Kapitel 11, Adriego auf der Trutz von Neersand nach der Abreise aus Sant Ascanio

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  „Und jetzt?“, brach Adriego schließlich die Stille auf dem Achterdeck. „Was machen wir als nächstes? Wart Ihr schon mal in Port Stoerrebrandt, Hochgeboren?“
  „Jetzt überlegen wir, wie wir die Stadt betreten werden. Und danach genießen wir eine schöne Seereise.“, antwortete der Freiherr, woraufhin der Schwertgeselle grinsen musste und auch Nadjesha lag ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
  Xardan hingegen legte eine verdrießliche Miene an den Tag. „Eine schöne Seereise? Euer Gleichmut scheint mir der prekären und schwierigen Situation wenig angemessen.“
  „Bleibt uns etwas anderes übrig, Herr ya Cabba?“, entgegnete der bornische Adelige mit einer Gegenfrage.
  „Ihr könnt ja gerne Missmut und schlechte Laune schieben, Xardan.“, lachte der Almadaner und klopfte dem horasischen Magier auf die Schulter, was dieser mit einem noch verdrießlicheren Gesicht quittierte. „Aber ich gebe Don Dragomir Recht. Ich freue mich darauf, das Spiel auf der Mandoline zu üben, die Sonne und die frische Luft zu genießen.“
  Sein Gefährte blickte abschätzig auf die Hand, die noch immer auf seiner Schulter ruhte, dann erwiderte er süffisant lächelnd: „Übung scheint mir auch nötig.“
  „Sehr witzig.“, meinte Adriego, fügte aber gut gelaunt hinzu: „Meine Finger sind wohl noch geschickt genug.“ Seine Gedanken gingen für einen Augenblick auf Reisen, erinnerten sich an die vielen Liebesstunden mit der in Sant Ascanio verbliebenen Adilah und ein schelmisches Lächeln stahl sich auf seine Züge.
  „Sollten wir Jurge und Ramon nicht zu dieser Beratung hinzuziehen?“, wandte sich Nadjesha an ihren Landsmann.
  Dragomir nickte bestätigend und antwortete knapp: „Freilich.“
  Adriego machte sich auf die Suche nach den beiden Gefährten, war jedoch schon beim Niedergang zu den Quartieren erfolgreich. „Ah, da seid ihr ja schon. Wir wollten auf der Brücke gerade das weitere Vorgehen besprechen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich wieder um und erklomm die Stiege zum Achterdeck.
  Als schließlich alle versammelt waren, war es Ramon, an den sich der Freiherr als erstes wandte: „Wie gut kennst du dich in und um Port Stoerrebrandt aus? Anders gefragt: Kennst du einen Weg über Land dorthin? Ich will nicht in den Hafen segeln, sondern mich lieber hereinschleichen, wie wir es auch in Sant Ascanio getan haben.“
  Der südländische Abenteurer überlegte einen Moment, dann setzte er eine nachdenkliche Miene auf. „Port Stoerrebrandt liegt im Süden von Iltoken, der Norden wird von Miniwatu bewohnt. Es ist möglich, über Land hineinzukommen, natürlich. Aber ob das Hineinschleichen gelingt, ist eine andere Sache. Die Neersander Söldner dort sind bestens ausgebildet und aufmerksam. Die Waren in der Stadt sind zu wertvoll, um den Weg in die Stadt schludrig zu bewachen.“ Sein missmutiger Gesichtsausdruck veränderte sich auch nicht, als er hinzufügte: „Gegen Port Stoerrebrandt war unser Auftritt hier in Sant Ascanio beängstigend einfach. Zumal die Garnison übermüdet und schlecht geführt war.“
  Adriego schien etwas auf seine Einschätzung, insbesondere die letzte Bemerkung, antworten zu wollen, doch die Kämpferin aus dem Norden war schneller. „Ihr rechnet also mit starker Bewachung. Doch von welcher Partei?“, hakte Nadjesha nach, wandte sich aber offenbar nicht nur an ihren einheimischen Begleiter, sondern an alle Versammelten. „Meint ihr, unser mysteriöser Gegner hat auch in unserer Kolonie zugeschlagen?“ Sie schmiegte sich eng an Jurge und hoffte, dass die Abwesenheit der Truhe und des Artefakts ihrer noch frischen Beziehung wieder hinreichend Aufwind verleihen würde.
  „Diese Möglichkeit besteht durchaus, wurden doch sogar nicht minder starke Kräfte der horas-kaiserlichen Flotte korrumpiert.“, entgegnete Xardan und ein bitteres Lächeln begleitete seine Worte.
  „Und sogar im weiten zeitlichen Vorfeld intrigant ausmanövriert.“ Ihre prompte Erwiderung war betont sachlich, aber einen herausfordernden Blick konnte sie sich dennoch nicht verkneifen.
