Kapitel 7, Eleon und Dragomir in Unau
Version vom 5. Oktober 2019, 20:58 Uhr von Dragomir (Diskussion | Beiträge)
Eleon hatte auf Adriegos auffordernden Blick überlegt, was er selbst noch hätte beitragen können, doch ihm war nichts Sinnvolles eingefallen, was über die schon geäußerten Gedanken hinausgegangen wäre. Mit einem verächtlichen Schnauben vernahm er den selbstgefälligen Segen des Praiosgeweihten und machte sich auf den Weg in den Garten, wo er sich an einem Baum niederließ und seinen Gedanken nachhing. Schnell hatten seine Finger in der kleinen Ledertasche des Gelehrten eines der getrockneten Blätter gefunden, zerrieben und in den Mund gesteckt. Langsam und bedächtig kaute Eleon auf der Pflanze und der herbe Geschmack, der, wie er wusste, fast ein wenig betäubend wirkte, hinterließ im Mundraum ein angenehmes Kribbeln. Ruhe und Wärme breiteten sich über die verkrampften Züge des Druiden aus. Langsam entspannte er sich und nahm eine bequeme Meditationsstellung ein. Mit einem kurzen, eher beiläufigen Kramen, holte er seinen Dolch aus einer der versteckten Taschen seines braunen Gewands, ließ ihn andächtig durch die Hände gleiten und rammte ihn dann vor sich ins Erdreich. Von weitem betrachtet, schien Eleon im Schatten an den Baum gelehnt zu schlafen. Sowohl die Ermüdung durch die durchschrittene Wüste, als auch die nur knapp überwundene Gefahr des Salzsees forderten jetzt ihren Tribut, so schien es jedenfalls. Nach etwas mehr als einer halben Stunde erhob sich Eleon frisch und ausgeruht und ordnete kurz seine Gedanken. Er begab sich zielstrebig zum Zimmer Dragomirs, traf diesen jedoch bereits auf dem Weg dorthin, umtriebig durch die Gänge tigernd. „Auf ein Wort, Hochgeboren. Ihr habt vorhin erneut und ausdrücklich betont, dass Ihr bei Anfragen zur Verfügung steht. Habt Ihr Zeit und Lust ein Stück mit mir zu gehen?“ Der Freiherr blickte kurz den Gang entlang zu Annas Zimmer und dann in die andere Richtung. „Sicher, Eleon aus dem Märkischen. Eigentlich warte ich auf Prätor Rondrik, aber die Nacht wird sicher ohnehin eine kurze.“ „Nun, ich möchte Euch nicht von Wichtigerem ablenken und vermessen erscheinen, Hochgeboren.“, begann Eleon vorsichtig, aber ruhig und offen. „Mir erscheint die aktuelle Lage sehr angespannt und ich werde deshalb versuchen, mich kurz zu fassen. Ich muss gestehen, ich bin in der Diskussion nicht ganz mitgekommen und nun im Unklaren welche Folgen für Anna entstanden sind.“ „Die Lage ist gespannt, ja, aber ich bin zuversichtlich.“, antwortete der Freiherr. „Wir wollten nur klarstellen, dass wir alle gewisse Rechte und Pflichten haben. Frau Rand hat die ihren, die Geweihten und ich die unsrigen. Welche Folgen das hat, hängt ganz von ihr ab.“ „Die Lage war schon immer gespannt.“, verbesserte sich der Gelehrte. „Und ich denke nicht, dass es hier nur um die Verteilung von Rechten und Pflichten geht. Was hat Anna zu befürchten, wenn sie sich weiterhin weigern sollte?“ „Ein Grund mehr, die Lage zu entspannen. Und ich hoffe, das wird auch Frau Rand bei ihren eigentlich unnötigen Überlegungen einbeziehen. Ansonsten wird meine Zuversichtlichkeit noch mehr und dann aufs Bitterste enttäuscht.