Kapitel 4, Eleon rettet die Trutz von Neersand
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„Wie wäre es, wenn wir sie auf eine Distanz herankommen lassen würden, auf der unsere Geschütze sie treffen können und ich sie dort durch einen Gegenwind zu halten versuche? Ich verstehe nicht viel vom Kampf auf See, doch ich denke, wir hätten dadurch einen Vorteil. Allerdings…“, Eleon stockte kurz und gab dann kleinlaut zu: „So etwas habe ich noch nie gemacht.“ Gerade als Rondrik zu einem Segen der Herrin Rondra ansetzte, trat Kapitän Borsoj zu Dragomir und meldete: „Schiff klar zum Gefecht, Hochgeboren. Gleich geht es los, wir kommen in Reichweite der Feinde.“ Der Ritter pfiff kurz durch die Zähne, schaute kurz auf die mittlerweile deutlich an Backbord aufkommende Karavelle und fragte dann: „Können wir versuchen, den Feind zu umgehen, um den bornischen Holken zu erreichen? Eleons Vorschlag hält uns den Borbaradianer vielleicht so lange vom Leib. Entweder indem er ihn magisch verlangsamt oder uns anschiebt.“ Gerade als die letzten Gefechtsvorbereitungen auf der „Trutz“ abgeschlossen waren, luvte die „Faust“ kurz an und bestrich die Schivone mit einer ersten Breitseite. Eine große Zahl dicker Geschosse sauste mit einem dumpfen, lauten Knall auf die Gefährten und die kampfbereite Besatzung zu. „Verbrasselt noch eins!“, stöhnte Dragomir zornig auf, um dann aus voller Kehle zu schreien: „Köpfe runter, volle Deckung!“ Zeitgleich eilte Eleon zurück auf das Achterdeck und positionierte sich so, dass er die Karavelle klar vor sich hatte. Er spürte sofort deutlich, wie sich seine Wahrnehmung erweiterte und er fast jeden Windhauch in der näheren Umgebung spüren konnte. Seine Hände vollführten jetzt leichte Bewegungen, als ob sie schwimmend durch Wasser gleiten würden. Gerade als die Geschosse der „Faust“ die Schivone fast erreicht hatten, frischte der Wind zwischen beiden Schiffen plötzlich auf und es bildeten sich Wellen auf dem Meer, die allmählich höherschlugen. Der Druide konzentrierte sich vollkommen auf seinen schwierigen Zauber und ignorierte sogar die heranrasende Breitseite.
[…]Gerade als die beiden nach achtern eilten, gelang der Zauber des Gelehrten und die feindliche Karavelle wurde von einer plötzlichen Sturmbö erwischt, schoss hilflos in den Wind und wandte der „Trutz“ einladend ihr Heck zu. Die heftigen und hohen Wellen brachen über der „Faust“ zusammen und sorgten für ein deutliches Knacken in den Spanten des borbaradianischen Flaggschiffs. Die Macht der Elemente brachte auf dem maraskanischen Schiff fast alles durcheinander und verschaffte der Schivone nach den schweren ersten Einschlägen etwas Zeit zum Durchatmen. Kapitän Borsoj gab sofort den Befehl zum Nachsetzen, um das ungeschützte Heck der abdrehenden Karavelle zu bestreichen. Eleon besaß nun die volle Kontrolle über die Naturgewalten und seine Arme vollführten Bewegungen, die eher einem friedlichen Meditationstanz ähnelten. Doch etwas war anders. Der Druide versuchte, über seine Sinne das innere Gleichgewicht der Elemente wahrzunehmen, doch dieses war kaum noch vorhanden. Das Wasser war erfüllt von Zorn, der Wind trug die kaum zu bändigende Wut weiter und suchte sich eine Ausgleichsmöglichkeit. Dies alles nahm Eleon in seinen Gedanken wahr, ohne es richtig verarbeiten zu können. Er hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf: Die „Faust“ im Zugriff seiner Macht zu halten und ihr bestmöglich zuzusetzen.