  „Ein Grund mehr, nicht geradewegs in den Hafen zu segeln.“, schloss Dragomir aus dem Gespräch, dann sah er zu Ramon. „Oder schlägst du genau das vor?“
  „Regulär sind in Port Stoerrebrandt zumeist eine Kompanie Neersander Söldner und eine Hand voll Seesöldner stationiert, je nach anwesenden Schiffen natürlich mehr. Dazu ist die Stadt der Stützpunkt der Seewölfe, einer Schar Piratenjäger, denen ich ungern als jemand in die Hände fallen würde, der sich in ihre Stadt schleicht.“, merkte der Angesprochene nach einer kurzen Denkpause an.
  Jurge hingegen war durchaus optimistischer: „Warum sollten wir auf einem bornischen Schiff mit bornischer Besatzung und einem bornischen Würdenträger nicht in einen bornischen Hafen einlaufen? Wer außer unseren Rivalen weiß denn von uns? Ist es nicht verdächtiger, im Südmeer zu kreuzen ohne den wichtigsten Hafen der Region wenigstens einmal kurz anzulaufen?“
  Der Freiherr lehnte mit dem Rücken an der Bordwand und hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während sein durchaus irritierter Blick von einem zum anderen Sprecher wanderte. Doch es war Adriego, der das Wort ergriff: „Die Frage ist doch, von welcher Situation wir ausgehen. Also ob die Stadt vom Gegner kontrolliert wird oder von den unseren.“
  „Hört, hört.“, bemerkte Xardan mit einem spöttischen Blick zu seinem dauerhaftesten Wegbegleiter bei dieser Expedition, dann wandte er sich an Ramon: „Seine Hochgeboren wird sich bornischen Truppen wohl zu erkennen geben können, ob nun durch die Hintertür hineingeschlichen oder in voller Pracht in den Hafen gefahren.“ Der Magier sah zu Jurge und neigte ein wenig das Haupt.
  „Nichtsdestotrotz sind Eure Einwände nicht von der Hand zu weisen, Euer Gnaden, ebenso wenig die Frage unseres almadanischen Freundes. Ich bin der Meinung, dass wir vom schlechtesten Fall ausgehen sollten, also der Besetzung der Stadt durch den Feind. Was wäre dann zu erwarten, wenn wir einfach in den Hafen segelten oder uns in die Stadt bei Nacht hineinschlichen? Wenn ich mich recht erinnere, hat man in Sant Ascanio fremde Schiffe nach Gutdünken einfach festgesetzt und sogar geplündert, nicht wahr?“
  Er sah kurz nach Bestätigung heischend zu Ramon, redete aber unverdrossen weiter: „Nun, Herr Steingruber ging seines Schiffes wohl zunächst verlustig, konnte sich jedoch mit Herrn di Cavallia recht frei in der Stadt bewegen. Das Fräulein Adlilah sogar… nun.“ Der Magier unterbrach sich nachdenklich, geradezu so, als hätte er selbst den Faden verloren oder gerade einen neuen entdeckt.
  Adriego sprang sofort verbal in die Lücke, bevor der ebenso beliebte, wie absurde Vorwurf seiner neuen Freundin gegenüber wieder überhandnahm. „Ja, viel Gerede… kurz und gut: Wir wissen es nicht, wir müssen es herausfinden. Also ich sage, wir fahren einfach hinein.“ Er holte mit der rechten Faust aus und schlug sie klatschend in die Hand des ausgestreckten linken Arms.
  „Machen wir es doch ganz einfach und schicken zunächst ein Beiboot in die Stadt.“, schlug Ramon eine weitere Alternative vor. „Die Trutz ankert dann in der Nähe des Hafens und täuscht einen kurzen Höflichkeitsbesuch vor, der nicht das Ankern lohnt. Abhängig von der Resonanz können wir dann weiter vorgehen.“
  „Ihr nehmt mir die Worte aus dem Mund!“, lächelte Nadjesha und wiederholte in ihren Worten: „Für das letzte Stück lasst uns die Schaluppe nehmen.“
  Der Schwertgeselle nickte abenteuerlustig. „Das nenne ich der Herrin gefällig, mitten hinein!“
  Auch Xardan schien diesmal keine Einwände zu haben, sondern klopfte mit seinem Stab dreimal Phex gefällig auf die Planken der Brücke.
  „Und so sparen wir im besten Fall sogar Zeit.“ Dragomir lächelte zufrieden und stieß sich von der Reling ab, um Kapitän Borsoj aufzusuchen, mit dem er sogleich die Details besprechen wollte.
  Adriego begab sich auf das Hauptdeck, um etwas an die schönen Stunden mit Adilah zu denken, wohingegen sich der horasische Magier in sein Quartier zurückzog. Die bornische Kriegerin umarmte von hinten ihren geliebten Rondrageweihten und gemeinsam schauten sie zu, wie die Numba außerhalb ihrer Sichtweite am Horizont verschwand.