“, entgegnete Dragomir vielsagend. „Worum denkt Ihr geht es denn noch?“ „Nun meines Erachtens nach sind es weltanschauliche Fragen, die die Gruppe belasten. Auch wenn man diese Mission militärisch plant, sind doch die einzelnen Teilnehmer durchaus in ihren Ansichten konträr. Zudem sind viele von uns Einzelgänger, wie Anna oder Sumudan, und nicht gewohnt, sich anderen unterzuordnen. Dann bedenkt die Charakterstärke der Gefährten. Wer von uns hat sich auch nur träumen lassen, jetzt hier mitten in diesem Krieg zu stecken und in einem fernen Land für einen heidnischen Herrscher sein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber wir reden aneinander vorbei, Hochgeboren.“ Einige Momente verstrichen, in denen beide Männer nachdachten. Dann fiel Dragomir ein überraschendes Detail in den Ausführungen des Druiden auf: „Ihr nennt sie Anna?“ Eleon nickte mit einem schwer zu deutenden Blick. „Ich nenne sie Anna, weil ich sie gut kenne. Oder vielmehr besser zu kennen glaube. Ich traf ihre Schwester, Maria, zum Verwechseln ähnlich, in einer unglücklichen Situation. Wir standen uns als Feinde gegenüber und ich durfte am eigenen Leib ihre Mentalität spüren. Trotz allem bezwang ich sie und hielt sie dadurch von einer folgenschweren Tat ab. Der Stab, den ich bei mir führe, gehörte einst ihr.“ Wiederum erfolgte eine Pause, dann forderte Eleon erneut: „Sagt mir nun, Hochgeboren, was hat Anna zu erwarten, wenn sie sich weiterhin weigert?“ Dragomir sah den Druiden forschend an. „Bevor ich Euch Eure Fragen beantworte, gebt mir Antworten auf meine.“, entgegnete er und schien in diesem Fall keinen Widerspruch zu dulden. „Was erzählt Ihr da? Ihr kennt Frau Rand und Ihre Familie? Bedenkt mein Anliegen der Offenheit und erzählt mir Alles.“ „Viel mehr gibt es auch nicht zu berichten.“, setzte Eleon nach einem Seufzen erneut an. „Es muss wohl im vorletzten Rahja gewesen sein als ich gebeten wurde, den Sohn eines Grafen zu beschützen. Um es kurz zu machen: Wir wurden von einer Gruppe überfallen, unter ihnen Maria. Das Ende kennt Ihr. Gleichwohl fand ich…“, Eleon räusperte sich kurz, „… Gefallen an ihr und übergab sie der Wildnis, anstatt sie auszuliefern. Sie ist wie ihre Schwester etwas Besonderes, das es zu bewahren gilt. Anna hat den Stab ihrer Schwester bereits auf der Trutz bemerkt und mich zur Rede gestellt. Inzwischen unterstützt sie mein Bestreben, ihrer Schwester den Hof zu machen und akzeptiert mein Handeln. Das ist alles, was ich sagen kann.“ „Manchmal unterscheiden sich Geschwister wie die Nacht vom Tage, wie uns die jüngste Geschichte beweist.“, entgegnete Dragomir, noch immer sichtlich überrascht. „Da habt Ihr Euch also in die Schwester der werten Adepta... ähm... verguckt. Klingt ja nahezu tragisch, Ihr scheint ein Händchen dafür zu haben.“, bemerkte der Freiherr, ohne sich über den Druiden lustig machen zu wollen. „Geht mich aber auch nichts an. Habt Ihr denn sonst noch etwas zu... berichten?