[…]Der Zauber von Eleon zerbrach ohne Vorwarnung und der überrumpelte Druide klappte auf der Brücke kraftlos zusammen. Auch die Karavelle schoss nun in den Wind und auf kaum einhundertfünfzig Schritt wirkten die schwarz-gähnenden Mündungen der sechs Schweren Rotzen auf der Backbordseite bedrohlich groß und furchterregend. „Bei den Göttern! Das ist nah.“, entfuhr es Adriego just in dem Augenblick, als die mächtigen Geschütze mit viel Feuer und Rauch ihre tödliche Ladung auf die „Trutz“ spien. „Hart Backbord! Ausweichen!“, befahl Borsoj zwar noch verzweifelt und mit einem schrillen Unterton in der Stimme, doch die Ruderleute brachten die Schivone nicht mehr schnell genug aus dem Zielbereich der Feinde. Mit einem infernalischen Heulen jagten die Kugeln auf den Bug und das Mitteldeck der „Trutz“ zu und mit einem höllischen Donnern schlugen zwei ein. Das erste Geschoss spaltete den Klüverbaum sauber entzwei und die vorderen Segel rissen aus ihren Verankerungen, den Einschlag der zweiten Kugel bezahlte die komplette Geschützmannschaft eines Aals mit ihrem Leben. Durch den Verlust der Klüversegel musste die Schivone abfallen und verlor dadurch ihre taktisch bessere Kampfposition. Sie drehte nach Steuerbord ab, während die Karavelle nach Backbord steuerte. Firutin hatte Eleons Sturz mitbekommen und schrie mit aller Kraft zu Numba und Sedrox hinauf: „Schafft Eleon dort weg, bevor er getroffen wird! Bringt ihn unter Deck, beeilt euch!“ Dann stürzte er auf die Back, vielleicht hatte dort ja doch jemand den Volltreffer überlebt und brauchte seine Hilfe. Auch Xardan und Rondrik eilten sofort zum Bug, jeglichen derzeit unangebrachten Standesdünkel vergessend.
[…]Eleon war bestürzt, als er sich aus seiner Deckung erhob und sich einen Überblick über die blutige Szenerie und die Kakophonie des Leids verschaffte. Sein Heiltrank war aufgebraucht und er war nun auf seinen Kräuterbeutel angewiesen, um die vielen Verwundeten wieder kampffähig zu machen. Er selbst bemerkte einen Splitter in seinem Oberschenkel, der ihm vor lauter Adrenalin im Körper noch keine Beschwerden bereitete. Der Druide biss die Zähne aufeinander und zog das Stück Holz heraus, als sein Blick den von Dragomir kreuzte. „Wir werden weitermachen, doch lasst ihnen die Chance sich zu ergeben. Ihr Schiff ist schnell und stark, es wäre ein großer Verlust, wenn wir es nun in blindem Zorn zusammenschießen würden. Ich stehe Euch weiterhin zur Seite.“ Woher er den Mut gefunden hatte, sich so entschieden und bestimmend zu äußern, dass sollte Eleon später noch oft zum Grübeln bringen. Im Gefecht wuchs er über sich hinaus und zusammen mit Firutin leistete er Hilfe, wo immer er konnte. Der Borongeweihte hatte mittlerweile sein Schwert gezogen und blickte immer wieder grimmig zur qualmenden und rauchenden Karavelle hinüber.
