesten auszuspielen. „Ich aber habe sie besiegt und ihr erbärmliches Leben sogar geschont. Dieser Stab war ein Werkzeug der Folter und des Leides Unschuldiger! Ich habe zu teuer mit Blut für ihn bezahlt, als dass ich ihn mir von Euch wieder abnehmen lasse!“, herrschte er sie wutentbrannt an, sich in Rage redend. Ramon regte sich, schlief jedoch nach einer Drehung auf die andere Seite weiter. „Und noch etwas.“, ergänzte der Gelehrte zornig, aber leiser. „Ihr denkt doch nicht allen Ernstes daran, um Hilfe zu schreien. Ich wäre gezwungen das Geschehene und damit Euer Geheimnis preiszugeben. Ich habe mir nichts vorzuwerfen und Praiadan wird sich auf Eure Befragung bestimmt freuen. Ich weiß, dass Ihr den unglückseligen Bolzen abgeschossen habt, der uns alle in Gefahr brachte. Erwartet von ihnen keine Loyalität.“ Mit einer herrischen Geste unterband er ihren Widerspruch. „Hört mich an: Wir setzen uns jetzt friedlich und ohne weitere Drohungen hin und besprechen die Situation in Ruhe. Ich habe noch nichts gegen Euch persönlich und bin durchaus bereit, Eure Fragen zu beantworten. Der andere Weg hingegen führt Euch direkt zum Scheiterhaufen. Wählt Euren Weg, Anna.“ Die Magierin hatte sich ebenfalls wieder gefasst und lachte leise. „Du willst mir mit dem Praioten drohen, wie erbärmlich bist du?“ Ihre Stimme war nur noch ein hasserfülltes Zischen. „Was meine Maia angeht, so wird sie sich ihren Stab schon wiederholen. Wage es nicht, meine kleine Schwester noch einmal als Meuchlerin zu bezeichnen! Wenn sie wollte, dann wärst du jetzt schon so tot, wie das Holz unter meinen Füßen. Und hier ist meine Antwort auf dein großzügiges Angebot.“ Die Magierin spuckte Eleon direkt vor die Füße und schickte sich an, an Deck zu klettern. Der Gelehrte verstand nun: Ihre Drohungen waren genauso gespielt, wie alles andere auch. Dennoch wagte er einen letzten Vorstoß, versuchte es sogar mit einer vertraulicheren Ansprache. „Bleib stehen und sei nicht so dumm. Willst du wirklich aus Stolz auf die freundlich hingestreckte Hand und die Weiterführung des Gesprächs verzichten? Ich möchte es verstehen und hatte gehofft, meinen Zwist mit dir beilegen zu können. So hebe ich sicherlich nicht den Fluch auf, der auf Maia liegt!“ Anna ließ ihm keine Gelegenheit dazu: „Du bist ein schlechter Lügner. Du überschätzt dich und dein Können. Gib dich nicht der Illusion hin, ich wüsste nicht was du bist. Also geh schön zurück in deinen Steinkreis und spiel weiter mit den Waldgeistern.“ Eleon vollführte zornig eine abfällige Geste mit der Hand. „Das kann nicht dein Ernst sein! Wenn dir wirklich etwas an deiner Schwester liegt, dann würdest du dich setzen und mich anhören.“ Er atmete tief ein. „Und ich mich überschätzen? Ich stehe hier vor dir mit ihrem Stab, den sie freiwillig niemals hergegeben hätte.“, äffte sein Gegenüber grimmig nach. „Da wir offensichtlich beide in den Augen der Anderen geächtet sind, schlage ich vor, dass wir fürs erste nicht gegeneinander arbeiten. Ich werde diese unnötige Feindseligkeit hiermit beenden und mich dir anvertrauen, wenn du wieder zurückkommst und dich setzt. Es ist mein Ernst und du weißt das... Also bitte, Anna!“ Noch einmal reichte er ihr die Hand zu einer friedlichen Lösung, doch die rothaarige Magierin winkte rüde ab und ließ ihn im Unterdeck einfach zurück. „Wir werden uns noch unterhalten, ganz sicher!“, warf er ihr noch hinterher und schüttelte dann resignierend den Kopf. „Und dann werde ich mir deine Frechheiten nicht mehr bieten lassen.“, beschloss er nur für sich bestimmt und kletterte ebenfalls durch die Luke an Deck, gute Miene zum bösen Spiel machend.