Kapitel 4, Eleon sucht Rat bei Praiadan
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Bald legte sich der dunkle Schleier der Nacht über das ruhige Meer und das Madamal stieg an einem wolkenlosen Himmel hoch empor. Auf dem Vordeck entdeckte Eleon Praiadan, der in ein stilles Gebet versunken war, und setzte sich entschlossen neben den Geweihten. Eine ganze Weile musterte der Gelehrte das entrückte Gesicht des Praioten, störte ihn jedoch nicht aktiv in seinen rituellen Handlungen. „Was wollt ihr?“, erkundigte sich Praiadan mit unterdrückter Wut in der Stimme, als er seine Gebete beendet hatte. Eleon kratzte sich am Haaransatz und lächelte selbstsicher. „Ich trete mit einer Frage an Euch heran. Bitte verzeiht mein direktes Auftreten, doch habe ich gemerkt, dass sich unsere Wege bislang trennten. Wärt Ihr bereit, mir etwas von Eurem Glauben zu erzählen?“ Der Geweihte musterte ihn ungläubig. „Ihr wollt etwas über meinen Glauben erfahren?“ Auch wenn ihm der Gedanke an ein derartiges Gespräch mit dem zweifelhaften Gelehrten eindeutig missfiel, so ergänzte er doch nach wenigen Augenblicken: „Dann fragt.“ Eleon holte tief Luft und es schien, als würde ihm die Angelegenheit sehr zu Herzen gehen. „Wie erklärt Ihr Euch nach Eurem Glauben das Übel unter den Menschen in dieser Welt? Inwiefern können Menschen, die an sich keine Schlechtigkeit besitzen, an dem Joch dieser Welt zugrunde gehen, und schließlich mit dem Schlechten auf einer Stufe stehen?“ Erwartungsvoll und ein wenig zweifelnd blickte er den Praiosgeweihten an. „Für jeden hat Praios einen Platz in seinem Gefüge vorhergesehen. Und ursprünglich hatte Praios keinem den Platz des Bösen zugedacht. Doch dann trat der verderbte Dreizehnte hervor und auch die dunklen Zwölf, und sie begannen die Ordnung des Herrn durcheinanderzubringen. Sie verdarben manche Seele, aber nur jene, die schwach im Glauben waren. Jene, die stark im Glauben sind, können nicht verdorben werden.“ Praiadan ließ seine Aussage kurz wirken, dann ging er auf dem zweiten Teil der Fragestellung ein: „Auch ist diese Welt für mich kein Joch. Wie schon gesagt, Praios dachte jedem eine Stellung zu und jeder Mensch muss diese ausfüllen, stark und treu im Glauben. Wenn er das tut, dann werden die Götter ihn reichlich belohnen. Diese Welt ist kein Joch, ich sehe sie mehr als eine Art Prüfung.“ „Ich verstehe was ihr meint.“, freute sich Eleon über die unerwartete Offenheit des Geweihten. „Doch ist meine Frage damit allein nicht beantwortet. Wie steht Ihr der vielen Ungerechtigkeit in dieser Welt gegenüber? Sind es nicht vielmehr die Menschen, denn verderbte Dämonen, die unser Leben erschweren und ihm im schlimmsten Fall den Sinn rauben? Wie stark ist ein Mensch, der Erniedrigung und Folter erdulden und seiner selbst nicht vergessen darf?“ In den Augenwinkeln des Gelehrten blitzte Feuchtigkeit, als er sich in dieses für ihn imminent wichtige Thema hineinsteigerte. „Ich bin im Zweifel. Ich sah auf meinen Wanderungen viele, die aufgrund ihrer erbärmlichen Lebensumstände erkrankten, und denen niemand half. Andere näherten sich dem Stumpf- oder Schwachsinn auf mit erschreckender Geschwindigkeit. Welche Wege stehen ihnen offen, sich aus ihrer Not zu befreien?“ Praiadan registrierte die offensichtliche Ergriffenheit seines Gesprächspartners durchaus, doch seine Antworten entsprachen exakt dem, was er in seiner Ausbildung gelernt hatte. „Die Schlechten werden früher oder später bestraft werden. Für genau diese Aufgabe hat der Herr seine Kirche geschaffen, um die Schlechten zu bestrafen und den Guten zu helfen. Für diejenigen, die stark und fest im Glauben sind, werden manche Wege offenstehen. Möglicherweise sind die Menschen, von denen Ihr sprecht, von Dämonen besessen. Dann ist es unsere Aufgabe, sie auf den Pfad des Herrn zurückzubringen.“ Eleon öffnete erschrocken seinen Mund und wirkte tief getroffen. Meinte Praiadan das wirklich ernst? Er wiederstand der Versuchung einer unüberlegten Antwort, sammelte sich kurz und legte dann seine Sicht der Dinge dar: „Ich bin überzeugt, dass in jedem Mensch die Möglichkeit einer bösen oder fehlerhaften Tat vorhanden ist. Natürlich wären wir den Irrwegen dieser Welt ohne den Schutz des Glaubens hilflos ausgeliefert. Ihr erwähnt, dass ein jeder sich an der Stärke seines Glaubens messen lassen muss?“ Der Gelehrte grübelte eine Weile über das Gehörte nach und der Praiosgeweihte ließ ihn schweigend gewähren. Dann stand Eleon auf und wandte sich zur Tür. Dort verharrte er einen Moment und drehte sich dann noch einmal zu Praiadan um. „Ich werde über Eure Worte nachdenken und danke Euch für Eure Bemühung, mir Eure Sicht der Welt näher zu bringen. Leider habe ich nicht so ein grundsätzliches Vertrauen in die Ordnung der Götter. Doch hoffe ich, dass dies mich nicht schlecht in Euren Augen erscheinen lässt.“ Der Geweihte schaute noch eine Weile nachdenklich auf die Stelle, wo Eleon gestanden hatte bevor der den kleinen Raum verließ. Er wirkte verletzt und irritiert, was Praiadan in gewisser Hinsicht durchaus verstand. Seine Erlebnisse und Schilderungen erinnerten ihn… Nein, er musste stark im Glauben bleiben! Nur so konnte die Ordnung des Herrn aufrechterhalten werden. Und doch grübelte er noch lange über die ihm fremden Ansichten des Gelehrten nach und es dauerte bis weit nach Mitternacht, bis ihn endlich ein unruhiger Schlaf überkam.