[…]Curthans Augen wanderten nervös zwischen dem Magier und dem niederhöllischem Geschöpf umher. Er senkte angespannt seinen Schwertarm, jederzeit bereit, weiter zu kämpfen. Doch würde er keinen sinnlosen Tod sterben und sich der Mehrheit fügen. Firutin trat wort- und kraftlos mit gesenktem Schwert neben Rondrik und Praiadan, auch Sumudan humpelte, ein Bein nachziehend und in seine mittlerweile zerfetzte Tuchrüstung gehüllt, zu dem Geweihtentrio, auf dem jetzt offenbar die Verantwortung über Leben und Tod ruhte. Er umkurvte dabei die zahllosen regungslosen Körper, deren Leben oder zumindest deren Blut diese verbitterte Schlacht schon gekostet hatte. Hier ein leichtes Zucken, dort eine zaghafte Bewegung. Tod sind nicht alle, aber an eine Fortsetzung des Gefechtes war für ihn auch nicht mehr zu denken, nicht unter diesen Bedingungen. Sie waren geschlagen. Als er dann vor dem Magiertrugbild stand, richtete sich der Maraskaner auf und sprach gequält: „Mein Name ist Sumudan von Sinoda. Ich stamme von Maraskan, wie Ihr unschwer erkennen könnt. Helme Haffax hat mein Volk unterdrückt, misshandelt und ermordet. Auch meine Eltern. Wie kann ich da zur Kapitulation bereit sein?“ Dann wandte er sich an die Geweihten: „Mit Verlaub, Vertreter der zwölf Geschwister, ich kann mit der Schande der Niederlage und Gefangenschaft nicht leben. Doch Ihr für Euren Teil solltet mit dem Verräter verhandeln. Denn wo Ihr sterbt ist gleich, doch sterbt ehrenvoll! Und jetzt ist Eure Zeit noch nicht gekommen, meine Brüder, das fühle ich! Preiset die Schönheit! Ich werde wiedergeboren, um meine Aufgabe zu erfüllen.“ Sumudan wurde immer leiser am Ende, ging dann zwei Schritte zurück und kniete nieder. Er zog seinen Krummdolch, legte sich seinen Nachtwind zurecht und betete kaum vernehmlich. „Sumudan, sei nicht töricht!“, rief Dragomir mit bestimmendem Unterton von der Brücke aus, dann wanderte sein Blick über blutende Kameraden und mutlose Gefährten. „Waffenruhe! Auch Ihr, Praiadan!“ Der Ritter blickte sich um, ob auch alle seiner Anweisung Folge leisteten. „Zieht Eure Leute zurück, Magier, und kommt aus Eurem Versteck! Dann will ich Euch die Antwort auf Euer Angebot geben.“, rief der Ritter ruhig und entschlossen. „Habt keine Furcht, sie wird nicht aus Stahl sein.“ Eleon ließ verstört seinen Stab fallen und eilte so schnell er konnte zu Sumudan. „Ich bitte Euch, bleibt bei uns.“, flehte er den Maraskaner mit Tränen in den Augen an. „Erinnert Ihr Euch an die Sterne von denen wir sprachen? Genauso wie ich seid Ihr Ihnen verpflichtet. Ihr sagtet, man müsse loslassen und sich der Verantwortung stellen. Ich kann nicht glauben, dass Ihr nun keinen anderen Weg seht. Wir…“, der Druide schluchzte kurz, dann fuhr er fort „Ich brauche Euch, hier und jetzt!“ Einige Schritte entfernt schüttelte Praiadan heftig und wütend den Kopf. „Niemals würde ich mir das verzeihen können, geschweige denn es wagen, nach meinem Tode an den Thron des Himmelsfürsten zu treten.“, spie er dem Trugbild entgegen und spuckte aus. Der Praiosgeweihte trat zu Rondrik und Firutin, um ein gemeinsames Gebet zu intonieren. Sumudan hingegen blickte zu Eleon auf, eine einsame Träne im erschöpften und mitgenommenen Gesicht, die langsam seine linke Wange herabrann. Er wusste, dass der Druide Recht hatte. Aber er war sich ebenso darüber im Klaren, was ihm bei einer persönlichen Unterredung mit Helme Haffax blühen würde, wenn seine wahre Identität ans Licht käme. Hin- und hergerissen stand der Maraskaner langsam auf, schaute dem etwas kleineren Eleon tief und fest in die Augen und murmelte: „Danke, mein Freund.“ Dann humpelte er schwerfällig zu den drei Geweihten und wartete gespannt auf die Reaktion des Schwarzmagiers.