Kapitel 3, Anna findet ihr Seelentier

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Kapitel 3, Anna findet ihr Seelentier[Bearbeiten]

  Hoch über den weißen Wolken flog Anna Rand stundenlang über die Blutige See in Richtung Nordwesten bis irgendwann weit unter ihr die ersten Konturen der Küste Mhanadistans auftauchten. Fünf Stunden waren vergangen, seitdem sich die junge Magierin verwundet mitten aus dem blutigen Entergefecht der Gefährten gegen die borbaradianische Besatzung der Faust von Maraskan aus dem Staub gemacht hatte. Die unvermeidbare Niederlage vor Augen, hatte ihr Überlebensinstinkt über ihre unerwartet ernsten Gefühle für Ramon gesiegt. Am Horizont konnte sie schon Khunchom ausmachen, das wie eine Perle im Delta des großen Flusses lag, doch sie steuerte zunächst eine kleine, von Land aus unzugängliche Bucht an, um ihre Wunden zu versorgen.
  Fünf Stunden lang war sie in der Luft und in dieser Zeit hatte der üble Schnitt eines rostigen Säbels ihre Rüstung aus Iryanleder mit einer unschönen roten Kruste verziert. Ein schmales Rinnsal ihres Blutes hatte sich sogar bis in ihre Lederstiefel verirrt und Anna rümpfte angeekelt die Nase. Sie schaute nach links und rechts, dann zog sie sich unter starken Schmerzen nackt aus und besah sich den blutigen Hieb genauer. Der schwere Treffer verlief quer über ihrem linken Hüftknochen und war an seiner tiefsten Stelle fast einen Finger tief in ihr Fleisch eingedrungen.
  Mühsam keuchend zog sie Luft ein, als sie die Wunde genauer betastete. Nein, das würde nicht konventionell verheilen. Sie legte ihre Hände auf die Verletzung, konzentrierte sich schwerfällig und heilte sich mit dem letzten Rest ihrer im Kampf nahezu vollständig verbrauchten magischen Kräfte. Erschöpft sank sie auf den groben Sandboden der Bucht und ihre Glieder verkrampften sich kurz, bevor Stille und Ruhe eines hilfreichen Schlafs die Magierin umfingen.
  In der Abenddämmerung erwachte Anna fröstelnd, als die ersten Wellen der aufkommenden Flut zunächst nach ihrem roten Haar griffen, dann schließlich an ihren trockenen Mund gelangten. Sie spuckte das Salzwasser aus und erhob sich matt, dann blickte sie sich erneut am Strand um und entdeckte einen kleinen Bach, der sich durch die umliegenden Felsen einen Weg zum Meer bahnte. Da ihre Wunde sich geschlossen und die Ruhepause sie gestärkt hatte, rannte sie zum kristallklaren Wasser und löschte hastig den brennenden Durst in ihrer trockenen Kehle. Dann ließ sie sich auf ihren schönen Po in den Sand fallen und lauschte andächtig der Brandung.
  Ihre während des langen Flugs abgrundtief leeren Gedanken füllten sich nun mit den unzähligen Eindrücken und traumatischen Erlebnissen des bitteren Gefechts. Sie war sich sicher, dass ihre Gefährten verloren hatten. Gegen den dämonischen Zant hatten sie in ihrem geschwächten Zustand keinerlei Siegchance gehabt. Dann trat Ramon vor ihr geistiges Auge und dicke Tränen stiegen in ihr auf. Anders als sonst, wo sie sich eine derartig emotionale Reaktion niemals erlaubt hätte, ließ sie ihrer abgrundtiefen Traurigkeit freien Lauf und feuchte Tropfen benetzten bald Wangen und Kinn, dann Busen und Bauch der Magierin.
