Kapitel 7, Anna und Jolinar im Lazarett von Unau

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Kapitel 7, Anna und Jolinar im Lazarett von Unau

  Ein Schatten abgrundtiefer Verzweiflung war auf Jolinars Gesicht zurückgekehrt, daher ging sie ins Zelt zurück, um noch einmal den Verwendungszweck der verschiedenen Gerätschaften durchzugehen. Sie ignorierte Anna, die wie beiläufig mit den scharfen und blitzenden Skalpellen spielte, die jeden Medicus, Anatom oder Folterknecht stolz gemacht hätten. Als die Magierin die Zeltplane des Eingangs rascheln hörte, schaute sie auf und beobachtete Jolinar aufmerksam. Die junge Hexe schnitt sich ein Stück von einem Verband ab und band sich damit ihre Locken zurück. Es war sicherlich nicht angenehm, ihre eigenen Haare aus einer fremden Wunde zu ziehen, weder für sie, noch für den Verwundeten. Wann kommen denn endlich welche? Sie fasste sich an den Kopf. Wie kann ich davon endlich reden? Aber das lange Warten war ebenso unerträglich.
  „Was willst du eigentlich machen, wenn dein geliebter Nazir schwer verletzt vom Schlachtfeld hier hinein getragen wird?“, riss Anna sie aus ihren Gedanken. Sie hatte eines der Skalpelle in der Hand und fuchtelte damit gedankenlos in der Luft herum.
  Zornig drehte Jolinar sich zu der Magierin um. Das Skalpell hatte sie wahrgenommen, doch es schien ihr nicht sonderlich viel auszumachen. „Sag mir, Anna, was eine kleine, von Egoismus zerfressene Spinne wie dich aus ihrem vermoderten kleinen Loch herauszieht, um Sorge vorzuheucheln?“ Sie hatte ihre Arme in die Hüften gestemmt und der Zorn in ihren Augen schien für ihr Gegenüber noch viel schlimmere und giftigere Worte finden zu wollen. Oberflächlich schien Wut ihre Gefühlswelt zu dominieren, doch tief darunter stellte sie sich diese Frage schon seit einiger Zeit und nun, da sie ausgesprochen war, schien sie sich noch mehr in sie hineinzufressen. Immer tiefer, bis unter der wütenden Oberfläche pure Angst vorzuherrschen schien, fast schon hilflose Verzweiflung. Doch dieses vor Angst und Verzweiflung triefende Meer war gut verborgen unter dem Mantel der Wut. Nur mit viel Mühe würde man die wohl bald an die Oberfläche brechende Verzweiflung erkennen können.
  Anna funkelte sie wütend an und wiederholte ihre Frage: „Was gedenkst du zu tun, wenn dein kleiner Nazir genau da liegt?“ Sie zeigte auf den glatten weißen Tisch, gleich neben dem Operationsbesteck. „Und schon Golgaris Schwingen hört? Was dann?“
  „Verschwende daran keine Gedanken und besonders keine Worte!“, fauchte die junge Hexe zurück. „Es geht dich nichts an was ich jetzt tue oder noch tun werde! Also lass mich gefälligst in Ruhe! Ich brauche deine Hilfe nicht, denn keiner weiß, welchen Nutzen du daraus zum Schaden anderer ziehen willst!“ Sie drehte sich um und stopfte noch zwei Verbände in ihren ohnehin prall gefüllten Rucksack.
  „Wirst du dann zu dem stehen, was du bist? Oder dich weiter ängstlich verstecken?“, zischte die Adepta kalt in ihrem Rücken. „Schau dir diese Schlachtbank hier ruhig an. Schau sie dir genau an!“
  Jolinar würdigte sie keines Blicks. „Auch das geht dich nichts an. Warum sollte ich mir diese Schlachtbank noch genauer ansehen, als ich es schon getan habe? Ich werde eh nicht viel daran ändern können, was mir oder den meisten anderen unserer Gefährten zustößt.“ Schließlich wandte sie sich doch wieder ihrer ehemaligen Freundin zu und ein Grinsen umspielte ihre Lippen, doch es hatte nichts Freundliches an sich. „Was würdest du tun, wenn Ramon auf einem der Tische liegen würde und Golgaris Schwingen hört? Ach nein, das musst du mir nicht sagen, ich kann es mir denken. Deinen Spaß hattest du ja bereits mit ihm, also warum sich weiter um ihn Gedanken machen.“, ätzte sie voller Hass und Abscheu.
  „Ich habe mir nur das genommen, was ich wollte.“, antwortete Anna ruhig und gelassen. „Genauso, wie es die Männer selbst auch machen und trotzdem würde ich ihn heilen mit allen Mitteln, die mir und unserer Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Kannst du das auch von dir behaupten?“
  „Wie sehr musst du dich verachten, wo du doch die Männer so hasst, die es sich nehmen?“, keifte Jolinar zurück. „Was willst du mit diesem Gespräch eigentlich bewirken? Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen. Das tut man nur bei Menschen die über einem stehen oder bei Freunden! Und ich bin nichts von beiden für dich, also hör endlich mit diesem Unsinn auf, Anna. Momentan gibt es für mich wichtigere Dinge als diese Spielchen, ich denke das dürfte deine Frage beantworten!“
  „Kannst du das von dir auch behaupten oder kannst du das nicht?“, hakte die Magierin nach. „Bei Nazir bestimmt, aber bei anderen?“
  „Ich brauche deine Hilfe nicht!“, schrie die junge Hexe wütend. „Was willst du von mir?“
  Der Zorn in ihrer Stimme wurde immer intensiver, als Jalessa erschrocken das Zelt betrat. „Bei Nandus, was ist denn in dich gefahren? Warum schreist du denn so herum?“, erkundigte sich die Novizin mit großen Augen, als sie das Skalpell in Annas Hand entdeckte und beobachtete, wie diese sich Jolinar langsam näherte.
  „Ich wollte dich nur bitten, dir noch einmal zu überlegen, ob du dich nicht zu dir selbst bekennen willst.“, sprach sie laut, dann leiser ein Wort: „Hexe.“
  „Ich habe dir bereits gesagt, dass ich es nicht leugnen werde. Aber ich werde es auch sicher niemanden auf die Nase binden, aber auch das geht dich nichts an!“, entgegnete sie hasserfüllt. Dann wandte sie sich an Jalessa: „Bitte halte dich raus.“ Sie schaute Anna noch einmal wütend in die Augen und wandte sich zum Ausgang.
  „Mich geht gar nichts an!“, schrie die Magierin ihr hinterher. „Du hast Recht! Ich setze mich jetzt in die Ecke und warte darauf, dass du einen Heulkrampf kriegst, wenn irgendetwas passiert. Dann kannst du mich mit Berechtigung als egoistische Spinne bezeichnen.“ Sie schleuderte das Skalpell auf den Boden. „Aber ich werde für dich da sein, wenn du mich brauchst.“, fügte sie nur wenig leiser, aber wesentlich vernünftiger hinzu.
  Jalessa starte beide bis über alle Maße verwirrt an, wohingegen Jolinar im Eingang stehen blieb. „Keine Sorge, das wird nicht geschehen, ich werde dich nicht mit meinen Sorgen belästigen.“, teilte sie Anna mit eisiger Stimme mit und verließ das Lazarett endgültig.