“ Fast hätte er beichten gesagt, konnte das Wort aber im letzten Augenblick gekonnt umschiffen. Dennoch glich sein forschender und unnachgiebiger Gesichtsausdruck dem eines Inquisitors, der gerade in ein Wespennest der Ketzerei gestochen hatte. Eleon hielt dem intensiven Blick des Ritters lange stand, dann antwortete er entschlossen: „Es gibt da wohl noch einige Punkte, die ich vielleicht mit Euch besprechen möchte, Hochgeboren. Doch eins will ich betonen, es gibt nichts, was ich euch zu beichten hätte.“ Der Gelehrte hatte durchschaut, was seinem Gesprächspartner beinahe über die Lippen gerutscht wäre und war darüber nicht amüsiert, vielmehr sogar verärgert. „Die Beziehung zu Maria macht nur deutlich, warum ich mich nun abermals so nachhaltig nach Annas weiterer Behandlung erkundige. Solltet Ihr anderer Meinung sein, dann habt Ihr mich, oder ich zumindest Euch, gründlich missverstanden.“ Dragomir rollte mit den Augen. „Seht... Es stimmt. Wir reden selbst in Kleinigkeiten aneinander vorbei. Wie sollen wir denn da bei großen Dingen einen gemeinsamen Nenner finden?“, versuchte er es aus einem anderen Blickwinkel. „Natürlich müsst Ihr mir nichts beichten. Sehe ich aus wie ein Geweihter? Allerdings wünsche ich klare Verhältnisse in unserer illustren Gesellschaft und Euch tatsächlich das Beste mit... Maria, sagtet Ihr?“ Der Druide nickte zustimmend, aber ohne weiter darauf einzugehen. „Ich danke Euch für Euer Vertrauen. Ich bin wirklich froh über Eure Offenheit. Scheinbar sind die Adepta… Anna Rand und Ihr Euch einig darüber. Oder gibt es Streitigkeiten? Sollte sie sich für uns entscheiden, dann schafft sie aus der Welt, schnell.“ Eleon verdrehte die Augen. „Wie ich bereits erwähnte, steht Anna hinter der Verbindung. Kein Streit also.“ Seine Gedanken schienen ihm davonzulaufen, vielleicht ein Zeichen des Herrn Boron, der nun auch dem Freiherrn allmählich seine Macht vor Augen führte. „Wie dem auch sei.“, konzentrierte sich Dragomir erneut. „Welches sind die Punkte, die Ihr besprechen wollt. Außer Adepta Rands Zukunft?“ „Ihr erwähntet als wir in die Stadt kamen, dass auch Ihr das Ziel meiner Reise im notmärkischen Grenzgebiet zu kennen scheint. Nun, mich interessieren Eure Ausführungen, schließlich ist es schön, wenn man auf diese Weise in der Fremde ein Stück der Heimat wieder aufleben lassen kann.“ „Ist das einer der Punkte, die Ihr besprechen wollt?“ Mit einer auffordernden Handbewegung unterstrich er seine Frage, aber war es Frechheit oder Selbstverständlichkeit, mit der er weiterfragte? „Dann kann ich vielleicht mit einer Antwort dienen. Immerhin gehört meiner Familie ein Teil der Ländereien dort seit Jahrhunderten. Einer der Ort, an denen ich aufgewachsen bin.“ „Das will ich nicht bestreiten, aber der notmärkische Forst ist riesig. Seine raue Schönheit bleibt selbst vielen, die von ihm und in ihm leben, verschlossen. Auch jemanden wie mich vermochte er noch nach Wochen zu überraschen. Was wisst Ihr von seinen versteckten Eigenheiten, seinem Charakter?“ Der Ernst war aus Eleons Gesicht gewichen und er lächelte seinen Gesprächspartner verschmitzt an. „Da habt Ihr sicher Recht. Was weiß ich von ihm? Dass er älter ist als alles andere. Dort, wo die Holzbauern leben, ist er sicher jünger, aber weiter zu den Bergen hin kann einen so manche Überraschung erwarten. Seit meine Familie während der Besiedelung des Landes dorthin kam, scheint er nicht kleiner geworden zu sein, wie man es sonst vermutet, wo Siedler sich niederlassen. Er zieht die Töchter Satuarias magisch an.