  Schnell wanderten ihre hektischen Gedanken jedoch auch in die nahe Zukunft, denn ihr war natürlich klar, dass ihre ohnehin brüchige Tarnung in der Gruppe der Gefährten aufgeflogen sein musste. Schon zuvor wussten einige wenige über ihre wahre Existenz als Dienerin Satuarias, die sich einen akademischen Abschluss erschlichen hatte, doch für die übrigen Gefährten musste sie diese Maske nun auch fallen lassen. Allerdings: Hatten die anderen überhaupt überlebt? Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass Ramon lebte. Wo würden die Borbaradianer ihn hingebracht haben? Jergan. Natürlich in die Hauptstadt der Fürstkomturei, denn die Faust hatte im Gefecht ebenfalls hart einstecken müssen und war mit Sicherheit auf einen Werftplatz angewiesen.
  Im Gedanken fuhr sich Anna über ihren linken Arm und wollte sich gerade ein störendes Stück Holz oder ein stures Blatt wegwischen, als sie genauer hinschaute und das Blutmal erkannte. Die junge Hexe sprang erschrocken auf und versuchte das Dämonenzeichen im Bach abzuwaschen, doch natürlich war es hinterher nur umso präsenter auf ihrem makellos sauberen Arm. Erneut kullerten ihr Tränen über die hübschen Wangen und sie schniefte laut, als sich plötzlich etwas an ihrem nackten Rücken entlang bewegte.
  Anna sprang erneut reflexartig auf und brachte rasch etwas Abstand zwischen sich und dem Wesen, das sich als ein rotgetigertes Kätzchen mit weißer Brust herausstellte. Das kleine Ding fauchte die große Hexe mit seinem zarten Stimmchen an und machte einen süßen Buckel. Viele Haare waren noch nicht lang genug, um abzustehen und so musste die traurige junge Frau trotz ihrer zahlreichen Probleme leise lachen. Die kleine Katze starrte sie neugierig aus ihren großen schwarzen Kulleraugen an und Anna wurde das Herz weich. Sie hockte sich hin und lockte das Tierchen zu sich: „Na komm schon, Süße. Komm zur lieben Anna.“
  Doch der kleine Fellhaufen rührte sich nicht von der Stelle und als die Hexe einen Schritt auf ihn zumachte, nahm ihr junger Gast blitzschnell Reißaus. Sie zuckte mit den Achseln und ging zu ihrer blut- und dreckverschmierten Kleidung, die sie vor ihrem Schlaf ausgezogen hatte. Mit einem Mal war die kleine Katze wieder heran und mauzte leise. Anna kicherte, hielt dem possierlichen Tierchen erneut die Hand hin und diesmal schmiegte es sich mit einem leisen Schnurren an ihre Finger. „Na, du? Was willst du denn von mir? Ich habe nichts zu essen für dich.“ Das Kätzchen antwortete mit einem viel sagenden Blick und legte sich neben Anna auf den Sand der kleinen Bucht.
  Die Hexe begann sich anzukleiden, schaute dabei aber immer wieder zu ihrer kleinen Begleiterin, die sich seelenruhig putze. Kaum hatte sie sich angezogen und hingehockt, da sprang die Kleine schnurrend auf ihren Schoß und fuhr ihre kleinen Krallen tretend in ihre Lederhose. „Du willst doch nicht wohl bei mir bleiben wollen?“, flüsterte die junge Frau dem Tierchen zu und streichelte es ausgiebig. Dabei lag ihr der weitere Weg plötzlich klar vor Augen: Jergan. Sie würde in die Hauptstadt der Fürstkomturei fliegen und dort versuchen, etwas über den Verbleib ihrer Gefährten und das fürchterliche Mal auf ihrem Arm zu erfahren.
  „Kommst du mit?“, fragte sie das Kätzchen und neckte es ein wenig mit dem Zeigefinger. „Musst du aber hier hinein. Ich habe leider keine Tasche dabei.“ Anna öffnete ihre Rüstung und polsterte die Stelle ein wenig mit den Ärmeln ihres ohnehin ruinierten Leinenhemds aus, die sie dafür kurzentschlossen abriss. Tatsächlich sprang ihre neue rotgetigerte Begleiterin ohne Umschweife in ihr neues, provisorisches Zuhause und gemeinsam erhoben sich beide auf ihrem Hexenstab in Richtung Jergan.