Kapitel 6, Adriego in Bir-es-Soltan

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  „Schön! Wir haben es hier also nicht nur mit Druiden, Hexen, Ungläubigen, Paktierern und dem Namenlosen zu tun, sondern auch direkt mit einem Dämon, scheinbar einem einzelnen, also sehr mächtigen Gezücht!“, polterte der Almadaner lautstark und mit hochrotem Kopf. „So langsam möchte ich wissen, was genau hier geschieht! Hat diese Ausgeburt der Niederhöllen Kontrolle über einige von uns? Und wo führt uns diese ganze verdammte Reise hin? Ich dachte wir wollten den Zirkel des Namenlosen in Sant Ascanio zerschlagen? Ich könnte es sogar nachvollziehen, wenn wir erst etwas gegen die Schergen Haffax‘ unternehmen würden, aber was zum Khomgeier machen wir hier allesamt in dieser trostlosen, menschenleeren, zwölfgötterverlassenen, brennenden Wüste?“
  Die Halsschlagader des Schwertgesellen trat so deutlich hervor, als würde sie im nächsten Augenblick platzen, doch Adriego war noch nicht fertig. „Ich bin der letzte der gegen ein Abenteuer etwas einzuwenden hat, aber wenn ich schon von finsteren Mächten daran gehindert werde, nach Hause zurückzukehren, dann will ich verdammt noch mal wissen wofür!“ Er schrie nun fast und war nur noch schwer mit dem sanften Edelmann aus Punin zu identifizieren, der stets für einen Scherz gut war und die Gefährten ein ums andere Mal mit seiner Mandoline verzückt hatte. Stattdessen wirkte er aufbrausend, aufgebracht, zornig und der Verzweiflung nah, scheinbar zu allem bereit und doch machtlos.
  Ramon hatte sich bisher aus der Diskussion herausgehalten, denn die plötzliche Rückkehr seiner Geliebten und ihr mehr als aggressives Benehmen machten ihm große Sorgen. War das noch die Frau aus der herrlichen Liebesnacht in Perricum? Oder war mit ihr in der Zwischenzeit etwas Entscheidendes geschehen? Er wusste es nicht, auch wenn ihre Begrüßung ihn über alle Maße glücklich gemacht hatte. Erst der Zornesausbruch des sonst so ruhigen und besonnenen Schwertgesellen brachte den Südländer wieder in die Gegenwart zurück. „Beruhigt Euch bitte, Adriego.“, versuchte er den aufgebrachten und wütenden Gefährten zu beruhigen. „Es ist meine Schuld, denn Ritter Dragomir und ich haben diese Expedition zusammengestellt. Und alles was hier geschieht zeigt, wie nötig dies war. Ich bin stolz, Euch alle an meiner Seite zu wissen, egal was kommen mag. Wir werden die Karawanenroute befreien, damit im Gegenzug die „Trutz von Neersand“ repariert werden kann. Anschließend wenden wir uns entweder den Schergen Haffax oder der namenlosen Bedrohung meiner Heimat zu. Ich hoffe Ihr akzeptiert, dass es keine Alternativen mehr gibt, zumindest für diejenigen, denen das Schicksal auf der „Faust von Maraskan“ übel mitgespielt hat. Lasst uns das Beste daraus machen, Freunde!“ Am dem Ende seiner Ansprache blickte Ramon fest in die Augen seiner Geliebten, um eine Regung wahrzunehmen. Sie musste doch ihre Gefühle in irgendeiner Weise mitteilen können, auch wenn sie vorgab, eiskalt und unnahbar zu sein. Doch er erkannte lediglich, dass Anna nach der langen Reise zu erschöpft war, um sich noch aktiv an der Besprechung zu beteiligen.
  „Schuld, Ramon? Papperlapapp!“, wies Dragomir, der zusammen mit Sumudan und Eleon dem Rest des lauten Gesprächs von der Tür aus gelauscht hatte, eine Verantwortung weit von sich. „Wer kennt schon die Wege der Götter? Was passiert ist, ist passiert und wird seinen Sinn haben. Seht doch, wir sind Männer und Frauen der Tat und des Geistes, durch das Schicksal aneinander gebunden. Wenn das nicht ein Zeichen ist, zur geistvollen Tat wider den Feind zu schreiten?“ Sein Blick wanderte auffordernd und gleichzeitig aufmunternd über die anwesenden Gefährten.