“ Dragomir musterte den Druiden forschend, aber erwiderte das verschmitzte Lächeln. „Wie auch Euch. Was suchtet Ihr denn? Und warum hat Graf Alderich Euch gefangengesetzt?“ „Der Forst hat mehr Gesichter, Geheimnisse und Weisheiten, als dass unsereins leichtfertig darüber sprechen sollte. Durch einen Botengang für einen Freund kam ich nach längerer Zeit wieder in Eure Gegend und nahm mir diesmal etwas Muße, den Gerüchten der Dörfler nachzugehen. Dabei habe ich anscheinend zu viele Fragen gestellt. Alderich kannte wohl meine Profession, aber er schien mit der Vorbereitung für Euer Eintreffen und dem seines Herrn zu sehr beschäftigt. Meint Ihr es war jener finstere Galotta? Und warum erwähnt Ihr die Hexen, wie sie im Volksmund heißen, als wären sie fernab im Bornland und nicht inmitten unserer Gesellschaft?“ Eleon hatte das Gefühl, dass mit jedem Satz der beiden weitere offene Enden entstanden, die sie nicht mehr würden bündeln können. „Wenn Ihr mir nicht sagt, was Ihr in unserem Wald zu finden hofftet, kann ich Euch schlecht bei der Suche helfen. Und was hat Eure Profession mit Eurer Gefangennahme zu tun?“, entgegnete Dragomir trocken, um ebenso emotionslos fortzufahren. „Hexen, Töchter Satuarias... Sie sind nicht alltäglich, aber auch nicht derart außergewöhnlich in unserer Heimat, oder etwa nicht? Sie schätzen anscheinend den Wald im Notmärkischen, vielleicht ob seiner Magie, vielleicht nur wegen seiner Abgeschiedenheit. Er zuckte mit den Schultern, dann verdüsterte sich seine Miene: „Wenn Alderich mit Galotta zu schaffen hat, dann wird das Konsequenzen haben.“ „Was auch immer ich gesucht oder gefunden habe, hat nichts mit unserem Auftrag zu tun.“, reagierte Eleon schneidend auf den Versuch des Freiherrn, ihn weiter auszuhorchen. „Und, wenn ich Euch verbessern darf, sie sind alltäglich bei uns. Wir wissen wohl beide, was sich hinter der Adepta-Scharade verbirgt und warum sie folglich das Zepter niemals küssen wird.“ Er machte eine kurze Pause, da er erkannte, dass eine weitere Diskussion wohl keinen Sinn mehr hatte und antwortete dann mit einer abwiegelnden Handbewegung. „Man hält sehr viel von Euch, Hochgeboren. Und mein eigentliches Anliegen war es, Euch um ein paar Lehrstunden in Etikette und höfischem Anstand zu bitten. Doch je länger ich ansehen muss, wie weit dies von den Grundlagen von offener und beidseitiger Ehrlichkeit und aufrichtigem Vertrauen abweicht, überdenke ich dieses Vorhaben besser.“ Ironisch fügte er noch hinzu: „Ich habe Euch schon zu lange aufgehalten, Hochwürden Rondrik hat sicher wichtigere Dinge mit Euch zu bereden. Gute Nacht.“ Eleon war sichtlich enttäuscht von ihrem augenscheinlich doch nicht so vornehmen und ehrlichen Anführer, so dass er sich einfach abwandte. „Ihr wollt Lehrstunden in Anstand und Etikette? Gerne. Beispielsweise solltet Ihr nicht gehen, ohne Euren Gesprächspartner Gelegenheit zur Antwort zu geben, zumal er...“, bemerkte er ruhig, aber bestimmt, unterbrach sich dann jedoch selbst, um einen neuen Gedanken aufzunehmen. „Ich verstehe Euer Problem nicht, Eleon. Ihr wollt mit mir über den notmärkischen Wald reden? Da Ihr offensichtlich etwas suchtet, möchte ich Euch gerne dabei helfen. Wie soll ich Euch aber helfen, wenn Ihr mir nicht sagt, was Ihr sucht? Ganz nebenbei: Ich habe gar nicht vermutet, dass Eure Gefangenahme etwas mit unserem Auftrag zu tun hat.“ Mit einem resignierenden Seufzen drehte sich der Druide noch einmal um und atmete tief durch, bevor sein Blick wieder auf Dragomir zu ruhen kam. Entweder war der Ritter genau so dumm wie Anna behauptete, oder noch weit abgebrühter als angenommen. „Nein, Hochgeboren, ich bin nicht gekommen, um mit Euch über den Wald zu sprechen. Ich hatte längst gefunden, was immer ich suchte und befand mich bereits auf dem Heimweg als man mich ergriff. Doch wie ich schon einmal sagte, dies hat mit Euch und Eurer Mission nichts zu tun.“ Wieder kam ihm der ärgerliche Gedanke, schon zu viel gesagt zu haben, doch er versuchte es noch einmal: „Ich kam, um Euch für Anna zu bitten. Auch wenn ich ihre Taten und Maskeraden nicht billige, fühle ich mich Ihr in gewisser Weise verpflichtet. Bitte lasst von dem Schwur auf das Sonnenzepter Praiadans ab. Sie wird es niemals tun, selbst wenn ihr Leben davon abhinge, und Ihr wisst das! Lasst sie sich in der kommenden Schlacht bewähren und ihren Stolz verrauchen. Ich denke Ihr habt bemerkt, dass der Prozess – auch wenn Ihr es einen Disput zu nennen pflegt – die Gruppe fast gespalten hätte. Mit Anna straft Ihr nicht nur eine Adeptin mit ungebührlichem Verhalten, sondern all jene, die zu Euch aufgrund ihrer Lebensart und ihren Einstellungen nicht passen.“ „Hat Frau Rand Euch geschickt oder seid Ihr aus eigenem Antrieb gekommen?“, erkundigte sich Dragomir mit einem lauernden Gesichtsausdruck. „Prozess oder Disput ist doch einerlei! Die Gruppe ist fast gespalten... weil wir Adepta Rand strafen und einen Schwur auf das Sonnenszepter verlangen? Immer ist gleich alles Prozess und Strafe. Ein Schwur auf das Sonnenszepter sollte keine Strafe sein für rechtschaffene Recken, ob magisch begabt oder nicht, Hexe hin oder her.“ Dragomir schloss genervt die Augen und schüttelte den Kopf, dann sah er Eleon wieder forschend und interessiert an. „Ihr sagt, Ihr billigt Adepta Rands Taten und ihre unverständliche Maskerade nicht. Erklärt mir doch bitte, wie Ihr die Sache genau seht. Und erklärt mir bitte, warum sie den Schwur niemals leisten würde.“ Eine Spur von Zufriedenheit keimte in Eleon auf. Zumindest sprachen beide jetzt nicht mehr aneinander vorbei. Nach einem Becher Wasser wischte er sich den Mund mit dem Ärmel ab und sprach weiter. „Ich komme aus eigenen Stücken. Was soll ich sagen? Mir missfällt ihre Neigung zur Provokation, ihre übertriebene Eitelkeit. Generell finde ich ihre Emotionalität unkontrolliert und anmaßend.“ Eleon musste plötzlich grinsen, denn die gleichen Gründe haben ihn damals auch nicht losgelassen. Auch Maria hatte ähnliche Charaktereigenschaften, doch bei ihr war es echt und nicht vorgeblich. Sie lebte, wie es ihr gefiel und nahm es mit jedem auf. Anna dagegen war anders, sie stand nicht zu dem, was sie war. „Es bleibt dabei, ich bin überzeugt, dass sie aus Stolz oder anderen Gründen den Schwur nicht leisten wird. Falls ich mich irre…“, er zuckte mit den Schultern, „… dann war unser Gespräch hier bedeutungslos. Meine erste Frage lautet noch immer: Was hat Anna zu befürchten, wenn sie morgen erneut ablehnt?