  „Das Beste daraus machen? Dass ich nicht lache!“, zürnte Adriego erneut. „Ich will hier endlich reinen Tisch machen, wissen wem ich vertrauen kann und wen ich meiden sollte. Ist das denn zu viel verlangt?“
  Eleon betrachtete die Gesichter der Anwesenden und konnte die Spannungen im Raum deutlich spüren. Bisher hatte er die Situation eher verschärft, doch er erkannte nun, dass er sich mit seiner direkten Art an Anna die Zähne ausbeißen würde. Wie selbstgefällig sie sich in die Kissen schmiegte! Würde es nicht so verdammt viel bedeuten, sich hier an diesem von den Göttern nahezu verlassenen Ort auf alle Anwesenden verlassen zu können, die einem morgen vielleicht schon den Rücken freihalten müssen! „Wohlan Adriego.“, ergriff er nach kurzer Überlegung das Wort und ging in die Mitte der Anwesenden. „Wenn schon Frau Rand mit Informationen geizt, so will ich Euch Rede und Antwort stehen. Und auch Ihr, die ich Euch bisher gerade einmal dem Namen nach kenne: Was wollt Ihr wissen? Was ist in Euren Augen unklar?“
  Er blickte in viele erstaunte Gesichter und fügte noch schnell an: „Ja, ich entschuldige mich für meine harten Worte. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir als Gemeinschaft den gleichen Wissensstand haben sollten. Denn eines ist doch wohl allen hier klar: Wir sind auf dieser Mission und wir werden sie zu Ende führen. Danach, erst danach, kann jeder für sich entscheiden, ob er weiterhin zu uns steht und wie weit er oder sie uns begleitet.“ Wiederum blickte er in die Runde. „Also, fragt!“
  Dragomir nickte zustimmend und bemerkte trocken: „Ein sachgemäßes Wort. Mir scheint als habe Herr Manzanares seine eigenen Erfahrungen mit dem Zeichen unserer erzwungenen Verbundenheit gemacht.“
  „Fürwahr, Hochgeboren, ich habe meine eigene Erfahrung mit diesem Mal gemacht.“, bestätigte Adriego die Vermutung ihres Anführers. „Als ich Kannemünde verlassen wollte, fing es auf einmal an zu schmerzen und ging allmählich wieder fort, als ich mich mit Sumudan und Anna Rand euch allen näherte. Allerdings wäre es ja auch möglich, dass jemand ganz anderes dafür verantwortlich war.“
  „Es ist wahrlich an der Zeit, Fragen zu stellen. Gehen wir der Reihe nach…“, erklärte Dragomir und mit unbewegter, kühler Miene wanderte sein Blick vom Almadaner zu Eleon, um dann schließlich Anna zu fixieren, „...und lassen höflicherweise der Dame den Vortritt. Werte Frau Rand, Euer Bericht wirft Fragen auf. Ich würde es angesichts der Lage als äußerst hilfreich ansehen, wenn Ihr von vorne beginnen würdet.“ Dragomir forderte die Magierin mit dunkler und bestimmender Stimme die Magierin dazu auf, den Berichtsreigen zu eröffnen.
  „Also ich denke, dass von Anfang an begonnen werden muss und zwar ganz von vorne!“, verlangte Jolinar mit ruhiger und strenger Stimme, doch innerlich zitternd und angespannt. „Nicht erst als Anna anscheinend geflüchtet ist! Und ich denke auch, dass erst alles erzählt werden und dann Fragen beantwortet werden sollten! Also bitte klärt uns auf!“
  Adriego brauste sofort wieder auf: „Ich bin ich es leid, diese Geschichte zu erzählen, genauso wie ich es leid bin, Leuten etwas zu sagen, das diese mir ohnehin nicht glauben und mich sogar selbst auf die Seite der Paktierer stellen wollen.“ Der Almadaner funkelte die rothaarige Hexe finster an. „Erzählt Ihr nur, Hochgeboren, der Ihr das alles begonnen habt und unter dessen Führung wir es zu Ende bringen werden. Mögen die Götter Euch dankbarere Zuhörer schenken als mir.“
  Dragomirs Brauen zuckten missbilligend zusammen, als Jolinar das Wort ergriff, blitzschnell erfasste sie sein Raubtierblick und bohrte sich warnend in ihre Augen. Auch Adriegos Einwurf quittierte der Freiherr mit einem tadelnden Blick, der sich dann jedoch flugs in die gewohnt ernste Miene wandelte. „Alles zu seiner Zeit.“
  Die junge Hexe aus dem Borland starrte den Schwertgesellen finster an, als er wieder einmal die Episode aus dem Flur des Kannemünder Gasthauses erwähnte. Wütend biss Jolinar ihre Zähne aufeinander und verzog missmutig die Unterlippe.
  „Was starrt Ihr mich so an? Wollt Ihr etwa leugnen, dass Ihr mich in Kannemünde der Paktiererei bezichtigt habt?“, brüllte Adriego sie bebend vor Zorn an und Nazir stand sofort auf, die Finger an seinem Rapier.
  Dragomir fuhr mit lauter Befehlsstimme dazwischen: „Es reicht jetzt, alle beide!“ Als sich der Haudegen aus Al’Anfa wieder gesetzt hatte und auch Jolinar und Adriego endlich schwiegen, wandte er sich abermals an Anna: „Frau Rand? Wir hören!“