“ „Ob richtig oder falsch, das weiß man meist erst im Nachhinein. Bei einem Schwur auf das Sonnenzepter sollte es jedoch vorher klar sein, oder?“, bemerkte Dragomir trocken und schaute auf den Becher. „Nicht mit dem Ärmel den Mund abwischen, besagt die Etikette, Eleon aus dem Märkischen.“ Irritiert schüttelte der Freiherr den Kopf, als der Druide lediglich die Stirn runzelte. „Tja, ihre Eigenheiten mögen an ihrer Erziehung liegen oder daran, dass sie eine Tochter Satuarias ist, oder an beidem. Ich hoffe zumindest, dass sie den Schwur leistet, um damit die Ernsthaftigkeit ihres Versprechens und die Wahrheit ihrer Geschichte zu bekräftigen, zum Besten für uns alle. Auch zu ihrem. Wenn sie ablehnt, wird man nach den Gründen fragen müssen, oder nicht?“ Er lehnte sich verschmitzt lächelnd vor. „Warum grinst Ihr, wenn Ihr Frau Rands Eigenheiten aufzählt? Hat es etwas mit ihrer Schwester zu tun?“ Die Augen des Ritters blitzten schelmisch auf, aber er schien keine Antwort zu erwarten. Gelassen lehnte er sich wieder zurück und sah durch das Fenster in die Nacht hinaus. „Der Herr Phex muss diesem Land eine besondere Neigung entgegenbringen, dass er seine Schätze hier so oft und so offen funkeln lässt.“ Vor nicht einmal einem Tag lebten sie noch inmitten der Wüste und nun, sobald die Zivilisation es ihnen ermöglichte, nahm alles die vorgefertigten angepassten Rollen wieder ein. Eleon seufzte innerlich und gab die Hoffnung auf, dass man aufgrund der gemeinsamen Erlebnisse zumindest im Ton untereinander die hierarchischen Rollenverhältnisse aufgeben könnte. „Das Lächeln, nun, ich gebe gerne zu, dass auch dies eine Eigenart war, die mir im Herzen blieb. Auch wenn Maria im Gegensatz zu Anna keinen Hehl aus ihren Gedanken und Neigungen macht.“ Er dachte kurz nach und antwortete dann widerwillig: „Ich sehe, es bleibt bei der Prüfung. Und es ist womöglich auch Euer Recht, Hochgeboren. Doch sind es zwei Paar Schuhe, ob man in Anna eine Schwester Satuarias vermutet oder über eine diesbezügliche Tatsache zu befinden hat. Gewisse Dinge lassen sich tolerieren, solange man sie nicht offen ausspricht, oder?“ Wieder entstand eine Pause, in der Eleon nicht direkt mit der Sprache heraus wollte. „Vielleicht bin ich nur ein einfacher Mann, doch haben mich die harschen Worte vorhin im Pavillon aufmerken lassen. Seitdem denke auch ich, dass wir den Zusammenhalt, den Ihr fordert, nur erreichen können, wenn wir unsere gesellschaftlichen Rollen in den Hintergrund rücken und eher als Menschen handeln würden. Ich kann es nicht so galant wie Rondrik oder Ihr ausdrücken und möchte Euch mit dieser Aussage nicht zu nahe treten. Aber in solchen Kleinigkeiten wie einem Kuss auf ein Sonnenzepter zeigt sich die beinahe unüberwindliche Distanz die zwischen uns herrscht.“ Der Druide stand auf und machte Anzeichen, sich diesmal wirklich zurückzuziehen. „Es ist viel Zeit vergangen, seit ich Euch begegnet bin, Hochgeboren. Ich stehe Euch im Kampf gegen die Niedertracht dieser Welt bei und hoffe, dass dieses Gespräch Eure gute Meinung von mir nicht zerstört hat.“ Dragomirs Miene blieb kühl, aber interessiert, so dass er Eleon bedeutete, noch kurz zu warten. „Ihr möchtet gehen, doch will ich die Sache klären so schnell es geht.“, stellte er eindringlich klar. „Niemand hat einen Kuss auf das Sonnenszepter gefordert. Ein Schwur darauf ist auch sicher keine Kleinigkeit, doch erklärt mir bitte, was Ihr mit unüberwindlicher Distanz meint, die sich in einem Schwur auf das Zeichen des Götterfürsten zeigen soll. Glaubt Ihr nicht an die Zwölfe? Nun, das wäre betrüblich, soll bisweilen jedoch vorkommen.“ Der Freiherr schmunzelte in sich hinein. „Seht, Eleon, ich weiß, dass unsere Gemeinschaft ein illustrer Haufen aus allen Ständen mit entsprechenden Einstellungen zu den Dingen ist. Mir ist ebenso bewusst, dass es eigenwillige Gesellen gibt. Dennoch ist unser Ziel doch dasselbe, oder? Wir wollen gegen die Mächte der Finsternis streiten und sie besiegen, richtig? Wir stehen doch alle auf der Seite der zwölfgöttlichen Lande...“, er bemerkte selbst, dass diese Formulierung unglücklich war. „Nein, lasst es mich anders ausdrücken: Auf der Seite jener, die die Schöpfung verteidigen gegen das Chaos, oder sehe ich das falsch? Der Herr Praios und seine göttlichen Geschwister sind doch eine der wichtigsten Kräfte, die der Zerstörung entgegenwirken, oder? Und erklärt mir bitte was Ihr meint, wenn Ihr sagt, wir sollten unsere gesellschaftlichen Rollen in den Hintergrund rücken und eher als Menschen handeln. Eigentlich betrachtete ich mich immer in erster Linie als Mensch.“ „Mir scheinen die Barrieren, die zwischen Euch und Anna stehen, unüberwindlich. So überzeugt wie Ihr, diese Geste zu erbitten, genauso ist sie es auch, diese zu verweigern. Ich selbst bin unschlüssig, wie sie sich entscheiden wird, deshalb möchte ich nicht bis morgen warten. Die Unüberwindlichkeit liegt in der Bedeutung, die man bestimmten Dingen beimisst.“, versuchte Eleon abermals, seinen Standpunkt zu verdeutlichen. „Da Ihr nach meiner Glaubensauffassung fragt, möchte ich Euch zumindest in dieser Hinsicht beruhigen. Ihr habt völlig Recht, ich lehne die Zwölfe nicht ab und streite gern in ihrem Namen, doch richte ich meine Gebete nur selten an sie. Es liegt nicht in meiner Natur. Was die zweite Sache angeht, möchte ich für heute lieber schweigen. Oder zumindest versuchen, es Euch zu erklären. Diese Gedanken haben mich erst vor kurzem erreicht und sollten an anderer Stelle diskutiert werden. Der junge Baron sprach davon, dass alle Menschen gleich sind vor den Göttern und dass viel Böses wie Neid und Eifersucht, aber auch Hunger und Elend auf die ungleiche Verteilung der Güter und des Wissens zurückzuführen sind. Er sprach sich für eine, wie er es nannte, soziale Reform aus.“ Er nahm noch einen Schluck Wasser aus dem Becher, verzichtete aber diesmal darauf, sich den Mund mit dem Ärmel abzuwischen. „Bitte versteht, Hochgeboren, ich bin lange unterwegs und versuche den Einfachsten zu helfen, mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Wenn ich nun höre, dass all das Leid vielleicht geändert werden könne, wenn man nur die Verhältnisse wieder angleicht.“ Er bemerkte selbst, dass er gefährlich viel Euphorie in seine Worte legte und sprach leiser weiter. „Das erste wäre für mich, wenn man untereinander mit Respekt und Verständnis begegnet. Ich habe Euren Titel nicht aus Unhöflichkeit vergessen, doch kenne ich Euch inzwischen eher als Ritter Dragomir, als den Freiherrn von Firunwald. Da ich jedoch sehr wohl sehe, wie viel Euch an dem Titel liegt, werde ich mich von nun an bemühen, ihn angemessen zu verwenden.“ Dragomir runzelte die Stirn und verzog missmutig das Gesicht, bevor er antwortete: „Das schmeckt bisweilen nach sehr demokratischen, wenn nicht gar schlimmeren Tönen, die der Herr Baron da anschlug und ich zweifle, dass sie ihm gut bekommen sind oder vor einem höheren Gericht gut bekommen werden.“ Unvermittelt lachte der Freiherr. „Allerdings gemahnen die Götter uns, auch und gerade den Adel, tatsächlich, Leid welcher Art auch immer zu lindern. Man schwört es beim Ritterschlag und so ist es auch Bestandteil der rondrianischen Tugenden. Respekt und Verständnis, nichts anderes habe ich vorhin gefordert, oder?“ „Unnötig zu sagen, dass wir hier einer Meinung sind. Natürlich hat er widerrufen, da die Zeit noch nicht reif für derartige Gedanken war.“, stimmte Eleon seinem Gastgeber zu. „Das mit dem Schwur war mir nicht bewusst, ich habe lediglich versucht, diese Gedanken mit meinen Erfahrungen abzugleichen und bin auf interessante Gemeinsamkeiten gestoßen. Wenn man die Gesellschaft der Elfen und ihre Erfahrungen ansieht dann glaube ich, dass viele unserer Fehler verhindert werden könnten, wenn wir offener und vorurteilsfreier mit ihnen umzugehen wüssten. Was Anna angeht, so hoffe ich, dass sie morgen einen Weg finden wird. Doch solange sie uns etwas vorspielt kann sie kein Vertrauen erwarten. Doch Ihr habt Recht, Hochgeboren. Wenn man sieht, dass wir einen gemeinsamen Feind haben, sollten die Barrieren nicht so unüberwindlich erscheinen. Habt Dank für das Gespräch.“ „In der Tat, Eleon, das sind meine Worte.“ Dragomir schmunzelte. „Zumindest im Großen und Ganzen. Lasst mich noch etwas zum gegenseitigen Verständnis hinzufügen: Ich bin Elitegardeoffizier und als solcher von adligem Geblüt und, das möchte ich behaupten, ebenso von edlen Taten. Somit bin ich ein Wächter über die zwölfgöttliche Ordnung und habe die Pflicht, die Seelen jener zu schützen, die mir anvertraut sind. Dabei darf ich jedoch zu keinem Zeitpunkt das Ziel einer Mission aus den Augen verlieren.“ Der Freiherr stand von seinem Bett auf und zog mit einem Ruck seine Jacke zurecht. „Ich wünsche Euch eine Boron gesegnete Nacht, Eleon aus dem Märkischen, und würde mich freuen, wenn wir unser Gespräch zu anderer Stunde fortsetzen könnten.“ Der Druide nickte lediglich und entgegnete: „Ich verstehe. Auch Euch wünsche ich angenehme und Boron gefällige Ruhe. Sicher eine Wohltat, endlich wieder in zivilisierter Umgebung zu schlafen.“ „Ob Bett, Sand oder Gras ist egal, Hauptsache Schlaf!“, bemerkte Dragomir noch recht düster, dann nickte er Eleon freundlich zu, bevor der Gelehrte sein Quartier verließ – und den Rasen es Palastgartens als Nachtlager wählte.